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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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gewußt, ihren Kopf behalten, und plauderte in stiller
Nacht geschwätzig von der guten alten Zeit.

So hatte von dem Riesenwalle, der aus der grauen
Heidenzeit stammte, bis zu den Spargelbeeten, die
gestern angelegt waren, seit einem Jahrtausend jede
Generation etwas zur Befestigung, Verschönerung oder
Verbesserung dieses Wohnsitzes beigetragen. Vieles
war spurlos verschwunden, Vieles hatte sich erhalten;
Altes hatte der Zeit gespottet, Neues war mit der
Zeit alt geworden; aber da selbst das Aelteste die
Spuren des Lebens, der fortdauernden Nutzbarkeit trug,
so war nirgends ein Sprung, ein Riß bemerkbar, und
das Ganze machte den wohlthuenden Eindruck, als ob
es eben nicht anders sein könnte. Zwar seinen primi¬
tiven Charakter hatte Schloß Grenwitz gänzlich einge¬
büßt, und wenn Oswald des Abends, von einem Spa¬
ziergange mit seinen Zöglingen zurückkommend, auf
einer Stelle des Walles stehen blieb, von der er den
schattigen, grasbewachsenen Hof, den blumenreichen
Garten und das Schloß überblicken konnte, um dessen
graue Mauern das Zwielicht wogte und die schnellen
Schwalben zwitschernd kreis'ten, da glaubte er nicht
die alte Stammburg fehdelustiger Barone, sondern das
stille Klosterasyl beschaulicher Mönche vor sich zu sehen.


gewußt, ihren Kopf behalten, und plauderte in ſtiller
Nacht geſchwätzig von der guten alten Zeit.

So hatte von dem Rieſenwalle, der aus der grauen
Heidenzeit ſtammte, bis zu den Spargelbeeten, die
geſtern angelegt waren, ſeit einem Jahrtauſend jede
Generation etwas zur Befeſtigung, Verſchönerung oder
Verbeſſerung dieſes Wohnſitzes beigetragen. Vieles
war ſpurlos verſchwunden, Vieles hatte ſich erhalten;
Altes hatte der Zeit geſpottet, Neues war mit der
Zeit alt geworden; aber da ſelbſt das Aelteſte die
Spuren des Lebens, der fortdauernden Nutzbarkeit trug,
ſo war nirgends ein Sprung, ein Riß bemerkbar, und
das Ganze machte den wohlthuenden Eindruck, als ob
es eben nicht anders ſein könnte. Zwar ſeinen primi¬
tiven Charakter hatte Schloß Grenwitz gänzlich einge¬
büßt, und wenn Oswald des Abends, von einem Spa¬
ziergange mit ſeinen Zöglingen zurückkommend, auf
einer Stelle des Walles ſtehen blieb, von der er den
ſchattigen, grasbewachſenen Hof, den blumenreichen
Garten und das Schloß überblicken konnte, um deſſen
graue Mauern das Zwielicht wogte und die ſchnellen
Schwalben zwitſchernd kreiſ'ten, da glaubte er nicht
die alte Stammburg fehdeluſtiger Barone, ſondern das
ſtille Kloſteraſyl beſchaulicher Mönche vor ſich zu ſehen.


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[37/0047] gewußt, ihren Kopf behalten, und plauderte in ſtiller Nacht geſchwätzig von der guten alten Zeit. So hatte von dem Rieſenwalle, der aus der grauen Heidenzeit ſtammte, bis zu den Spargelbeeten, die geſtern angelegt waren, ſeit einem Jahrtauſend jede Generation etwas zur Befeſtigung, Verſchönerung oder Verbeſſerung dieſes Wohnſitzes beigetragen. Vieles war ſpurlos verſchwunden, Vieles hatte ſich erhalten; Altes hatte der Zeit geſpottet, Neues war mit der Zeit alt geworden; aber da ſelbſt das Aelteſte die Spuren des Lebens, der fortdauernden Nutzbarkeit trug, ſo war nirgends ein Sprung, ein Riß bemerkbar, und das Ganze machte den wohlthuenden Eindruck, als ob es eben nicht anders ſein könnte. Zwar ſeinen primi¬ tiven Charakter hatte Schloß Grenwitz gänzlich einge¬ büßt, und wenn Oswald des Abends, von einem Spa¬ ziergange mit ſeinen Zöglingen zurückkommend, auf einer Stelle des Walles ſtehen blieb, von der er den ſchattigen, grasbewachſenen Hof, den blumenreichen Garten und das Schloß überblicken konnte, um deſſen graue Mauern das Zwielicht wogte und die ſchnellen Schwalben zwitſchernd kreiſ'ten, da glaubte er nicht die alte Stammburg fehdeluſtiger Barone, ſondern das ſtille Kloſteraſyl beſchaulicher Mönche vor ſich zu ſehen.

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/47>, abgerufen am 19.04.2024.