Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.ches sie ihm nie versagten, machte ihn den ganzen ches ſie ihm nie verſagten, machte ihn den ganzen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="154"/> ches ſie ihm nie verſagten, machte ihn den ganzen<lb/> Tag munter und froͤhlich, nur mußten ſie ſich<lb/> ſorgfaͤltig huͤten, ihm nichts zu geben, was ihn<lb/> an Kerker und Gefaͤngniß erinnern konnte, denn<lb/> dies machte ihn, wenigſtens auf einige Stunden,<lb/> aͤuſſerſt traurig. Ehe ſie dies noch wußten, brach-<lb/> te ihm einſt die verſtorbne Schweſter eine Puppe<lb/> nach Hauſe, welche eine mit Ketten behangene<lb/> Sklavin vorſtellte, er fieng ſogleich zu weinen an,<lb/> loͤſte ihre Ketten, und trug ſie den ganzen Tag<lb/> ſtillſchweigend in ſeinen Armen herum; erſt Abends<lb/> gelang es ihnen, die Puppe weg zu nehmen, am<lb/> Morgen hatte er ſie ganz vergeſſen. Ungeachtet<lb/> er auch nicht ein Kind beleidigt, ſo koͤnnen ſie ihn<lb/> doch nie allein ausgehen laſſen, weil er den Weg<lb/> nicht nach Hauſe finden kann, und ſich dann an<lb/> eine Ecke ſetzt und bitterlich weint. Er geht gerne<lb/> am Waſſer, noch lieber in ſchoͤnen Gaͤrten, am<lb/> allerliebſten auf dem Kirchhofe ſpazieren, dort<lb/> mahlt er ſtundenlang mit den Fingern die Buch-<lb/> ſtaben auf den Leichenſteinen nach, betrachtet ſie<lb/> dann mit groͤßtem Vergnuͤgen, und lobt am Ende<lb/> laut und anhaltend ſeine ſchoͤne Arbeit. Sein aͤl-<lb/> teſter Sohn ſtaffiert ſchoͤn und geſchmackvoll; der<lb/> alte Vater, welcher in dieſer Kunſt Meiſter und<lb/> Kenner war, ſieht ihm oft Stunden lang zu, aber<lb/> er verraͤth nie die geringſte Kenntniß, nur ein ein-<lb/> ziges mal vergoldete er eine Nuß, und bezeigte<lb/> die groͤßte Freude uͤber ſeine Geſchicklichkeit. Er<lb/> kennt ſelten einen ſeiner alten Freunde, die ihn<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [154/0168]
ches ſie ihm nie verſagten, machte ihn den ganzen
Tag munter und froͤhlich, nur mußten ſie ſich
ſorgfaͤltig huͤten, ihm nichts zu geben, was ihn
an Kerker und Gefaͤngniß erinnern konnte, denn
dies machte ihn, wenigſtens auf einige Stunden,
aͤuſſerſt traurig. Ehe ſie dies noch wußten, brach-
te ihm einſt die verſtorbne Schweſter eine Puppe
nach Hauſe, welche eine mit Ketten behangene
Sklavin vorſtellte, er fieng ſogleich zu weinen an,
loͤſte ihre Ketten, und trug ſie den ganzen Tag
ſtillſchweigend in ſeinen Armen herum; erſt Abends
gelang es ihnen, die Puppe weg zu nehmen, am
Morgen hatte er ſie ganz vergeſſen. Ungeachtet
er auch nicht ein Kind beleidigt, ſo koͤnnen ſie ihn
doch nie allein ausgehen laſſen, weil er den Weg
nicht nach Hauſe finden kann, und ſich dann an
eine Ecke ſetzt und bitterlich weint. Er geht gerne
am Waſſer, noch lieber in ſchoͤnen Gaͤrten, am
allerliebſten auf dem Kirchhofe ſpazieren, dort
mahlt er ſtundenlang mit den Fingern die Buch-
ſtaben auf den Leichenſteinen nach, betrachtet ſie
dann mit groͤßtem Vergnuͤgen, und lobt am Ende
laut und anhaltend ſeine ſchoͤne Arbeit. Sein aͤl-
teſter Sohn ſtaffiert ſchoͤn und geſchmackvoll; der
alte Vater, welcher in dieſer Kunſt Meiſter und
Kenner war, ſieht ihm oft Stunden lang zu, aber
er verraͤth nie die geringſte Kenntniß, nur ein ein-
ziges mal vergoldete er eine Nuß, und bezeigte
die groͤßte Freude uͤber ſeine Geſchicklichkeit. Er
kennt ſelten einen ſeiner alten Freunde, die ihn
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