Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

diese andern weder als Einzelne darauf Einfluß nehmen, noch auch
nur immer wissen, wie jene Zustände des Individuums in seinem per-
sönlichen Leben sich verhalten.

Steht nun das fest, so ist es klar, daß hier das erste Gebiet der
Thätigkeit des Staats, das erste Gebiet der Verwaltung beginnt. Sie
hat nicht in das freie persönliche Leben des Einzelnen in physischer Be-
ziehung einzugreifen; wohl aber muß sie eine Ordnung der Dinge her-
stellen, vermöge deren dasjenige in jenem physischen Leben der Individuen,
was als Bedingung der materiellen Lebensverhältnisse
und ihrer Entwicklung für andere und damit für die ganze Ge-
meinschaft
erscheint, nicht mehr von der individuellen Willkür des
Einzelnen oder von dem Zufalle abhängig ist, sondern durch die Ver-
waltung in der Weise geordnet wird, daß das Einzelleben auch hier die
ihm individuell unerreichbaren Voraussetzungen seiner Entwicklung findet.
Und die Gesammtheit dieser Thätigkeiten bildet die Verwaltung der
persönlichen
, oder genauer des physischen Lebens.

Es ist nun zwar natürlich, daß diese Verwaltung sich nach den
Grundformen des persönlichen Daseins richtet, und aus ihnen sein
System erhält. Allein nicht das ganze Leben ist Gegenstand der Ver-
waltung. Die letztere tritt immer nur da auf, wo jene Lebensverhält-
nisse als Bedingungen der Entwicklung der übrigen erscheinen. Und
wir heben dieß hier besonders hervor, damit wir es nicht später bei
jedem Punkte zu wiederholen brauchen. Das System oder die Ordnung
der Verwaltungsaufgaben ist niemals das Einzelleben für sich, sondern
vielmehr die organische Eintheilung derjenigen physischen Be-
ziehungen
, in welche der Einzelne zur Gemeinschaft und ihren Lebens-
bedingungen steht. Betrachtet man nun das Einzelleben von diesem
Standpunkt, so hat es in seiner rein persönlichen Form vier Gebiete,
welche als die Gebiete dieses Theiles der Verwaltung erscheinen. Diese
vier Gebiete sind so alt wie die Verwaltung selbst. Sie haben daher
bekannte und hergebrachte Namen, und es wird, glauben wir, nicht
die geringste Schwierigkeit haben, sich über das System selbst zu ver-
ständigen, ehe wir zum Einzelnen übergehen.

Das erste Gebiet ist die physische Person in ihren leiblichen,
natürlichen und allen Individuen gemeinschaftlichen und gleichartigen
Beziehungen zu andern, deren Verwaltung wir das Bevölkerungs-
wesen
nennen.

Das zweite Gebiet sind die Zustände dieser Personen, insofern
dieselben die rechtliche Selbständigkeit und persönliche Unverletzlichkeit der
übrigen mit Gefahren bedrohen, und die als Gegenstand der Verwaltung
die Sicherheitspolizei erzeugt.

dieſe andern weder als Einzelne darauf Einfluß nehmen, noch auch
nur immer wiſſen, wie jene Zuſtände des Individuums in ſeinem per-
ſönlichen Leben ſich verhalten.

Steht nun das feſt, ſo iſt es klar, daß hier das erſte Gebiet der
Thätigkeit des Staats, das erſte Gebiet der Verwaltung beginnt. Sie
hat nicht in das freie perſönliche Leben des Einzelnen in phyſiſcher Be-
ziehung einzugreifen; wohl aber muß ſie eine Ordnung der Dinge her-
ſtellen, vermöge deren dasjenige in jenem phyſiſchen Leben der Individuen,
was als Bedingung der materiellen Lebensverhältniſſe
und ihrer Entwicklung für andere und damit für die ganze Ge-
meinſchaft
erſcheint, nicht mehr von der individuellen Willkür des
Einzelnen oder von dem Zufalle abhängig iſt, ſondern durch die Ver-
waltung in der Weiſe geordnet wird, daß das Einzelleben auch hier die
ihm individuell unerreichbaren Vorausſetzungen ſeiner Entwicklung findet.
Und die Geſammtheit dieſer Thätigkeiten bildet die Verwaltung der
perſönlichen
, oder genauer des phyſiſchen Lebens.

