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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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ziehungen zu Anderen wirklich oder messbar werden -- so suchen wir
in der Welt nach den Substanzen, Grössen und Kräften, deren Sein
und Bedeutung in ihnen allein begründet ist, und unterscheiden sie
von allen relativen Existenzen und Bestimmungen -- von allen denen,
die nur durch Vergleich, Berührung oder Reaktion anderer das sind,
was sie sind. Die Richtung, in der dieser Gegensatz sich entwickelt,
wird gleichfalls durch unsere physiologische Anlage und ihr Verhältnis
zur Welt präjudiziert. So innig in unserem körperlich-geistigen Dasein
auch Bewegung und Ruhe, Aktivität nach aussen und Sammlung nach
innen verbunden sein mögen, so dass sie ihre Wichtigkeit und Be-
deutung erst aneinander finden -- so empfinden wir doch die eine
Seite dieser Gegensätze, die Ruhe, das Substanzielle, das innerlich
Feste an unseren Lebensinhalten als das eigentlich Wertvolle, als das
Definitive gegenüber dem Wechselnden, Unruhigen, Äusserlichen. Es
ist die Fortsetzung hiervon, wenn das Denken es im ganzen als seine
Aufgabe fühlt, hinter den Flüchtigkeiten der Erscheinung, dem Auf
und Nieder der Bewegungen das Unverrückbare und Verlässliche zu
finden, und uns aus dem Aufeinander-Angewiesensein zu dem sich
selbst Genügenden, auf sich selbst Gegründeten zu führen. So ge-
winnen wir die festen Punkte, die uns im Gewirr der Erscheinungen
orientieren und das objektive Gegenbild dessen abgeben, was wir in
uns selbst als unser Wertvolles und Definitives vorstellen. So gilt,
um mit den äusserlichsten Anwendungen dieser Tendenz zu beginnen,
das Licht als eine feine Substanz, die aus den Körpern strömt, so die
Wärme als ein Stoff, so das körperliche Leben als Wirksamkeit sub-
stanzieller Lebensgeister, so die seelischen Vorgänge als getragen von
einer besonderen Seelensubstanz; die Mythologien, die hinter den
Donner einen Donnerer, unter die Erde einen festen Unterbau, damit
sie nicht falle, in die Gestirne Geister setzten, die sie in ihren Bahnen
herumführten, suchen nicht weniger für die wahrgenommenen Bestimmt-
heiten und Bewegungen eine Substanz, an der diese nicht nur hafte,
sondern die eigentlich die wirksame Kraft selbst ist. Und über die
blossen Beziehungen der Dinge, über ihre Zufälligkeit und Zeitlichkeit
hinaus wird ein Absolutes gesucht: frühe Denkweisen können sich mit
der Entwicklung, dem Gehen und Kommen aller irdischen Formen im
Körperlichen und Geistigen nicht abfinden, sondern jede Art der Lebe-
wesen ist ihnen ein unveränderlicher Schöpfungsgedanke; Institutionen,
Lebensformen, Wertungen sind von jeher, absolut, so gewesen wie
sie jetzt sind, die Erscheinungen der Welt gelten nicht nur für den
Menschen und seine Organisation, sondern sie sind an und für sich
so, wie wir sie vorstellen. Kurz, die erste Tendenz des Denkens, mit

