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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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aus Sibirien.
die auch rund herum, an allen Wänden des Tempels die
Verzierung ausmachen; so wie zwey Reihen Säulen
zwischen den Sitzen der Priesterreihen, dessen Mitte
schmücken. Auf dem Altar sind, vor dem Hauptgötzen,
als Opfer, messingene Schalen mit Roggen, Waizen,
Reiß, Milchbrantwein und dergleichen, nebst Räucher-
werk, aufgestellt. Zuweilen setzt man auch, in größern
Schalen, ein abgebrühtes Huhn, ein abgezognes Schaaf,
oder ein gebratnes Stück Fleisch vor den Götzen. Die
obere Etage dieses Tempels ist kleiner und einfacher, und
enthält, außer gemahlten Bildern weiter keine Verzie-
rung. Weibsleute dürfen in diese Tempel nicht kom-
men. Sie verrichten ihre Andachten draussen auf einer
umgebenden Gallerie; und diese Andacht besteht vorzüg-
lich nur darin, daß sie beide Hände vor der Stirn zu-
sammenlegen, sich dann auf die Hände zur Erde werfen,
und mit der Stirn den Boden berühren. Sie gehen
dann auf dieser Gallerie rings um den Tempel, wieder-
holen die Anbetung jedesmal bey der Thür, und fahren
damit so lange fort, als die Andacht nur aushalten will,
oft bis auf den Abend; so lange nehmlich als die sechs
großen Litaneyen währen, deren Jnhalt überhaupt eine
Fürbitte für das Wohl des ganzen Menschengeschlechts
und für alle Unglückliche, ohne Unterschied der Religion,
seyn soll. Oben beschriebner Gottesdienst geschahe in
dem mittelsten und vornehmsten Tempel. Als ich von
selbigem zu der Wohnung des Lama zurückkehren wollte,
gieng er mir und meinen Begleitern, in einem langen,
rothseidnen Talar, mit einem leichten runden, in Gold-

firniß

aus Sibirien.
die auch rund herum, an allen Waͤnden des Tempels die
Verzierung ausmachen; ſo wie zwey Reihen Saͤulen
zwiſchen den Sitzen der Prieſterreihen, deſſen Mitte
ſchmuͤcken. Auf dem Altar ſind, vor dem Hauptgoͤtzen,
als Opfer, meſſingene Schalen mit Roggen, Waizen,
Reiß, Milchbrantwein und dergleichen, nebſt Raͤucher-
werk, aufgeſtellt. Zuweilen ſetzt man auch, in groͤßern
Schalen, ein abgebruͤhtes Huhn, ein abgezognes Schaaf,
oder ein gebratnes Stuͤck Fleiſch vor den Goͤtzen. Die
obere Etage dieſes Tempels iſt kleiner und einfacher, und
enthaͤlt, außer gemahlten Bildern weiter keine Verzie-
rung. Weibsleute duͤrfen in dieſe Tempel nicht kom-
men. Sie verrichten ihre Andachten drauſſen auf einer
umgebenden Gallerie; und dieſe Andacht beſteht vorzuͤg-
lich nur darin, daß ſie beide Haͤnde vor der Stirn zu-
ſammenlegen, ſich dann auf die Haͤnde zur Erde werfen,
und mit der Stirn den Boden beruͤhren. Sie gehen
dann auf dieſer Gallerie rings um den Tempel, wieder-
holen die Anbetung jedesmal bey der Thuͤr, und fahren
damit ſo lange fort, als die Andacht nur aushalten will,
oft bis auf den Abend; ſo lange nehmlich als die ſechs
großen Litaneyen waͤhren, deren Jnhalt uͤberhaupt eine
Fuͤrbitte fuͤr das Wohl des ganzen Menſchengeſchlechts
und fuͤr alle Ungluͤckliche, ohne Unterſchied der Religion,
ſeyn ſoll. Oben beſchriebner Gottesdienſt geſchahe in
dem mittelſten und vornehmſten Tempel. Als ich von
ſelbigem zu der Wohnung des Lama zuruͤckkehren wollte,
gieng er mir und meinen Begleitern, in einem langen,
rothſeidnen Talar, mit einem leichten runden, in Gold-

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[27/0035] aus Sibirien. die auch rund herum, an allen Waͤnden des Tempels die Verzierung ausmachen; ſo wie zwey Reihen Saͤulen zwiſchen den Sitzen der Prieſterreihen, deſſen Mitte ſchmuͤcken. Auf dem Altar ſind, vor dem Hauptgoͤtzen, als Opfer, meſſingene Schalen mit Roggen, Waizen, Reiß, Milchbrantwein und dergleichen, nebſt Raͤucher- werk, aufgeſtellt. Zuweilen ſetzt man auch, in groͤßern Schalen, ein abgebruͤhtes Huhn, ein abgezognes Schaaf, oder ein gebratnes Stuͤck Fleiſch vor den Goͤtzen. Die obere Etage dieſes Tempels iſt kleiner und einfacher, und enthaͤlt, außer gemahlten Bildern weiter keine Verzie- rung. Weibsleute duͤrfen in dieſe Tempel nicht kom- men. Sie verrichten ihre Andachten drauſſen auf einer umgebenden Gallerie; und dieſe Andacht beſteht vorzuͤg- lich nur darin, daß ſie beide Haͤnde vor der Stirn zu- ſammenlegen, ſich dann auf die Haͤnde zur Erde werfen, und mit der Stirn den Boden beruͤhren. Sie gehen dann auf dieſer Gallerie rings um den Tempel, wieder- holen die Anbetung jedesmal bey der Thuͤr, und fahren damit ſo lange fort, als die Andacht nur aushalten will, oft bis auf den Abend; ſo lange nehmlich als die ſechs großen Litaneyen waͤhren, deren Jnhalt uͤberhaupt eine Fuͤrbitte fuͤr das Wohl des ganzen Menſchengeſchlechts und fuͤr alle Ungluͤckliche, ohne Unterſchied der Religion, ſeyn ſoll. Oben beſchriebner Gottesdienſt geſchahe in dem mittelſten und vornehmſten Tempel. Als ich von ſelbigem zu der Wohnung des Lama zuruͤckkehren wollte, gieng er mir und meinen Begleitern, in einem langen, rothſeidnen Talar, mit einem leichten runden, in Gold- firniß

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/35>, abgerufen am 29.03.2024.