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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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fertig sei, zu ihr zu kommen, und Helene sollte sie
ruhig, gelassen, zu einem freundschaftlich ernsten Ge¬
spräch aufgelegt finden.

Aeußerlich wenigstens. In ihrem Herzen freilich
sah es anders aus. Zwar die Sorge um den Brief
schien sich als unnöthig erwiesen zu haben. Offenbar
war er noch nicht wieder in Helenen's Hände gelangt
und das war für den Augenblick die Hauptsache. So
konnte man doch alle Pfeile, die man aus der Lec¬
türe gesammelt hatte, abschnellen, ohne fürchten zu
müssen, daß sie auf den Schützen zurücksprängen.
Nichtsdestoweniger hatte die kluge und muthige Frau
nie einer Unterredung mit irgend Jemand -- und
sie hatte doch, da die ganze Last der Verwaltung des
großen Vermögens fast ganz allein auf ihren Schul¬
tern lag, manche wichtige Verhandlung zu führen ge¬
habt -- so voller Unruhe entgegen gesehen. Sie
dachte im Allgemeinen nicht sehr hoch von den Men¬
schen und berechnete den Werth der Einzelnen nach
der Höhe des Preises, für welchen sie ihre sogenannten
Ueberzeugungen aufzugeben bereit waren. Denn daß
sich Jeder kaufen lasse, wenn er nur den rechten
Käufer finde, war bei der Baronin, wie bei Vielen,
bei Allen, die dem Gott Mammon von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe dienen,

fertig ſei, zu ihr zu kommen, und Helene ſollte ſie
ruhig, gelaſſen, zu einem freundſchaftlich ernſten Ge¬
ſpräch aufgelegt finden.

Aeußerlich wenigſtens. In ihrem Herzen freilich
ſah es anders aus. Zwar die Sorge um den Brief
ſchien ſich als unnöthig erwieſen zu haben. Offenbar
war er noch nicht wieder in Helenen's Hände gelangt
und das war für den Augenblick die Hauptſache. So
konnte man doch alle Pfeile, die man aus der Lec¬
türe geſammelt hatte, abſchnellen, ohne fürchten zu
müſſen, daß ſie auf den Schützen zurückſprängen.
Nichtsdeſtoweniger hatte die kluge und muthige Frau
nie einer Unterredung mit irgend Jemand — und
ſie hatte doch, da die ganze Laſt der Verwaltung des
großen Vermögens faſt ganz allein auf ihren Schul¬
tern lag, manche wichtige Verhandlung zu führen ge¬
habt — ſo voller Unruhe entgegen geſehen. Sie
dachte im Allgemeinen nicht ſehr hoch von den Men¬
ſchen und berechnete den Werth der Einzelnen nach
der Höhe des Preiſes, für welchen ſie ihre ſogenannten
Ueberzeugungen aufzugeben bereit waren. Denn daß
ſich Jeder kaufen laſſe, wenn er nur den rechten
Käufer finde, war bei der Baronin, wie bei Vielen,
bei Allen, die dem Gott Mammon von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe dienen,

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[206/0216] fertig ſei, zu ihr zu kommen, und Helene ſollte ſie ruhig, gelaſſen, zu einem freundſchaftlich ernſten Ge¬ ſpräch aufgelegt finden. Aeußerlich wenigſtens. In ihrem Herzen freilich ſah es anders aus. Zwar die Sorge um den Brief ſchien ſich als unnöthig erwieſen zu haben. Offenbar war er noch nicht wieder in Helenen's Hände gelangt und das war für den Augenblick die Hauptſache. So konnte man doch alle Pfeile, die man aus der Lec¬ türe geſammelt hatte, abſchnellen, ohne fürchten zu müſſen, daß ſie auf den Schützen zurückſprängen. Nichtsdeſtoweniger hatte die kluge und muthige Frau nie einer Unterredung mit irgend Jemand — und ſie hatte doch, da die ganze Laſt der Verwaltung des großen Vermögens faſt ganz allein auf ihren Schul¬ tern lag, manche wichtige Verhandlung zu führen ge¬ habt — ſo voller Unruhe entgegen geſehen. Sie dachte im Allgemeinen nicht ſehr hoch von den Men¬ ſchen und berechnete den Werth der Einzelnen nach der Höhe des Preiſes, für welchen ſie ihre ſogenannten Ueberzeugungen aufzugeben bereit waren. Denn daß ſich Jeder kaufen laſſe, wenn er nur den rechten Käufer finde, war bei der Baronin, wie bei Vielen, bei Allen, die dem Gott Mammon von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe dienen,

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/216>, abgerufen am 16.04.2024.