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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gemeint. -- Georg öffnete flugs, riß mit fröhlicher Ahnung den Brief an sich und jauchzte: Victoria! hab' ich nicht gesagt, Vreneli, daß ich allen Hexen zum Aerger unser Leid in Freud' verkehren werde? Der Brief ist von daheim, der Vater hat ihn geschrieben. Da, Bube, da hast du einen Laubthaler; 's ist nicht zu viel für eine solche Botschaft! Auch Ruodi jubelte ein Victoria und lief als ein glücklicher Prinz davon. -- Georg las mit Stolz und funkelnden Augen: A Monsieur George Landenberger, marchand etcetera, a Appenzell! Dann öffnete er das Schreiben, und inwendig war es deutsch mit fingerlangen Buchstaben gefertigt. -- Ein langer, langer Brief! sagte er mit Herzklopfen, und seine Hände zitterten, denn er las mit erlöschender Stimme die nicht erbauliche Anrede: Undankbarer, pflichtvergessener Georg! -- Der Leser wischte sich die Augen, als wären sie trüb angelaufen, und sagte zur neugierigen Verena: Seh' ich recht, oder ist's ein höllischer Trug? Das klingt nicht wie Verzeihung. Lies du, was im Brief steht. Es schwimmt mir vor den Augen. Lies, Vreneli, und tröst' uns Gott!

Das war ein trauriger Morgen, der nächste, der das junge Ehepaar beschien. Sein Strahl fiel auf Verena's dickverweinte Augen, auf Georg's verstörtes, zerknirschtes Angesicht. Hagenbach, den seines Weibes Unglück abermals von der Höhe wachsender Zuversicht zur bangen Kleinmüthigkeit herabgeschleudert hatte,

gemeint. — Georg öffnete flugs, riß mit fröhlicher Ahnung den Brief an sich und jauchzte: Victoria! hab' ich nicht gesagt, Vreneli, daß ich allen Hexen zum Aerger unser Leid in Freud' verkehren werde? Der Brief ist von daheim, der Vater hat ihn geschrieben. Da, Bube, da hast du einen Laubthaler; 's ist nicht zu viel für eine solche Botschaft! Auch Ruodi jubelte ein Victoria und lief als ein glücklicher Prinz davon. — Georg las mit Stolz und funkelnden Augen: A Monsieur George Landenberger, marchand etcetera, à Appenzell! Dann öffnete er das Schreiben, und inwendig war es deutsch mit fingerlangen Buchstaben gefertigt. — Ein langer, langer Brief! sagte er mit Herzklopfen, und seine Hände zitterten, denn er las mit erlöschender Stimme die nicht erbauliche Anrede: Undankbarer, pflichtvergessener Georg! — Der Leser wischte sich die Augen, als wären sie trüb angelaufen, und sagte zur neugierigen Verena: Seh' ich recht, oder ist's ein höllischer Trug? Das klingt nicht wie Verzeihung. Lies du, was im Brief steht. Es schwimmt mir vor den Augen. Lies, Vreneli, und tröst' uns Gott!

Das war ein trauriger Morgen, der nächste, der das junge Ehepaar beschien. Sein Strahl fiel auf Verena's dickverweinte Augen, auf Georg's verstörtes, zerknirschtes Angesicht. Hagenbach, den seines Weibes Unglück abermals von der Höhe wachsender Zuversicht zur bangen Kleinmüthigkeit herabgeschleudert hatte,

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:06:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/53>, abgerufen am 27.04.2024.