ziehungen zu Anderen wirklich oder meſsbar werden — so suchen wir
in der Welt nach den Substanzen, Gröſsen und Kräften, deren Sein
und Bedeutung in ihnen allein begründet ist, und unterscheiden sie
von allen relativen Existenzen und Bestimmungen — von allen denen,
die nur durch Vergleich, Berührung oder Reaktion anderer das sind,
was sie sind. Die Richtung, in der dieser Gegensatz sich entwickelt,
wird gleichfalls durch unsere physiologische Anlage und ihr Verhältnis
zur Welt präjudiziert. So innig in unserem körperlich-geistigen Dasein
auch Bewegung und Ruhe, Aktivität nach auſsen und Sammlung nach
innen verbunden sein mögen, so daſs sie ihre Wichtigkeit und Be-
deutung erst aneinander finden — so empfinden wir doch die eine
Seite dieser Gegensätze, die Ruhe, das Substanzielle, das innerlich
Feste an unseren Lebensinhalten als das eigentlich Wertvolle, als das
Definitive gegenüber dem Wechselnden, Unruhigen, Äuſserlichen. Es
ist die Fortsetzung hiervon, wenn das Denken es im ganzen als seine
Aufgabe fühlt, hinter den Flüchtigkeiten der Erscheinung, dem Auf
und Nieder der Bewegungen das Unverrückbare und Verläſsliche zu
finden, und uns aus dem Aufeinander-Angewiesensein zu dem sich
selbst Genügenden, auf sich selbst Gegründeten zu führen. So ge-
winnen wir die festen Punkte, die uns im Gewirr der Erscheinungen
orientieren und das objektive Gegenbild dessen abgeben, was wir in
uns selbst als unser Wertvolles und Definitives vorstellen. So gilt,
um mit den äuſserlichsten Anwendungen dieser Tendenz zu beginnen,
das Licht als eine feine Substanz, die aus den Körpern strömt, so die
Wärme als ein Stoff, so das körperliche Leben als Wirksamkeit sub-
stanzieller Lebensgeister, so die seelischen Vorgänge als getragen von
einer besonderen Seelensubstanz; die Mythologien, die hinter den
Donner einen Donnerer, unter die Erde einen festen Unterbau, damit
sie nicht falle, in die Gestirne Geister setzten, die sie in ihren Bahnen
herumführten, suchen nicht weniger für die wahrgenommenen Bestimmt-
heiten und Bewegungen eine Substanz, an der diese nicht nur hafte,
sondern die eigentlich die wirksame Kraft selbst ist. Und über die
bloſsen Beziehungen der Dinge, über ihre Zufälligkeit und Zeitlichkeit
hinaus wird ein Absolutes gesucht: frühe Denkweisen können sich mit
der Entwicklung, dem Gehen und Kommen aller irdischen Formen im
Körperlichen und Geistigen nicht abfinden, sondern jede Art der Lebe-
wesen ist ihnen ein unveränderlicher Schöpfungsgedanke; Institutionen,
Lebensformen, Wertungen sind von jeher, absolut, so gewesen wie
sie jetzt sind, die Erscheinungen der Welt gelten nicht nur für den
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so, wie wir sie vorstellen. Kurz, die erste Tendenz des Denkens, mit

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[59/0083] ziehungen zu Anderen wirklich oder meſsbar werden — so suchen wir in der Welt nach den Substanzen, Gröſsen und Kräften, deren Sein und Bedeutung in ihnen allein begründet ist, und unterscheiden sie von allen relativen Existenzen und Bestimmungen — von allen denen, die nur durch Vergleich, Berührung oder Reaktion anderer das sind, was sie sind. Die Richtung, in der dieser Gegensatz sich entwickelt, wird gleichfalls durch unsere physiologische Anlage und ihr Verhältnis zur Welt präjudiziert. So innig in unserem körperlich-geistigen Dasein auch Bewegung und Ruhe, Aktivität nach auſsen und Sammlung nach innen verbunden sein mögen, so daſs sie ihre Wichtigkeit und Be- deutung erst aneinander finden — so empfinden wir doch die eine Seite dieser Gegensätze, die Ruhe, das Substanzielle, das innerlich Feste an unseren Lebensinhalten als das eigentlich Wertvolle, als das Definitive gegenüber dem Wechselnden, Unruhigen, Äuſserlichen. Es ist die Fortsetzung hiervon, wenn das Denken es im ganzen als seine Aufgabe fühlt, hinter den Flüchtigkeiten der Erscheinung, dem Auf und Nieder der Bewegungen das Unverrückbare und Verläſsliche zu finden, und uns aus dem Aufeinander-Angewiesensein zu dem sich selbst Genügenden, auf sich selbst Gegründeten zu führen. So ge- winnen wir die festen Punkte, die uns im Gewirr der Erscheinungen orientieren und das objektive Gegenbild dessen abgeben, was wir in uns selbst als unser Wertvolles und Definitives vorstellen. So gilt, um mit den äuſserlichsten Anwendungen dieser Tendenz zu beginnen, das Licht als eine feine Substanz, die aus den Körpern strömt, so die Wärme als ein Stoff, so das körperliche Leben als Wirksamkeit sub- stanzieller Lebensgeister, so die seelischen Vorgänge als getragen von einer besonderen Seelensubstanz; die Mythologien, die hinter den Donner einen Donnerer, unter die Erde einen festen Unterbau, damit sie nicht falle, in die Gestirne Geister setzten, die sie in ihren Bahnen herumführten, suchen nicht weniger für die wahrgenommenen Bestimmt- heiten und Bewegungen eine Substanz, an der diese nicht nur hafte, sondern die eigentlich die wirksame Kraft selbst ist. Und über die bloſsen Beziehungen der Dinge, über ihre Zufälligkeit und Zeitlichkeit hinaus wird ein Absolutes gesucht: frühe Denkweisen können sich mit der Entwicklung, dem Gehen und Kommen aller irdischen Formen im Körperlichen und Geistigen nicht abfinden, sondern jede Art der Lebe- wesen ist ihnen ein unveränderlicher Schöpfungsgedanke; Institutionen, Lebensformen, Wertungen sind von jeher, absolut, so gewesen wie sie jetzt sind, die Erscheinungen der Welt gelten nicht nur für den Menschen und seine Organisation, sondern sie sind an und für sich so, wie wir sie vorstellen. Kurz, die erste Tendenz des Denkens, mit

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/83>, abgerufen am 20.04.2024.