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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
trank; die Folge hiervon war eine Verstopfung, welche
schon drey Tage angehalten hatte, die ich aber sogleich
nicht achtete, bis da ich wieder reiten mußte. Nunmehr
begannen die heftigsten Koliken, wovon mir öfters so zu-
gesetzt wurde, daß ich einer Ohnmacht nahe war; oft
mußte ich vom Pferde herunter und im Grase ausruhen.
Froh war ich, wenn wir das Mittags- und Nachtlager
erreichten. Diese Schmerzen hielten noch drey Tage mit
der größten Wuth an, wobey ich keine Minute schlafen
konnte, bis wir schon den Jrtisch übergeschwommen hat-
ten, wo ich auf der andern Seite die Wollost Achne-
men
traf, in der ich mir mit dem heilsamen Kümüß
und einer vierzehnstündigen Ruhe völlig wieder half.
Der plötzliche Uebergang von Todesangst zur schleunig-
sten Besserung verursachte, daß ich meinen Empfindun-
gen nicht glaubte, aber auch den Kümüß beynahe anbe-
tete, wie etwas göttliches. Die fürchterliche Menge wäh-
rend drey Stunden abgehender Blähungen ist unglaub-
lich, und ich mußte mich über die ungeheure Stärke mei-
ner Gedärme wundern. Um wieder auf russischen Bo-
den zu kommen, mußten wir die vorhin erwähnte chine-
sische Gränzwache Kostübö ganz dicht vorbey passiren.
Damit dieses nun desto sicherer geschähe, wählten wir die
Nacht dazu, die des hellen Mondscheins wegen außer-
ordentlich angenehm war. Als wir nahe an den fisch-
reichen See Ballack-Küll ins hohe Schilf kamen,
wurden wir von einer unsäglichen Menge Mücken ange-
fallen. Ein voller Gallop rettete uns von dieser Plage,
mit welchem wir denn auch glücklich die Wache vorbey

wisch-

Sievers Briefe
trank; die Folge hiervon war eine Verſtopfung, welche
ſchon drey Tage angehalten hatte, die ich aber ſogleich
nicht achtete, bis da ich wieder reiten mußte. Nunmehr
begannen die heftigſten Koliken, wovon mir oͤfters ſo zu-
geſetzt wurde, daß ich einer Ohnmacht nahe war; oft
mußte ich vom Pferde herunter und im Graſe ausruhen.
Froh war ich, wenn wir das Mittags- und Nachtlager
erreichten. Dieſe Schmerzen hielten noch drey Tage mit
der groͤßten Wuth an, wobey ich keine Minute ſchlafen
konnte, bis wir ſchon den Jrtiſch uͤbergeſchwommen hat-
ten, wo ich auf der andern Seite die Wolloſt Achne-
men
traf, in der ich mir mit dem heilſamen Kuͤmuͤß
und einer vierzehnſtuͤndigen Ruhe voͤllig wieder half.
Der ploͤtzliche Uebergang von Todesangſt zur ſchleunig-
ſten Beſſerung verurſachte, daß ich meinen Empfindun-
gen nicht glaubte, aber auch den Kuͤmuͤß beynahe anbe-
tete, wie etwas goͤttliches. Die fuͤrchterliche Menge waͤh-
rend drey Stunden abgehender Blaͤhungen iſt unglaub-
lich, und ich mußte mich uͤber die ungeheure Staͤrke mei-
ner Gedaͤrme wundern. Um wieder auf ruſſiſchen Bo-
den zu kommen, mußten wir die vorhin erwaͤhnte chine-
ſiſche Graͤnzwache Koſtuͤboͤ ganz dicht vorbey paſſiren.
Damit dieſes nun deſto ſicherer geſchaͤhe, waͤhlten wir die
Nacht dazu, die des hellen Mondſcheins wegen außer-
ordentlich angenehm war. Als wir nahe an den fiſch-
reichen See Ballack-Kuͤll ins hohe Schilf kamen,
wurden wir von einer unſaͤglichen Menge Muͤcken ange-
fallen. Ein voller Gallop rettete uns von dieſer Plage,
mit welchem wir denn auch gluͤcklich die Wache vorbey

wiſch-
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[216/0224] Sievers Briefe trank; die Folge hiervon war eine Verſtopfung, welche ſchon drey Tage angehalten hatte, die ich aber ſogleich nicht achtete, bis da ich wieder reiten mußte. Nunmehr begannen die heftigſten Koliken, wovon mir oͤfters ſo zu- geſetzt wurde, daß ich einer Ohnmacht nahe war; oft mußte ich vom Pferde herunter und im Graſe ausruhen. Froh war ich, wenn wir das Mittags- und Nachtlager erreichten. Dieſe Schmerzen hielten noch drey Tage mit der groͤßten Wuth an, wobey ich keine Minute ſchlafen konnte, bis wir ſchon den Jrtiſch uͤbergeſchwommen hat- ten, wo ich auf der andern Seite die Wolloſt Achne- men traf, in der ich mir mit dem heilſamen Kuͤmuͤß und einer vierzehnſtuͤndigen Ruhe voͤllig wieder half. Der ploͤtzliche Uebergang von Todesangſt zur ſchleunig- ſten Beſſerung verurſachte, daß ich meinen Empfindun- gen nicht glaubte, aber auch den Kuͤmuͤß beynahe anbe- tete, wie etwas goͤttliches. Die fuͤrchterliche Menge waͤh- rend drey Stunden abgehender Blaͤhungen iſt unglaub- lich, und ich mußte mich uͤber die ungeheure Staͤrke mei- ner Gedaͤrme wundern. Um wieder auf ruſſiſchen Bo- den zu kommen, mußten wir die vorhin erwaͤhnte chine- ſiſche Graͤnzwache Koſtuͤboͤ ganz dicht vorbey paſſiren. Damit dieſes nun deſto ſicherer geſchaͤhe, waͤhlten wir die Nacht dazu, die des hellen Mondſcheins wegen außer- ordentlich angenehm war. Als wir nahe an den fiſch- reichen See Ballack-Kuͤll ins hohe Schilf kamen, wurden wir von einer unſaͤglichen Menge Muͤcken ange- fallen. Ein voller Gallop rettete uns von dieſer Plage, mit welchem wir denn auch gluͤcklich die Wache vorbey wiſch-

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/224>, abgerufen am 25.04.2024.