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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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liches, das auf das liebenswürdigste mit der steifstelligen
Ordnung, die in dem Innern des Schlosses Grenwitz
herrschte, contrastirte.

"Ich bin doch neugierig, ob Jemand auf mein
Klingeln kommen wird," sagte Melitta, ihren Hut auf
den Tisch werfend und nach der Klingelschnur gehend.
"Unmöglich ist es gar nicht, daß wir uns höchstselbst
in die Speisekammer werden verfügen müssen, notabene,
wenn wir den Schlüssel auftreiben können."

Sie klingelte und wandte sich wieder zu Oswald,
der eine der Marmorbüsten, welche die Wände des
Saales schmückten, betrachtete.

"Wie finden Sie diese Maske?"

"Sehr schön; es ist die Rhodontinische Meduse."

"Ah! ich sehe, Sie sind ein Kenner."

"Höchstens ein Liebhaber. Ich habe in der Resi¬
denz und sonst manches gesehen; meistens freilich nur
Gypse. Seit meinen Knabenjahren war es mein sehn¬
lichster Wunsch, einmal in das gelobte Land Italien
zu wallfahren, um dem hohen Gott Apollo von Bel¬
vedere persönlich meine Huldigung darbringen zu können."

"Nun das ist doch kein so unbescheidener Wunsch."

"Wenn es unbescheiden ist, zu wünschen, was uns
nicht beschieden -- doch."

"So wäre es unbescheiden, daß wir etwas zu ves¬

liches, das auf das liebenswürdigſte mit der ſteifſtelligen
Ordnung, die in dem Innern des Schloſſes Grenwitz
herrſchte, contraſtirte.

„Ich bin doch neugierig, ob Jemand auf mein
Klingeln kommen wird,“ ſagte Melitta, ihren Hut auf
den Tiſch werfend und nach der Klingelſchnur gehend.
„Unmöglich iſt es gar nicht, daß wir uns höchſtſelbſt
in die Speiſekammer werden verfügen müſſen, notabene,
wenn wir den Schlüſſel auftreiben können.“

Sie klingelte und wandte ſich wieder zu Oswald,
der eine der Marmorbüſten, welche die Wände des
Saales ſchmückten, betrachtete.

„Wie finden Sie dieſe Maske?“

„Sehr ſchön; es iſt die Rhodontiniſche Meduſe.“

„Ah! ich ſehe, Sie ſind ein Kenner.“

„Höchſtens ein Liebhaber. Ich habe in der Reſi¬
denz und ſonſt manches geſehen; meiſtens freilich nur
Gypſe. Seit meinen Knabenjahren war es mein ſehn¬
lichſter Wunſch, einmal in das gelobte Land Italien
zu wallfahren, um dem hohen Gott Apollo von Bel¬
vedere perſönlich meine Huldigung darbringen zu können.“

„Nun das iſt doch kein ſo unbeſcheidener Wunſch.“

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nicht beſchieden — doch.“

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[167/0177] liches, das auf das liebenswürdigſte mit der ſteifſtelligen Ordnung, die in dem Innern des Schloſſes Grenwitz herrſchte, contraſtirte. „Ich bin doch neugierig, ob Jemand auf mein Klingeln kommen wird,“ ſagte Melitta, ihren Hut auf den Tiſch werfend und nach der Klingelſchnur gehend. „Unmöglich iſt es gar nicht, daß wir uns höchſtſelbſt in die Speiſekammer werden verfügen müſſen, notabene, wenn wir den Schlüſſel auftreiben können.“ Sie klingelte und wandte ſich wieder zu Oswald, der eine der Marmorbüſten, welche die Wände des Saales ſchmückten, betrachtete. „Wie finden Sie dieſe Maske?“ „Sehr ſchön; es iſt die Rhodontiniſche Meduſe.“ „Ah! ich ſehe, Sie ſind ein Kenner.“ „Höchſtens ein Liebhaber. Ich habe in der Reſi¬ denz und ſonſt manches geſehen; meiſtens freilich nur Gypſe. Seit meinen Knabenjahren war es mein ſehn¬ lichſter Wunſch, einmal in das gelobte Land Italien zu wallfahren, um dem hohen Gott Apollo von Bel¬ vedere perſönlich meine Huldigung darbringen zu können.“ „Nun das iſt doch kein ſo unbeſcheidener Wunſch.“ „Wenn es unbeſcheiden iſt, zu wünſchen, was uns nicht beſchieden — doch.“ „So wäre es unbeſcheiden, daß wir etwas zu ves¬

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/177>, abgerufen am 29.03.2024.