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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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-- und stand Melitta, die von ihrer Cousine an der
Hand geführt wurde, Angesicht gegen Angesicht gegen¬
über. Oswald war wie von einer magnetischen Kraft
aus der Fensternische bis nahe an die Stelle gezogen
worden, so daß ihm kein Wort, kein Blick entging.
Er sah, daß Melitta erblaßte und ihre dunkeln Augen
wie im Zorn aufflammten, als Oldenburg sich tief
vor ihr verbeugte.

"Ah, gnädige Frau," sagte er mit einem eigen¬
thümlichen Lächeln: "als wir uns zuletzt sahen, schien
uns die Sonne Siciliens, und jetzt" --

"Scheint der Mond -- wollen Sie sagen," ent¬
gegnete Melitta, und um ihre Lippen spielte ein höhnisch¬
bitterer Zug, den Oswald noch nicht an ihr gesehen
hatte -- "umgekehrt, lieber Baron, als wir uns zu¬
letzt sahen, schien der Mond; wissen Sie wohl noch
in dem Garten der Villa Serra di Falco bei Palermo?
-- und da wir uns wiedersehen, scheint die Sonne
-- mir wenigstens."

Der Sinn dieser letzten Worte mußte wohl Jedem
verborgen bleiben, nur nicht dem, für welchen sie ge¬
sprochen waren. Melitta hatte, indem sie sich halb
umwandte, Oswald bemerkt, und ihm so freundlich
zugelächelt, daß Herr von Barnewitz, der neben ihm
stand, sich an der Ueberraschungsscene, die er so mühsam

— und ſtand Melitta, die von ihrer Couſine an der
Hand geführt wurde, Angeſicht gegen Angeſicht gegen¬
über. Oswald war wie von einer magnetiſchen Kraft
aus der Fenſterniſche bis nahe an die Stelle gezogen
worden, ſo daß ihm kein Wort, kein Blick entging.
Er ſah, daß Melitta erblaßte und ihre dunkeln Augen
wie im Zorn aufflammten, als Oldenburg ſich tief
vor ihr verbeugte.

„Ah, gnädige Frau,“ ſagte er mit einem eigen¬
thümlichen Lächeln: „als wir uns zuletzt ſahen, ſchien
uns die Sonne Siciliens, und jetzt“ —

„Scheint der Mond — wollen Sie ſagen,“ ent¬
gegnete Melitta, und um ihre Lippen ſpielte ein höhniſch¬
bitterer Zug, den Oswald noch nicht an ihr geſehen
hatte — „umgekehrt, lieber Baron, als wir uns zu¬
letzt ſahen, ſchien der Mond; wiſſen Sie wohl noch
in dem Garten der Villa Serra di Falco bei Palermo?
— und da wir uns wiederſehen, ſcheint die Sonne
— mir wenigſtens.“

Der Sinn dieſer letzten Worte mußte wohl Jedem
verborgen bleiben, nur nicht dem, für welchen ſie ge¬
ſprochen waren. Melitta hatte, indem ſie ſich halb
umwandte, Oswald bemerkt, und ihm ſo freundlich
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[24/0034] — und ſtand Melitta, die von ihrer Couſine an der Hand geführt wurde, Angeſicht gegen Angeſicht gegen¬ über. Oswald war wie von einer magnetiſchen Kraft aus der Fenſterniſche bis nahe an die Stelle gezogen worden, ſo daß ihm kein Wort, kein Blick entging. Er ſah, daß Melitta erblaßte und ihre dunkeln Augen wie im Zorn aufflammten, als Oldenburg ſich tief vor ihr verbeugte. „Ah, gnädige Frau,“ ſagte er mit einem eigen¬ thümlichen Lächeln: „als wir uns zuletzt ſahen, ſchien uns die Sonne Siciliens, und jetzt“ — „Scheint der Mond — wollen Sie ſagen,“ ent¬ gegnete Melitta, und um ihre Lippen ſpielte ein höhniſch¬ bitterer Zug, den Oswald noch nicht an ihr geſehen hatte — „umgekehrt, lieber Baron, als wir uns zu¬ letzt ſahen, ſchien der Mond; wiſſen Sie wohl noch in dem Garten der Villa Serra di Falco bei Palermo? — und da wir uns wiederſehen, ſcheint die Sonne — mir wenigſtens.“ Der Sinn dieſer letzten Worte mußte wohl Jedem verborgen bleiben, nur nicht dem, für welchen ſie ge¬ ſprochen waren. Melitta hatte, indem ſie ſich halb umwandte, Oswald bemerkt, und ihm ſo freundlich zugelächelt, daß Herr von Barnewitz, der neben ihm ſtand, ſich an der Ueberraſchungsſcene, die er ſo mühſam

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/34>, abgerufen am 29.03.2024.