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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ihnen einscharren und zwar bald. -- Herbe Thränen unterliefen das Auge des alten Soldaten; er drückte Verena in seine Arme und sagte zum Kinde schmeichelnd: Vreneli! sei du wenigstens lieb und gut mit deinem Papa. Gefällt's dir hier im grünen Lande, wo die Ziegen klettern und die Kinder fröhlich spielen? -- Ei ja, erwiderte das Mädchen; wo ist aber der Hansel, um mit mir zu spielen? Gelt, er bleibt nicht mehr lang aus? den Friedrich und den Joseph braucht ich nicht, aber der Hansel ist mir lieb, und ich will bei ihm sein. Willst du auch, Papa? -- Auch du, mein Kind? seufzte der Vater beklommen und setzte, die Thränen nicht mehr zurückhaltend, das Kind zur Erde. Dann nahm er schweigend die Blume vom Hut und warf sie von sich, und zu des Säntis rauhem Eis- und Felsenrücken schaute er empor mit dem stillen Wunsche: Lägst du doch auf mir, du alter Berg! Kann's denn möglich sein, daß mir in deinem Angesicht die Augen übergehen, und zwar nicht vor Freude? daß mir das Herz zerspringt vor Kummer im Angesicht des lang entbehrten Vaterlandes? --

Es stand ihm der Bitterkeit noch viel bevor. Der Flecken Appenzell, wo Hagenbach geboren, war ihm ganz fremd geworden. Neue Häuser waren gebaut worden, alte waren verschwunden. Die Zeit und die Revolution hatten zerstört, hatten Schöpfungen gegründet. Mit den Menschen war es natürlich noch wunderlicher durch einander gegangen. Hagenbach hatte

ihnen einscharren und zwar bald. — Herbe Thränen unterliefen das Auge des alten Soldaten; er drückte Verena in seine Arme und sagte zum Kinde schmeichelnd: Vreneli! sei du wenigstens lieb und gut mit deinem Papa. Gefällt's dir hier im grünen Lande, wo die Ziegen klettern und die Kinder fröhlich spielen? — Ei ja, erwiderte das Mädchen; wo ist aber der Hansel, um mit mir zu spielen? Gelt, er bleibt nicht mehr lang aus? den Friedrich und den Joseph braucht ich nicht, aber der Hansel ist mir lieb, und ich will bei ihm sein. Willst du auch, Papa? — Auch du, mein Kind? seufzte der Vater beklommen und setzte, die Thränen nicht mehr zurückhaltend, das Kind zur Erde. Dann nahm er schweigend die Blume vom Hut und warf sie von sich, und zu des Säntis rauhem Eis- und Felsenrücken schaute er empor mit dem stillen Wunsche: Lägst du doch auf mir, du alter Berg! Kann's denn möglich sein, daß mir in deinem Angesicht die Augen übergehen, und zwar nicht vor Freude? daß mir das Herz zerspringt vor Kummer im Angesicht des lang entbehrten Vaterlandes? —

Es stand ihm der Bitterkeit noch viel bevor. Der Flecken Appenzell, wo Hagenbach geboren, war ihm ganz fremd geworden. Neue Häuser waren gebaut worden, alte waren verschwunden. Die Zeit und die Revolution hatten zerstört, hatten Schöpfungen gegründet. Mit den Menschen war es natürlich noch wunderlicher durch einander gegangen. Hagenbach hatte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:06:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/18>, abgerufen am 28.03.2024.