Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

eigenes Leben willst du wagen? Und warum? Gott wird diese Reste schützen, sowie er die Seele, die darinnen gewohnt, zu sich genommen. -- Sein Zureden war umsonst. Da setzte er schnell entschlossen das kleine Vreneli auf seinen Arm und schleppte die Frau mit Gewalt hinunter, ungeachtet ihres Geschrei's und ihrer heftigsten Gegenwehr. Der Wirth begegnete ihnen an des Hauses Schwelle. Helft mir, diese Wüthende, deren Vernunft dahin ist, auf den Wagen zu setzen, bat Hagenbach, und der Wirth leistete die verlangte Hülfe. Erst nachdem sich der Schweizer seines Weibes völlig versichert und sein einziges Kind im Wagen geborgen, rief er dem braven Wirth zu, die Zügel und die Peitsche erfassend: Legt meinen kleinen Todten zur Seite, daß die Klauen des Feindes ihn nicht entweihen, und begrabt ihn, sobald der erste Tumult vorüber. Ich will Euch gern erkenntlich sein. Warum nicht gar? entgegnete der Wirth: ich will auch ohne Lohn thun, wie Sie es wünschen. Bin ich doch selbst Vater und weiß, wie Ihnen zu Muthe sein muß. Seien Sie versichert, daß ich die Leiche berge und sie im ersten ruhigen Augenblick zur Erde bestatte. Reisen Sie aber jetzt in Gottes Namen, und der Herr stärke Ihre Frau in ihrem schweren Leiden!

Der traurige Todesfall im Posthause mußte so weitläufig erzählt werden, weil in ihm die Wurzel der unseligen Geisteswirrniß, die in Scholastika überhand nahm, zu finden ist. Ein Jammer, wie der ihrige,

eigenes Leben willst du wagen? Und warum? Gott wird diese Reste schützen, sowie er die Seele, die darinnen gewohnt, zu sich genommen. — Sein Zureden war umsonst. Da setzte er schnell entschlossen das kleine Vreneli auf seinen Arm und schleppte die Frau mit Gewalt hinunter, ungeachtet ihres Geschrei's und ihrer heftigsten Gegenwehr. Der Wirth begegnete ihnen an des Hauses Schwelle. Helft mir, diese Wüthende, deren Vernunft dahin ist, auf den Wagen zu setzen, bat Hagenbach, und der Wirth leistete die verlangte Hülfe. Erst nachdem sich der Schweizer seines Weibes völlig versichert und sein einziges Kind im Wagen geborgen, rief er dem braven Wirth zu, die Zügel und die Peitsche erfassend: Legt meinen kleinen Todten zur Seite, daß die Klauen des Feindes ihn nicht entweihen, und begrabt ihn, sobald der erste Tumult vorüber. Ich will Euch gern erkenntlich sein. Warum nicht gar? entgegnete der Wirth: ich will auch ohne Lohn thun, wie Sie es wünschen. Bin ich doch selbst Vater und weiß, wie Ihnen zu Muthe sein muß. Seien Sie versichert, daß ich die Leiche berge und sie im ersten ruhigen Augenblick zur Erde bestatte. Reisen Sie aber jetzt in Gottes Namen, und der Herr stärke Ihre Frau in ihrem schweren Leiden!

Der traurige Todesfall im Posthause mußte so weitläufig erzählt werden, weil in ihm die Wurzel der unseligen Geisteswirrniß, die in Scholastika überhand nahm, zu finden ist. Ein Jammer, wie der ihrige,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014"/>
eigenes Leben willst du wagen? Und warum? Gott wird                diese Reste schützen, sowie er die Seele, die darinnen gewohnt, zu sich genommen. &#x2014;                Sein Zureden war umsonst. Da setzte er schnell entschlossen das kleine Vreneli auf                seinen Arm und schleppte die Frau mit Gewalt hinunter, ungeachtet ihres Geschrei's                und ihrer heftigsten Gegenwehr. Der Wirth begegnete ihnen an des Hauses Schwelle.                Helft mir, diese Wüthende, deren Vernunft dahin ist, auf den Wagen zu setzen, bat                Hagenbach, und der Wirth leistete die verlangte Hülfe. Erst nachdem sich der                Schweizer seines Weibes völlig versichert und sein einziges Kind im Wagen geborgen,                rief er dem braven Wirth zu, die Zügel und die Peitsche erfassend: Legt meinen                kleinen Todten zur Seite, daß die Klauen des Feindes ihn nicht entweihen, und begrabt                ihn, sobald der erste Tumult vorüber. Ich will Euch gern erkenntlich sein. Warum                nicht gar? entgegnete der Wirth: ich will auch ohne Lohn thun, wie Sie es wünschen.                Bin ich doch selbst Vater und weiß, wie Ihnen zu Muthe sein muß. Seien Sie                versichert, daß ich die Leiche berge und sie im ersten ruhigen Augenblick zur Erde                bestatte. Reisen Sie aber jetzt in Gottes Namen, und der Herr stärke Ihre Frau in                ihrem schweren Leiden!</p><lb/>
        <p>Der traurige Todesfall im Posthause mußte so weitläufig erzählt werden, weil in ihm                die Wurzel der unseligen Geisteswirrniß, die in Scholastika überhand nahm, zu finden                ist. Ein Jammer, wie der ihrige,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] eigenes Leben willst du wagen? Und warum? Gott wird diese Reste schützen, sowie er die Seele, die darinnen gewohnt, zu sich genommen. — Sein Zureden war umsonst. Da setzte er schnell entschlossen das kleine Vreneli auf seinen Arm und schleppte die Frau mit Gewalt hinunter, ungeachtet ihres Geschrei's und ihrer heftigsten Gegenwehr. Der Wirth begegnete ihnen an des Hauses Schwelle. Helft mir, diese Wüthende, deren Vernunft dahin ist, auf den Wagen zu setzen, bat Hagenbach, und der Wirth leistete die verlangte Hülfe. Erst nachdem sich der Schweizer seines Weibes völlig versichert und sein einziges Kind im Wagen geborgen, rief er dem braven Wirth zu, die Zügel und die Peitsche erfassend: Legt meinen kleinen Todten zur Seite, daß die Klauen des Feindes ihn nicht entweihen, und begrabt ihn, sobald der erste Tumult vorüber. Ich will Euch gern erkenntlich sein. Warum nicht gar? entgegnete der Wirth: ich will auch ohne Lohn thun, wie Sie es wünschen. Bin ich doch selbst Vater und weiß, wie Ihnen zu Muthe sein muß. Seien Sie versichert, daß ich die Leiche berge und sie im ersten ruhigen Augenblick zur Erde bestatte. Reisen Sie aber jetzt in Gottes Namen, und der Herr stärke Ihre Frau in ihrem schweren Leiden! Der traurige Todesfall im Posthause mußte so weitläufig erzählt werden, weil in ihm die Wurzel der unseligen Geisteswirrniß, die in Scholastika überhand nahm, zu finden ist. Ein Jammer, wie der ihrige,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:06:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:06:51Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/14
Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/14>, abgerufen am 09.10.2024.