Es iſt nun zwar natürlich, daß dieſe Verwaltung ſich nach den
Grundformen des perſönlichen Daſeins richtet, und aus ihnen ſein
Syſtem erhält. Allein nicht das ganze Leben iſt Gegenſtand der Ver-
waltung. Die letztere tritt immer nur da auf, wo jene Lebensverhält-
niſſe als Bedingungen der Entwicklung der übrigen erſcheinen. Und
wir heben dieß hier beſonders hervor, damit wir es nicht ſpäter bei
jedem Punkte zu wiederholen brauchen. Das Syſtem oder die Ordnung
der Verwaltungsaufgaben iſt niemals das Einzelleben für ſich, ſondern
vielmehr die organiſche Eintheilung derjenigen phyſiſchen Be-
ziehungen
, in welche der Einzelne zur Gemeinſchaft und ihren Lebens-
bedingungen ſteht. Betrachtet man nun das Einzelleben von dieſem
Standpunkt, ſo hat es in ſeiner rein perſönlichen Form vier Gebiete,
welche als die Gebiete dieſes Theiles der Verwaltung erſcheinen. Dieſe
vier Gebiete ſind ſo alt wie die Verwaltung ſelbſt. Sie haben daher
bekannte und hergebrachte Namen, und es wird, glauben wir, nicht
die geringſte Schwierigkeit haben, ſich über das Syſtem ſelbſt zu ver-
ſtändigen, ehe wir zum Einzelnen übergehen.

Das erſte Gebiet iſt die phyſiſche Perſon in ihren leiblichen,
natürlichen und allen Individuen gemeinſchaftlichen und gleichartigen
Beziehungen zu andern, deren Verwaltung wir das Bevölkerungs-
weſen
nennen.

