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Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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brief da lesen hörte, fügte Georg bei, hab' ich mit Einemmale lang eingeschlafene Bilder wieder in meinem Hirn aufgehen gesehen. Als Bube war mir oft, als sei schon früher, ehe ich von meinem Pflegevater etwas gewußt, allerlei mit mir vorgegangen, aber es scheint, daß nach der Starrsucht mein Gedächtniß lange schwach geblieben, daher ich auch nicht viel gelernt. O stellt Euch unser Herzeleid vor, würdiger Herr, und dann wieder unsere Freude, daß die böse Post so schnell und nicht erst spät gekommen! Wir sind unschuldige Leute, Herr! das heißt, ich bin wohl ein Sünder, wie dieses Kind besagt, aber 's Vreneli ist ein Lamm, ein Engel! -- Warum aber schweigen? sprach der Geistliche mit freundlichem Vorwurf. -- Das Gerede, Herr, und weil der junge Rüttimann meine Schwester ins Geschrei gebracht . . . versetzte Georg hastig. Und noch hastiger ergänzte Verena: Vor Allem, Würdigster, des Vaters Leben und Seelenheil! Hätt' er die Schreckensnachricht, daß sein Sohn und seine Tochter sich geehlicht, hingenommen, ohne zu Grund zu gehen, er, der um eines mindern Unfalls willen Hand an sich selbst gelegt? -- O ihr frommen Kinder! rief der Geistliche aus, seine Thränen nicht mehr verbergend.

Da sprang die Thüre auf. Wie einst an Georg's Hand, schwankte an eines Fremden Arm der alte Hagenbach in die Stube. -- Mit Ungestüm und Schmerz und Freude . . . unterbrochen von heftigen Athemzügen, stöhnte er seinen Kindern entgegen: Ist's wahr,

brief da lesen hörte, fügte Georg bei, hab' ich mit Einemmale lang eingeschlafene Bilder wieder in meinem Hirn aufgehen gesehen. Als Bube war mir oft, als sei schon früher, ehe ich von meinem Pflegevater etwas gewußt, allerlei mit mir vorgegangen, aber es scheint, daß nach der Starrsucht mein Gedächtniß lange schwach geblieben, daher ich auch nicht viel gelernt. O stellt Euch unser Herzeleid vor, würdiger Herr, und dann wieder unsere Freude, daß die böse Post so schnell und nicht erst spät gekommen! Wir sind unschuldige Leute, Herr! das heißt, ich bin wohl ein Sünder, wie dieses Kind besagt, aber 's Vreneli ist ein Lamm, ein Engel! — Warum aber schweigen? sprach der Geistliche mit freundlichem Vorwurf. — Das Gerede, Herr, und weil der junge Rüttimann meine Schwester ins Geschrei gebracht . . . versetzte Georg hastig. Und noch hastiger ergänzte Verena: Vor Allem, Würdigster, des Vaters Leben und Seelenheil! Hätt' er die Schreckensnachricht, daß sein Sohn und seine Tochter sich geehlicht, hingenommen, ohne zu Grund zu gehen, er, der um eines mindern Unfalls willen Hand an sich selbst gelegt? — O ihr frommen Kinder! rief der Geistliche aus, seine Thränen nicht mehr verbergend.

Da sprang die Thüre auf. Wie einst an Georg's Hand, schwankte an eines Fremden Arm der alte Hagenbach in die Stube. — Mit Ungestüm und Schmerz und Freude . . . unterbrochen von heftigen Athemzügen, stöhnte er seinen Kindern entgegen: Ist's wahr,

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Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/67>, abgerufen am 24.04.2024.