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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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Es stand jetzt für ihn fest: daß seines Bleibens
in diesem Hause nicht länger sein dürfe.

Wie er fürder ohne Bruno würde leben können;
wie er sich von der Seligkeit, Helene'n täglich zu sehen,
würde lossagen können -- er wußte es nicht. Er
wußte nur dies Eine: Du mußt fort.

Das wiederholte er sich immer, während er Bruno's
Kissen glättete, Bruno's heiße Hände in die seinen
nahm, ihm das üppige Haar aus der Stirn strich,
seine glühenden Lippen netzte. Es war eine frauen¬
hafte Zartheit in diesen Liebesdiensten.

"Wenn meine Mutter lebte, sie könnte mich nicht
besser pflegen," sagte Bruno, ihm dankbar die Hand
drückend.

"Du hast Deine Mutter nie gekannt, Bruno."

"Kaum, ich war erst drei Jahre, als sie starb.
Aber von meinem Vater weiß ich noch." Und nun
fing der Knabe mit fieberhafter Lebendigkeit an von
seinem Vater zu erzählen: wie schön und groß und
stark er gewesen sei, "nicht so schlank wie Du, aber
noch breiter in den Schultern, und mit langen dun¬
keln Locken, die ihm bis auf die Schultern wallten,
wie der König Harfagar." Und von dem kleinen Gute,
hoch oben in Dalekarlien, das der Vater mit noch
zwei Knechten ganz allein bewirthschaftet habe. Und

Es ſtand jetzt für ihn feſt: daß ſeines Bleibens
in dieſem Hauſe nicht länger ſein dürfe.

Wie er fürder ohne Bruno würde leben können;
wie er ſich von der Seligkeit, Helene'n täglich zu ſehen,
würde losſagen können — er wußte es nicht. Er
wußte nur dies Eine: Du mußt fort.

Das wiederholte er ſich immer, während er Bruno's
Kiſſen glättete, Bruno's heiße Hände in die ſeinen
nahm, ihm das üppige Haar aus der Stirn ſtrich,
ſeine glühenden Lippen netzte. Es war eine frauen¬
hafte Zartheit in dieſen Liebesdienſten.

„Wenn meine Mutter lebte, ſie könnte mich nicht
beſſer pflegen,“ ſagte Bruno, ihm dankbar die Hand
drückend.

„Du haſt Deine Mutter nie gekannt, Bruno.“

„Kaum, ich war erſt drei Jahre, als ſie ſtarb.
Aber von meinem Vater weiß ich noch.“ Und nun
fing der Knabe mit fieberhafter Lebendigkeit an von
ſeinem Vater zu erzählen: wie ſchön und groß und
ſtark er geweſen ſei, „nicht ſo ſchlank wie Du, aber
noch breiter in den Schultern, und mit langen dun¬
keln Locken, die ihm bis auf die Schultern wallten,
wie der König Harfagar.“ Und von dem kleinen Gute,
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[252/0262] Es ſtand jetzt für ihn feſt: daß ſeines Bleibens in dieſem Hauſe nicht länger ſein dürfe. Wie er fürder ohne Bruno würde leben können; wie er ſich von der Seligkeit, Helene'n täglich zu ſehen, würde losſagen können — er wußte es nicht. Er wußte nur dies Eine: Du mußt fort. Das wiederholte er ſich immer, während er Bruno's Kiſſen glättete, Bruno's heiße Hände in die ſeinen nahm, ihm das üppige Haar aus der Stirn ſtrich, ſeine glühenden Lippen netzte. Es war eine frauen¬ hafte Zartheit in dieſen Liebesdienſten. „Wenn meine Mutter lebte, ſie könnte mich nicht beſſer pflegen,“ ſagte Bruno, ihm dankbar die Hand drückend. „Du haſt Deine Mutter nie gekannt, Bruno.“ „Kaum, ich war erſt drei Jahre, als ſie ſtarb. Aber von meinem Vater weiß ich noch.“ Und nun fing der Knabe mit fieberhafter Lebendigkeit an von ſeinem Vater zu erzählen: wie ſchön und groß und ſtark er geweſen ſei, „nicht ſo ſchlank wie Du, aber noch breiter in den Schultern, und mit langen dun¬ keln Locken, die ihm bis auf die Schultern wallten, wie der König Harfagar.“ Und von dem kleinen Gute, hoch oben in Dalekarlien, das der Vater mit noch zwei Knechten ganz allein bewirthſchaftet habe. Und

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/262>, abgerufen am 16.05.2024.