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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nicht zu beschreiben. Die entsetzliche Lage der Fremden wurde noch peinlicher durch das Heulen der anwesenden Weiber und durch die Hiobsposten, die von Minute zu Minute vom Berge eintrafen. Die Feinde hatten in der Morgendämmerung die Höhen besetzt, und waren mit Schützen und Landsturm in heftigen Kampf gerathen. Man hörte das Schießen, den Lärm des hartnäckigen Gefechts immer näher und näher. Vorübereilende Flüchtlinge weissagten Mord und Brand, alle Schrecknisse des Sieges der vorwärtsdringenden Feinde. Was noch zu bergen war in den armen Hütten, mußte jetzt geborgen oder geflüchtet werden. Der Wirth rief sein Gesinde und seine Kinder zusammen; für Alle gab es Arbeit. Bei der kleinen Leiche blieb Niemand zurück als die trostlosen Eltern und das stille, staunende Vreneli. Scholastika glich bald einer Rasenden, bald einer zu Eis erstarrten Person. Hagenbach begriff indessen trotz seines Leidens, daß längeres Verweilen das größte Unheil nach sich ziehen würde. Der stärkere Mann läßt sich nicht vom Elend in dem Maße niederschmettern, daß er vergäße, was der Augenblick gebietet. Komm, liebes Weib, sagte der Hauptmann; die Stunde drängt. Noch können wir dem Gräuel der Plünderung und Mißhandlung entrinnen. Komm, wir sind um Geld, Pferde und alle Habe gebracht, wenn wir an diesem Orte die Zeit versäumen. -- Geh, geh! hieß die Antwort des Weibes; ich bleibe bei meinem todten Kinde. -- Unkluges Geschöpf! Dein

nicht zu beschreiben. Die entsetzliche Lage der Fremden wurde noch peinlicher durch das Heulen der anwesenden Weiber und durch die Hiobsposten, die von Minute zu Minute vom Berge eintrafen. Die Feinde hatten in der Morgendämmerung die Höhen besetzt, und waren mit Schützen und Landsturm in heftigen Kampf gerathen. Man hörte das Schießen, den Lärm des hartnäckigen Gefechts immer näher und näher. Vorübereilende Flüchtlinge weissagten Mord und Brand, alle Schrecknisse des Sieges der vorwärtsdringenden Feinde. Was noch zu bergen war in den armen Hütten, mußte jetzt geborgen oder geflüchtet werden. Der Wirth rief sein Gesinde und seine Kinder zusammen; für Alle gab es Arbeit. Bei der kleinen Leiche blieb Niemand zurück als die trostlosen Eltern und das stille, staunende Vreneli. Scholastika glich bald einer Rasenden, bald einer zu Eis erstarrten Person. Hagenbach begriff indessen trotz seines Leidens, daß längeres Verweilen das größte Unheil nach sich ziehen würde. Der stärkere Mann läßt sich nicht vom Elend in dem Maße niederschmettern, daß er vergäße, was der Augenblick gebietet. Komm, liebes Weib, sagte der Hauptmann; die Stunde drängt. Noch können wir dem Gräuel der Plünderung und Mißhandlung entrinnen. Komm, wir sind um Geld, Pferde und alle Habe gebracht, wenn wir an diesem Orte die Zeit versäumen. — Geh, geh! hieß die Antwort des Weibes; ich bleibe bei meinem todten Kinde. — Unkluges Geschöpf! Dein

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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/13>, abgerufen am 29.03.2024.