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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Und der Geistliche las, die Sätze halb verschluckend vor Hast und Neugier: "Am neunundzwanzigsten August ... da ich Chirurg bei der Armee gewesen . . . im Verfolgen des Feindes . . . im Posthause am Arlberg ... in meiner Stube verborgen einen Knaben gefunden, der eine Leiche schien . . . indessen noch Zeichen des Lebens verspürte . . . nachgeholfen . . . von dem langgedauerten kataleptischen Anfall und Starrkrampf befreit . . . darüber gestört worden durch des Feindes neues Vordringen . . . Alles aus dem Hause entflohen, kein Mensch zu finden gewesen . . . das Kind, in der Ambülance wohl eingepackt, mitgenommen . . . dann auf langen Märschen heimgekehrt . . . ohne, wie ich gehofft, in jenes Haus zurückzukehren . . . ich war an den Knaben so gewöhnt . . . erst nach manchen Jahren in jenem Posthause nachgefragt . . . es waren andere Leute auf der Wirthschaft; war gar nichts mehr zu erfahren. -- Suche jetzt deinen leiblichen Vater, da du, undankbarer Raufhahn, deinen Pflegevater mit Füßen von dir gestoßen!" --

Der Pfarrer blickte mit nassen Augen gen Himmel. Deine Vorsehung, o Herr! stammelte er. Dann fragte er rasch: Trifft, was der Chirurg schreibt, mit Euers Vaters mir wohlbekanntem Unglück zusammen, Verena? -- Auf Tag und Stunde und Ort; viele Hundertmal hat der Vater die traurige Geschichte erzählt, erwiderte Vreneli, ihr kummervolles Gesicht hinter dem Kinde verbergend. -- Als ich den Unglücks-

Und der Geistliche las, die Sätze halb verschluckend vor Hast und Neugier: „Am neunundzwanzigsten August ... da ich Chirurg bei der Armee gewesen . . . im Verfolgen des Feindes . . . im Posthause am Arlberg ... in meiner Stube verborgen einen Knaben gefunden, der eine Leiche schien . . . indessen noch Zeichen des Lebens verspürte . . . nachgeholfen . . . von dem langgedauerten kataleptischen Anfall und Starrkrampf befreit . . . darüber gestört worden durch des Feindes neues Vordringen . . . Alles aus dem Hause entflohen, kein Mensch zu finden gewesen . . . das Kind, in der Ambülance wohl eingepackt, mitgenommen . . . dann auf langen Märschen heimgekehrt . . . ohne, wie ich gehofft, in jenes Haus zurückzukehren . . . ich war an den Knaben so gewöhnt . . . erst nach manchen Jahren in jenem Posthause nachgefragt . . . es waren andere Leute auf der Wirthschaft; war gar nichts mehr zu erfahren. — Suche jetzt deinen leiblichen Vater, da du, undankbarer Raufhahn, deinen Pflegevater mit Füßen von dir gestoßen!“ —

Der Pfarrer blickte mit nassen Augen gen Himmel. Deine Vorsehung, o Herr! stammelte er. Dann fragte er rasch: Trifft, was der Chirurg schreibt, mit Euers Vaters mir wohlbekanntem Unglück zusammen, Verena? — Auf Tag und Stunde und Ort; viele Hundertmal hat der Vater die traurige Geschichte erzählt, erwiderte Vreneli, ihr kummervolles Gesicht hinter dem Kinde verbergend. — Als ich den Unglücks-

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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/66>, abgerufen am 24.04.2024.