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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wenn auch unschuldig, mit einer Strafe an Leib und Geld belegt zu werden, machte ihn schwindeln, raubte ihm alle moralische Haltung. Er redete nicht, er weinte und lachte nicht; aber den Hut und Stock ergreifend, ging er, gleichsam die volle Brust im Freien zu erleichtern, aus seinem Hause, nachdem er seinem Weibe, wie schon lange nicht geschehen, die Hand geschüttelt, nachdem er sein Vreneli mit ungewöhnlicher Wärme umarmt hatte.

Verena sah ihm verwundert nach; doch blieb sie ruhig. War doch ihr Vater in den letzten Jahren gar oft still, nachdenklich, oder unwirsch vor sich hinbrütend gewesen und immer nach einem Spaziergange heiter und gefaßt heimgekehrt. Heute, so hoffte sie, würde es auch nicht anders sein. Sie lag daher ihrer häuslichen Arbeit ob, wie sie im Brauch hatte, und ahnte nichts Schlimmes, obgleich der Abend hereinbrach und Stunde auf Stunde verging, ohne daß der Vater zurück gekommen wäre. Endlich rückte die Essenszeit heran, und selbst die kranke Scholastika sah sich plötzlich nach dem abwesenden Gatten um und fragte kurz: Wo ist er? Kommt er nicht mehr wieder? -- Verena erschrak vor dem Unglück weissagenden Tone der Irren und versetzte: Ei ja doch, Mutter; bald, bald, denke ich. -- Worauf die Alte den Kopf schüttelte, mit beiden Händen zugleich verneinend, und, wie eine Einschlummernde den Kopf neigend, sagte: Nein, nein, Verena. Er ist zum Johann gegangen. Mein Hans hat ihn

wenn auch unschuldig, mit einer Strafe an Leib und Geld belegt zu werden, machte ihn schwindeln, raubte ihm alle moralische Haltung. Er redete nicht, er weinte und lachte nicht; aber den Hut und Stock ergreifend, ging er, gleichsam die volle Brust im Freien zu erleichtern, aus seinem Hause, nachdem er seinem Weibe, wie schon lange nicht geschehen, die Hand geschüttelt, nachdem er sein Vreneli mit ungewöhnlicher Wärme umarmt hatte.

Verena sah ihm verwundert nach; doch blieb sie ruhig. War doch ihr Vater in den letzten Jahren gar oft still, nachdenklich, oder unwirsch vor sich hinbrütend gewesen und immer nach einem Spaziergange heiter und gefaßt heimgekehrt. Heute, so hoffte sie, würde es auch nicht anders sein. Sie lag daher ihrer häuslichen Arbeit ob, wie sie im Brauch hatte, und ahnte nichts Schlimmes, obgleich der Abend hereinbrach und Stunde auf Stunde verging, ohne daß der Vater zurück gekommen wäre. Endlich rückte die Essenszeit heran, und selbst die kranke Scholastika sah sich plötzlich nach dem abwesenden Gatten um und fragte kurz: Wo ist er? Kommt er nicht mehr wieder? — Verena erschrak vor dem Unglück weissagenden Tone der Irren und versetzte: Ei ja doch, Mutter; bald, bald, denke ich. — Worauf die Alte den Kopf schüttelte, mit beiden Händen zugleich verneinend, und, wie eine Einschlummernde den Kopf neigend, sagte: Nein, nein, Verena. Er ist zum Johann gegangen. Mein Hans hat ihn

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:06:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/35>, abgerufen am 29.03.2024.