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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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ihrem Neffen einmal das Taschentuch gezogen hatte,
um die Beleidigte mit noch größerer Würde zu spielen.
Indessen war es heute Abend zu spät, noch Nachfor¬
schungen anzustellen; sie mußte es sich gefallen lassen,
eine beinahe schlaflose Nacht zuzubringen und am
nächsten Morgen mit einem heftigen Kopfweh aufzu¬
wachen. Sie ging alsbald in den Garten nach der
Kapelle. Der Brief war nicht da; auch nicht in dem
Buchengange, oder in der Laube. Im höchsten Maße
verdrießlich über diesen bösen Zufall ging die Baronin
in's Schloß zurück.

Dort erwarteten sie andere Unannehmlichkeiten.
Oswald schickte herunter, um zu melden, daß Bruno
sich nach einer schlaflosen Nacht sehr unwohl fühle,
und daß er (Oswald) bitte, man möge einen reiten¬
den Boten zu Dr. Braun senden. Auch ließ er bitten,
Malte für heute unten zu behalten, da er, bis der
Doctor käme, Bruno nicht gern allein lassen möchte.
Die Baronin ließ zurücksagen: sie hoffe, daß es mit
Bruno's Unwohlsein nicht viel auf sich haben und
daß die in dem Unterricht eintretende Pause nicht zu
lange dauern werde. Uebrigens würde heute im Laufe
des Vormittags noch so wie so in die Stadt geschickt.

Ein paar Stunden später ließ Felix sich entschul¬
digen, wenn er heute nicht zum Frühstück komme; er

ihrem Neffen einmal das Taſchentuch gezogen hatte,
um die Beleidigte mit noch größerer Würde zu ſpielen.
Indeſſen war es heute Abend zu ſpät, noch Nachfor¬
ſchungen anzuſtellen; ſie mußte es ſich gefallen laſſen,
eine beinahe ſchlafloſe Nacht zuzubringen und am
nächſten Morgen mit einem heftigen Kopfweh aufzu¬
wachen. Sie ging alsbald in den Garten nach der
Kapelle. Der Brief war nicht da; auch nicht in dem
Buchengange, oder in der Laube. Im höchſten Maße
verdrießlich über dieſen böſen Zufall ging die Baronin
in's Schloß zurück.

Dort erwarteten ſie andere Unannehmlichkeiten.
Oswald ſchickte herunter, um zu melden, daß Bruno
ſich nach einer ſchlafloſen Nacht ſehr unwohl fühle,
und daß er (Oswald) bitte, man möge einen reiten¬
den Boten zu Dr. Braun ſenden. Auch ließ er bitten,
Malte für heute unten zu behalten, da er, bis der
Doctor käme, Bruno nicht gern allein laſſen möchte.
Die Baronin ließ zurückſagen: ſie hoffe, daß es mit
Bruno's Unwohlſein nicht viel auf ſich haben und
daß die in dem Unterricht eintretende Pauſe nicht zu
lange dauern werde. Uebrigens würde heute im Laufe
des Vormittags noch ſo wie ſo in die Stadt geſchickt.

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[157/0167] ihrem Neffen einmal das Taſchentuch gezogen hatte, um die Beleidigte mit noch größerer Würde zu ſpielen. Indeſſen war es heute Abend zu ſpät, noch Nachfor¬ ſchungen anzuſtellen; ſie mußte es ſich gefallen laſſen, eine beinahe ſchlafloſe Nacht zuzubringen und am nächſten Morgen mit einem heftigen Kopfweh aufzu¬ wachen. Sie ging alsbald in den Garten nach der Kapelle. Der Brief war nicht da; auch nicht in dem Buchengange, oder in der Laube. Im höchſten Maße verdrießlich über dieſen böſen Zufall ging die Baronin in's Schloß zurück. Dort erwarteten ſie andere Unannehmlichkeiten. Oswald ſchickte herunter, um zu melden, daß Bruno ſich nach einer ſchlafloſen Nacht ſehr unwohl fühle, und daß er (Oswald) bitte, man möge einen reiten¬ den Boten zu Dr. Braun ſenden. Auch ließ er bitten, Malte für heute unten zu behalten, da er, bis der Doctor käme, Bruno nicht gern allein laſſen möchte. Die Baronin ließ zurückſagen: ſie hoffe, daß es mit Bruno's Unwohlſein nicht viel auf ſich haben und daß die in dem Unterricht eintretende Pauſe nicht zu lange dauern werde. Uebrigens würde heute im Laufe des Vormittags noch ſo wie ſo in die Stadt geſchickt. Ein paar Stunden ſpäter ließ Felix ſich entſchul¬ digen, wenn er heute nicht zum Frühſtück komme; er

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/167>, abgerufen am 03.05.2024.