Das zweite Gebiet ſind die Zuſtände dieſer Perſonen, inſofern
dieſelben die rechtliche Selbſtändigkeit und perſönliche Unverletzlichkeit der
übrigen mit Gefahren bedrohen, und die als Gegenſtand der Verwaltung
die Sicherheitspolizei erzeugt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0126" n="104"/>
die&#x017F;e andern weder als Einzelne darauf Einfluß nehmen, noch auch<lb/>
nur immer wi&#x017F;&#x017F;en, wie jene Zu&#x017F;tände des Individuums in &#x017F;einem per-<lb/>
&#x017F;önlichen Leben &#x017F;ich verhalten.</p><lb/>
              <p>Steht nun das fe&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t es klar, daß hier das <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> Gebiet der<lb/>
Thätigkeit des Staats, das er&#x017F;te Gebiet der Verwaltung beginnt. Sie<lb/>
hat nicht in das freie per&#x017F;önliche Leben des Einzelnen in phy&#x017F;i&#x017F;cher Be-<lb/>
ziehung einzugreifen; wohl aber muß &#x017F;ie eine Ordnung der Dinge her-<lb/>
&#x017F;tellen, vermöge deren dasjenige in jenem phy&#x017F;i&#x017F;chen Leben der Individuen,<lb/><hi rendition="#g">was als Bedingung der materiellen Lebensverhältni&#x017F;&#x017F;e</hi><lb/>
und ihrer Entwicklung <hi rendition="#g">für andere</hi> und damit für die <hi rendition="#g">ganze Ge-<lb/>
mein&#x017F;chaft</hi> er&#x017F;cheint, nicht mehr von der individuellen Willkür des<lb/>
Einzelnen oder von dem Zufalle abhängig i&#x017F;t, &#x017F;ondern durch die Ver-<lb/>
waltung in der Wei&#x017F;e geordnet wird, daß das Einzelleben auch hier die<lb/>
ihm individuell unerreichbaren Voraus&#x017F;etzungen &#x017F;einer Entwicklung findet.<lb/>
Und die Ge&#x017F;ammtheit die&#x017F;er Thätigkeiten bildet die <hi rendition="#g">Verwaltung der<lb/>
per&#x017F;önlichen</hi>, oder genauer des <hi rendition="#g">phy&#x017F;i&#x017F;chen Lebens</hi>.</p><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t nun zwar natürlich, daß die&#x017F;e Verwaltung &#x017F;ich nach den<lb/>
Grundformen des per&#x017F;önlichen Da&#x017F;eins richtet, und aus ihnen &#x017F;ein<lb/>
Sy&#x017F;tem erhält. Allein nicht das ganze Leben i&#x017F;t Gegen&#x017F;tand der Ver-<lb/>
waltung. Die letztere tritt immer nur da auf, wo jene Lebensverhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e als Bedingungen der Entwicklung der übrigen er&#x017F;cheinen. Und<lb/>
wir heben dieß hier be&#x017F;onders hervor, damit wir es nicht &#x017F;päter bei<lb/>
jedem Punkte zu wiederholen brauchen. Das Sy&#x017F;tem oder die Ordnung<lb/>
der Verwaltungsaufgaben i&#x017F;t niemals das Einzelleben für &#x017F;ich, &#x017F;ondern<lb/>
vielmehr die organi&#x017F;che <hi rendition="#g">Eintheilung derjenigen phy&#x017F;i&#x017F;chen Be-<lb/>
ziehungen</hi>, in welche der Einzelne zur Gemein&#x017F;chaft und ihren Lebens-<lb/>
bedingungen &#x017F;teht. Betrachtet man nun das Einzelleben von die&#x017F;em<lb/>
Standpunkt, &#x017F;o hat es in &#x017F;einer rein per&#x017F;önlichen Form vier Gebiete,<lb/>
welche als die Gebiete die&#x017F;es Theiles der Verwaltung er&#x017F;cheinen. Die&#x017F;e<lb/>
vier Gebiete &#x017F;ind &#x017F;o alt wie die Verwaltung &#x017F;elb&#x017F;t. Sie haben daher<lb/>
bekannte und hergebrachte Namen, und es wird, glauben wir, nicht<lb/>
die gering&#x017F;te Schwierigkeit haben, &#x017F;ich über das Sy&#x017F;tem &#x017F;elb&#x017F;t zu ver-<lb/>
&#x017F;tändigen, ehe wir zum Einzelnen übergehen.</p><lb/>
              <p>Das er&#x017F;te Gebiet i&#x017F;t die <hi rendition="#g">phy&#x017F;i&#x017F;che Per&#x017F;on</hi> in ihren leiblichen,<lb/>
natürlichen und allen Individuen gemein&#x017F;chaftlichen und gleichartigen<lb/>
Beziehungen zu andern, deren Verwaltung wir das <hi rendition="#g">Bevölkerungs-<lb/>
we&#x017F;en</hi> nennen.</p><lb/>
              <p>Das zweite Gebiet &#x017F;ind die <hi rendition="#g">Zu&#x017F;tände</hi> die&#x017F;er Per&#x017F;onen, in&#x017F;ofern<lb/>
die&#x017F;elben die rechtliche Selb&#x017F;tändigkeit und per&#x017F;önliche Unverletzlichkeit der<lb/>
übrigen mit Gefahren bedrohen, und die als Gegen&#x017F;tand der Verwaltung<lb/>
die <hi rendition="#g">Sicherheitspolizei</hi> erzeugt.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0126] dieſe andern weder als Einzelne darauf Einfluß nehmen, noch auch nur immer wiſſen, wie jene Zuſtände des Individuums in ſeinem per- ſönlichen Leben ſich verhalten. Steht nun das feſt, ſo iſt es klar, daß hier das erſte Gebiet der Thätigkeit des Staats, das erſte Gebiet der Verwaltung beginnt. Sie hat nicht in das freie perſönliche Leben des Einzelnen in phyſiſcher Be- ziehung einzugreifen; wohl aber muß ſie eine Ordnung der Dinge her- ſtellen, vermöge deren dasjenige in jenem phyſiſchen Leben der Individuen, was als Bedingung der materiellen Lebensverhältniſſe und ihrer Entwicklung für andere und damit für die ganze Ge- meinſchaft erſcheint, nicht mehr von der individuellen Willkür des Einzelnen oder von dem Zufalle abhängig iſt, ſondern durch die Ver- waltung in der Weiſe geordnet wird, daß das Einzelleben auch hier die ihm individuell unerreichbaren Vorausſetzungen ſeiner Entwicklung findet. Und die Geſammtheit dieſer Thätigkeiten bildet die Verwaltung der perſönlichen, oder genauer des phyſiſchen Lebens. Es iſt nun zwar natürlich, daß dieſe Verwaltung ſich nach den Grundformen des perſönlichen Daſeins richtet, und aus ihnen ſein Syſtem erhält. Allein nicht das ganze Leben iſt Gegenſtand der Ver- waltung. Die letztere tritt immer nur da auf, wo jene Lebensverhält- niſſe als Bedingungen der Entwicklung der übrigen erſcheinen. Und wir heben dieß hier beſonders hervor, damit wir es nicht ſpäter bei jedem Punkte zu wiederholen brauchen. Das Syſtem oder die Ordnung der Verwaltungsaufgaben iſt niemals das Einzelleben für ſich, ſondern vielmehr die organiſche Eintheilung derjenigen phyſiſchen Be- ziehungen, in welche der Einzelne zur Gemeinſchaft und ihren Lebens- bedingungen ſteht. Betrachtet man nun das Einzelleben von dieſem Standpunkt, ſo hat es in ſeiner rein perſönlichen Form vier Gebiete, welche als die Gebiete dieſes Theiles der Verwaltung erſcheinen. Dieſe vier Gebiete ſind ſo alt wie die Verwaltung ſelbſt. Sie haben daher bekannte und hergebrachte Namen, und es wird, glauben wir, nicht die geringſte Schwierigkeit haben, ſich über das Syſtem ſelbſt zu ver- ſtändigen, ehe wir zum Einzelnen übergehen. Das erſte Gebiet iſt die phyſiſche Perſon in ihren leiblichen, natürlichen und allen Individuen gemeinſchaftlichen und gleichartigen Beziehungen zu andern, deren Verwaltung wir das Bevölkerungs- weſen nennen. Das zweite Gebiet ſind die Zuſtände dieſer Perſonen, inſofern dieſelben die rechtliche Selbſtändigkeit und perſönliche Unverletzlichkeit der übrigen mit Gefahren bedrohen, und die als Gegenſtand der Verwaltung die Sicherheitspolizei erzeugt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/126
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/126>, abgerufen am 29.03.2024.