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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

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Friedrich, so nannte sich der junge Offizier,
war einer der eifrigsten Bewunderer von den Ta-
lenten der schönen Esther, er lobte sie öffentlich
mit Entzücken, und gewann dadurch bald des
schwachen Vaters Achtung und Liebe. Er lud ihn
oft zum Essen, und schlummerte dann und wann
sanft in seinem Lehnstuhl ein, wenn Friedrich und
Esther ihm stundenlang Arien vorsangen, oder auf
dem Klaviere spielten. Als er einst früher, wie
gewöhnlich, aus seinem Schlummer erwachte,
und bemerkte, daß Esther und Friedrich nicht san-
gen, sondern vertraut und leise mit einander spra-
chen, saß er am Abende tiefsinnig beim Mahle,
und schien's nicht zu achten, wenn seine Tochter
ihm ein neues Liedchen vorsang.

Esther. Was fehlt ihnen, liebster Vater?
Sie sind ungewöhnlich traurig?
Vater. Ja, ich bins, und die Ursache mei-
nes Kummers bist du!
Esther. Ich? Gott soll mich behüten, daß
ich einem so guten Vater Kummer verursachen
sollte.
Vater. Wenn dies die ächten und wahren
Gesinnungen deines Herzens sind, so schwindet
mein Kummer.
Esther. Sie sinds, bei Gott, sie sinds!
Vater. Wie dein und des jungen D ---
schen Offiziers Gesang mich heute in Schlaf wieg-
te, und ich wieder schnell erwachte, da war mirs,
als ob deine Hand in der seinigen ruhe?

Friedrich, ſo nannte ſich der junge Offizier,
war einer der eifrigſten Bewunderer von den Ta-
lenten der ſchoͤnen Eſther, er lobte ſie oͤffentlich
mit Entzuͤcken, und gewann dadurch bald des
ſchwachen Vaters Achtung und Liebe. Er lud ihn
oft zum Eſſen, und ſchlummerte dann und wann
ſanft in ſeinem Lehnſtuhl ein, wenn Friedrich und
Eſther ihm ſtundenlang Arien vorſangen, oder auf
dem Klaviere ſpielten. Als er einſt fruͤher, wie
gewoͤhnlich, aus ſeinem Schlummer erwachte,
und bemerkte, daß Eſther und Friedrich nicht ſan-
gen, ſondern vertraut und leiſe mit einander ſpra-
chen, ſaß er am Abende tiefſinnig beim Mahle,
und ſchien's nicht zu achten, wenn ſeine Tochter
ihm ein neues Liedchen vorſang.

Eſther. Was fehlt ihnen, liebſter Vater?
Sie ſind ungewoͤhnlich traurig?
Vater. Ja, ich bins, und die Urſache mei-
nes Kummers biſt du!
Eſther. Ich? Gott ſoll mich behuͤten, daß
ich einem ſo guten Vater Kummer verurſachen
ſollte.
Vater. Wenn dies die aͤchten und wahren
Geſinnungen deines Herzens ſind, ſo ſchwindet
mein Kummer.
Eſther. Sie ſinds, bei Gott, ſie ſinds!
Vater. Wie dein und des jungen D —-
ſchen Offiziers Geſang mich heute in Schlaf wieg-
te, und ich wieder ſchnell erwachte, da war mirs,
als ob deine Hand in der ſeinigen ruhe?

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[5/0013] Friedrich, ſo nannte ſich der junge Offizier, war einer der eifrigſten Bewunderer von den Ta- lenten der ſchoͤnen Eſther, er lobte ſie oͤffentlich mit Entzuͤcken, und gewann dadurch bald des ſchwachen Vaters Achtung und Liebe. Er lud ihn oft zum Eſſen, und ſchlummerte dann und wann ſanft in ſeinem Lehnſtuhl ein, wenn Friedrich und Eſther ihm ſtundenlang Arien vorſangen, oder auf dem Klaviere ſpielten. Als er einſt fruͤher, wie gewoͤhnlich, aus ſeinem Schlummer erwachte, und bemerkte, daß Eſther und Friedrich nicht ſan- gen, ſondern vertraut und leiſe mit einander ſpra- chen, ſaß er am Abende tiefſinnig beim Mahle, und ſchien's nicht zu achten, wenn ſeine Tochter ihm ein neues Liedchen vorſang. Eſther. Was fehlt ihnen, liebſter Vater? Sie ſind ungewoͤhnlich traurig? Vater. Ja, ich bins, und die Urſache mei- nes Kummers biſt du! Eſther. Ich? Gott ſoll mich behuͤten, daß ich einem ſo guten Vater Kummer verurſachen ſollte. Vater. Wenn dies die aͤchten und wahren Geſinnungen deines Herzens ſind, ſo ſchwindet mein Kummer. Eſther. Sie ſinds, bei Gott, ſie ſinds! Vater. Wie dein und des jungen D —- ſchen Offiziers Geſang mich heute in Schlaf wieg- te, und ich wieder ſchnell erwachte, da war mirs, als ob deine Hand in der ſeinigen ruhe?

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/13>, abgerufen am 18.04.2024.