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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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entschlüpfte dem Georg; kein Blick, wie eine junge Gattin deren oft, selbst in Gesellschaft Anderer, dem Gatten halb verstohlen zu schenken pflegt, war jemals in Verena's Auge zu ertappen. Wo Beider Zärtlichkeit zusammentraf, das war der Eltern Haupt. Diese zu lieben und zu ehren und zu pflegen, schien der Kinder eigentliches Geschäft, sie sparten sich, so zu sagen, die ihnen selbst zukommende Liebe vom Munde ab, um sie den Eltern zuzuwenden. -- Sehr natürlich wurde auch diese Aeußerung ihrer Gefühle von den Aufpassern verunglimpft. Die Herzlosesten unter den Letzteren sagten sich in die Ohren: Die Landenberger haben kein Herz; er liebt nicht sie, sie liebt nicht ihn. Wären sie schon zehn Jahre verheirathet, sie könnten sich nicht gleichgültiger begegnen. Aber auch die Liebe zu den Alten, die sie zur Schau tragen, ist nur Heuchelei. Die Alten müssen brav Batzen gespart haben, und die Jungen warten schmerzlich auf der Alten Tod. Die Tochter ist der pure Geiz, und der Schwiegersohn möchte gern Alles haben, der Schwamm, der Pilz, der nackt auf die Welt gekommen und mit Hagenbach's Geld sich bereichert hat. --

Denn es galt seit geraumer Zeit -- trotz des ehemaligen Lärms von Hagenbach's bevorstehendem Bankerott -- im Flecken für eine ausgemachte Wahrheit, daß der Exhauptmann ein riesenhaftes Vermögen von jeher sein genannt und damit nur hinterm Berg gehalten habe, um seine Freunde auf die Probe zu

entschlüpfte dem Georg; kein Blick, wie eine junge Gattin deren oft, selbst in Gesellschaft Anderer, dem Gatten halb verstohlen zu schenken pflegt, war jemals in Verena's Auge zu ertappen. Wo Beider Zärtlichkeit zusammentraf, das war der Eltern Haupt. Diese zu lieben und zu ehren und zu pflegen, schien der Kinder eigentliches Geschäft, sie sparten sich, so zu sagen, die ihnen selbst zukommende Liebe vom Munde ab, um sie den Eltern zuzuwenden. — Sehr natürlich wurde auch diese Aeußerung ihrer Gefühle von den Aufpassern verunglimpft. Die Herzlosesten unter den Letzteren sagten sich in die Ohren: Die Landenberger haben kein Herz; er liebt nicht sie, sie liebt nicht ihn. Wären sie schon zehn Jahre verheirathet, sie könnten sich nicht gleichgültiger begegnen. Aber auch die Liebe zu den Alten, die sie zur Schau tragen, ist nur Heuchelei. Die Alten müssen brav Batzen gespart haben, und die Jungen warten schmerzlich auf der Alten Tod. Die Tochter ist der pure Geiz, und der Schwiegersohn möchte gern Alles haben, der Schwamm, der Pilz, der nackt auf die Welt gekommen und mit Hagenbach's Geld sich bereichert hat. —

Denn es galt seit geraumer Zeit — trotz des ehemaligen Lärms von Hagenbach's bevorstehendem Bankerott — im Flecken für eine ausgemachte Wahrheit, daß der Exhauptmann ein riesenhaftes Vermögen von jeher sein genannt und damit nur hinterm Berg gehalten habe, um seine Freunde auf die Probe zu

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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/56>, abgerufen am 16.04.2024.