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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
Milch seyende Kühe. Denn gewöhnlich müssen diese
Thiere ihr Futter auf der Steppe unter dem Schnee her-
vorkratzen; und obschon der Schnee in den hiesigen
Steppen niemals hoch liegt und vom vorigen Jahr tro-
ckenes unabgemähetes Graß genug übrig bleibt, so kann
doch hierin wenig oder gar keine Nahrung seyn. Ueber-
dem haben die hiesigen Kühe gewöhnlich mit den Hun-
den ihr Nachtlager auf der Straße, welches aber jetzt
schon fast allenthalben hier zur Gewohnheit geworden ist.

Das Kirchdorf hat seinen Namen von dem 2 Müh-
len treibenden Flüßchen Urluck. Eine botanische Excur-
sion brachte, der noch frühen Jahrszeit wegen, nur we-
nig ein. Androsace villosa und ein Astragalus -- wa-
ren meine ganze Beute. Freylich scheint der te May
nicht früh mehr, aber, wie schon vorhin erwähnt wor-
den ist, die Lage des Landes und der alcalisch salzige Bo-
den, verbieten den Pflanzen das frühere Hervorkom-
men, es seyen denn etwa frühzeitige Landeskinder. Ue-
berdem so sind die engen Thäler noch in dieser Zeit voll
Schnee, der, wenn der Wind über sie hinstreicht, die Luft
sehr kalt macht.

Jch verließ Urluck den 9ten May und gelangte über
die Dörfer Kljutschefskaja (19 Werst) im hohen Ge-
birge Sawitschi (7 Werst) am Tschikoi beyde mit klein-
rußischen Einwohnern besetzt Karüm (12 Werst) über
einen andern Gebirgrücken, Ossinoi genannt, nach dem
kleinen Dorfe Jtitei 15 Werst in dem Kirchdorf Slo-
boda) Baichar
(7 Werst), am Tschikoi, den 12. May
an. Hier wohnen Sibiriaken oder sibirische Nussen. --

Stellen

Sievers Briefe
Milch ſeyende Kuͤhe. Denn gewoͤhnlich muͤſſen dieſe
Thiere ihr Futter auf der Steppe unter dem Schnee her-
vorkratzen; und obſchon der Schnee in den hieſigen
Steppen niemals hoch liegt und vom vorigen Jahr tro-
ckenes unabgemaͤhetes Graß genug uͤbrig bleibt, ſo kann
doch hierin wenig oder gar keine Nahrung ſeyn. Ueber-
dem haben die hieſigen Kuͤhe gewoͤhnlich mit den Hun-
den ihr Nachtlager auf der Straße, welches aber jetzt
ſchon faſt allenthalben hier zur Gewohnheit geworden iſt.

Das Kirchdorf hat ſeinen Namen von dem 2 Muͤh-
len treibenden Fluͤßchen Urluck. Eine botaniſche Excur-
ſion brachte, der noch fruͤhen Jahrszeit wegen, nur we-
nig ein. Androſace villoſa und ein Aſtragalus — wa-
ren meine ganze Beute. Freylich ſcheint der te May
nicht fruͤh mehr, aber, wie ſchon vorhin erwaͤhnt wor-
den iſt, die Lage des Landes und der alcaliſch ſalzige Bo-
den, verbieten den Pflanzen das fruͤhere Hervorkom-
men, es ſeyen denn etwa fruͤhzeitige Landeskinder. Ue-
berdem ſo ſind die engen Thaͤler noch in dieſer Zeit voll
Schnee, der, wenn der Wind uͤber ſie hinſtreicht, die Luft
ſehr kalt macht.

Jch verließ Urluck den 9ten May und gelangte uͤber
die Doͤrfer Kljutſchefskaja (19 Werſt) im hohen Ge-
birge Sawitſchi (7 Werſt) am Tſchikoi beyde mit klein-
rußiſchen Einwohnern beſetzt Karuͤm (12 Werſt) uͤber
einen andern Gebirgruͤcken, Oſſinoi genannt, nach dem
kleinen Dorfe Jtitei 15 Werſt in dem Kirchdorf Slo-
boda) Baichar
(7 Werſt), am Tſchikoi, den 12. May
an. Hier wohnen Sibiriaken oder ſibiriſche Nuſſen. —

Stellen
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[42/0050] Sievers Briefe Milch ſeyende Kuͤhe. Denn gewoͤhnlich muͤſſen dieſe Thiere ihr Futter auf der Steppe unter dem Schnee her- vorkratzen; und obſchon der Schnee in den hieſigen Steppen niemals hoch liegt und vom vorigen Jahr tro- ckenes unabgemaͤhetes Graß genug uͤbrig bleibt, ſo kann doch hierin wenig oder gar keine Nahrung ſeyn. Ueber- dem haben die hieſigen Kuͤhe gewoͤhnlich mit den Hun- den ihr Nachtlager auf der Straße, welches aber jetzt ſchon faſt allenthalben hier zur Gewohnheit geworden iſt. Das Kirchdorf hat ſeinen Namen von dem 2 Muͤh- len treibenden Fluͤßchen Urluck. Eine botaniſche Excur- ſion brachte, der noch fruͤhen Jahrszeit wegen, nur we- nig ein. Androſace villoſa und ein Aſtragalus — wa- ren meine ganze Beute. Freylich ſcheint der [FORMEL]te May nicht fruͤh mehr, aber, wie ſchon vorhin erwaͤhnt wor- den iſt, die Lage des Landes und der alcaliſch ſalzige Bo- den, verbieten den Pflanzen das fruͤhere Hervorkom- men, es ſeyen denn etwa fruͤhzeitige Landeskinder. Ue- berdem ſo ſind die engen Thaͤler noch in dieſer Zeit voll Schnee, der, wenn der Wind uͤber ſie hinſtreicht, die Luft ſehr kalt macht. Jch verließ Urluck den 9ten May und gelangte uͤber die Doͤrfer Kljutſchefskaja (19 Werſt) im hohen Ge- birge Sawitſchi (7 Werſt) am Tſchikoi beyde mit klein- rußiſchen Einwohnern beſetzt Karuͤm (12 Werſt) uͤber einen andern Gebirgruͤcken, Oſſinoi genannt, nach dem kleinen Dorfe Jtitei 15 Werſt in dem Kirchdorf Slo- boda) Baichar (7 Werſt), am Tſchikoi, den 12. May an. Hier wohnen Sibiriaken oder ſibiriſche Nuſſen. — Stellen

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/50>, abgerufen am 18.04.2024.