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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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aus Sibirien.
von kann kein warmes Wasser entstehen. -- Vorstehen-
de Experimente machte ich um 3 Uhr Nachmutag, als
die Sonne 4 Stunden geschienen hatte. Jch wieder-
holte selbe den nächsten Morgen früh, als bey kalter reg-
nigter Luft ein Dampf aus den warmen Quellen stieg.
Die Temperatur der Atmosphäre war 9° Wärme, und
die Quellen waren nur einen halben Grad kälter als ge-
stern, aber das Wasser des Kunalei brachte das Queck-
silber nur auf zwey Grad Wärme.

Obschon bis 9 Uhr an dem heutigen Tage ein
Staubregen fiel, so ließ ich doch die nunmehro munte-
rern Pferde bepacken, und ritt davon. Bald darauf
klärte es ganz auf mit einigen Donnerschlägen, und wir stie-
gen, indem wir den Kunalei verließen, der nicht fern von
hier aus 4 kleinern Flüßen, durch deren Vereinigung sei-
nen Ursprung nimmt, sechshundert Faden bestänoig ei-
nen kahlen Felsenberg oder Goletz hinauf. Jch sah bey
dieser für die Pferde sehr beschwerlichen Arbeit zum er-
stenmale das vortrefliche Rhodod. Chrysanthum in Blü-
the, gewiß eine der schönsten Alpenpflanzen. Wie wir
die kahle Spitze des Berges erreicht hatten, so mußten
wir den Pferden wiederum Ruhe geben, während dem
ich die fürchterlichsten Seenen in der Natur mit Er-
staunen betrachtete, mein hoher Standpunkt gewährte
mir auf allen Seiten freye Aussicht. Mit Schnee be-
deckte Gletscher, die sich in den Wolken verlohren, noch
weit höhere Felsen, wie vorhin gemeldet, krönten, wie
ganze Festungswerke und Ruinen die Berge (Chrebti);
andre rauchten, wie Vulkane, von Nebel. Ueber diese

brüllte,
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aus Sibirien.
von kann kein warmes Waſſer entſtehen. — Vorſtehen-
de Experimente machte ich um 3 Uhr Nachmutag, als
die Sonne 4 Stunden geſchienen hatte. Jch wieder-
holte ſelbe den naͤchſten Morgen fruͤh, als bey kalter reg-
nigter Luft ein Dampf aus den warmen Quellen ſtieg.
Die Temperatur der Atmosphaͤre war 9° Waͤrme, und
die Quellen waren nur einen halben Grad kaͤlter als ge-
ſtern, aber das Waſſer des Kunalei brachte das Queck-
ſilber nur auf zwey Grad Waͤrme.

Obſchon bis 9 Uhr an dem heutigen Tage ein
Staubregen fiel, ſo ließ ich doch die nunmehro munte-
rern Pferde bepacken, und ritt davon. Bald darauf
klaͤrte es ganz auf mit einigen Donnerſchlaͤgen, und wir ſtie-
gen, indem wir den Kunalei verließen, der nicht fern von
hier aus 4 kleinern Fluͤßen, durch deren Vereinigung ſei-
nen Urſprung nimmt, ſechshundert Faden beſtaͤnoig ei-
nen kahlen Felſenberg oder Goletz hinauf. Jch ſah bey
dieſer fuͤr die Pferde ſehr beſchwerlichen Arbeit zum er-
ſtenmale das vortrefliche Rhodod. Chryſanthum in Bluͤ-
the, gewiß eine der ſchoͤnſten Alpenpflanzen. Wie wir
die kahle Spitze des Berges erreicht hatten, ſo mußten
wir den Pferden wiederum Ruhe geben, waͤhrend dem
ich die fuͤrchterlichſten Seenen in der Natur mit Er-
ſtaunen betrachtete, mein hoher Standpunkt gewaͤhrte
mir auf allen Seiten freye Ausſicht. Mit Schnee be-
deckte Gletſcher, die ſich in den Wolken verlohren, noch
weit hoͤhere Felſen, wie vorhin gemeldet, kroͤnten, wie
ganze Feſtungswerke und Ruinen die Berge (Chrebti);
andre rauchten, wie Vulkane, von Nebel. Ueber dieſe

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[55/0063] aus Sibirien. von kann kein warmes Waſſer entſtehen. — Vorſtehen- de Experimente machte ich um 3 Uhr Nachmutag, als die Sonne 4 Stunden geſchienen hatte. Jch wieder- holte ſelbe den naͤchſten Morgen fruͤh, als bey kalter reg- nigter Luft ein Dampf aus den warmen Quellen ſtieg. Die Temperatur der Atmosphaͤre war 9° Waͤrme, und die Quellen waren nur einen halben Grad kaͤlter als ge- ſtern, aber das Waſſer des Kunalei brachte das Queck- ſilber nur auf zwey Grad Waͤrme. Obſchon bis 9 Uhr an dem heutigen Tage ein Staubregen fiel, ſo ließ ich doch die nunmehro munte- rern Pferde bepacken, und ritt davon. Bald darauf klaͤrte es ganz auf mit einigen Donnerſchlaͤgen, und wir ſtie- gen, indem wir den Kunalei verließen, der nicht fern von hier aus 4 kleinern Fluͤßen, durch deren Vereinigung ſei- nen Urſprung nimmt, ſechshundert Faden beſtaͤnoig ei- nen kahlen Felſenberg oder Goletz hinauf. Jch ſah bey dieſer fuͤr die Pferde ſehr beſchwerlichen Arbeit zum er- ſtenmale das vortrefliche Rhodod. Chryſanthum in Bluͤ- the, gewiß eine der ſchoͤnſten Alpenpflanzen. Wie wir die kahle Spitze des Berges erreicht hatten, ſo mußten wir den Pferden wiederum Ruhe geben, waͤhrend dem ich die fuͤrchterlichſten Seenen in der Natur mit Er- ſtaunen betrachtete, mein hoher Standpunkt gewaͤhrte mir auf allen Seiten freye Ausſicht. Mit Schnee be- deckte Gletſcher, die ſich in den Wolken verlohren, noch weit hoͤhere Felſen, wie vorhin gemeldet, kroͤnten, wie ganze Feſtungswerke und Ruinen die Berge (Chrebti); andre rauchten, wie Vulkane, von Nebel. Ueber dieſe bruͤllte, D 4

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/63>, abgerufen am 25.04.2024.