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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Kinder übertragen werden. Es ist der Beachtung werth, daß hier die
Theorie an dem Wahne eines polizeilichen Verbotsystems festgehalten
hat, während die Gesetzgebung gesunde Einsicht genug hatte, um das
an sich Verkehrte und praktisch Nutzlose solcher Verbote zu erkennen und
sie daher nicht einführte. Schon Jacob (Grundsätze der Polizeigesetz-
gebung 1809) erklärt, "es scheint ein solches Verbot theils der Gerech-
tigkeit zuwider, theils in der Ausführung so schwer zu sein, daß es
lieber nicht gegeben werden müßte." (§. 110.) Berg hat den richtigen
Takt, gar nicht davon zu reden. Die Gesetze unseres Jahrhunderts
schweigen. Wenn die Schriftsteller über die Medicinalpolizei wie Frank
u. a. dergleichen Verbote anrathen, so hätten sich Männer wie Mohl
(Polizeiwissenschaft, §. 24) und selbst Gerstner (S. 188) nicht ver-
leiten lassen sollen, weiter davon zu reden. Abgesehen von der prakti-
schen Unausführbarkeit der Sache ist es ein so tiefer sittlicher Widerspruch,
dem der durch Krankheit unglücklich genug ist, die Milderung seines
Leidens durch die Ehe zu verbieten, und der Gattin es polizeilich un-
möglich zu machen, den höchsten Beweis der persönlichen Aufopferung
und Liebe zu geben, daß wir uns billig wundern, dieses Gebiet über-
haupt noch nicht etwa in der Bevölkerungslehre -- wohin es mit Recht
gehört -- wohl aber in der Verwaltungslehre erhalten zu sehen. --
In diesen Sätzen nun sind die letzten der polizeilichen Epoche ange-
hörigen Reste des älteren Eherechts enthalten. Der Geist derselben in
neuerer Zeit ist ein wesentlich anderer, und es wird jetzt möglich sein,
das System des öffentlichen Eherechts der neuen Gesellschaftsordnung
zu bestimmen.

Dagegen läßt sich ein anderes nicht läugnen. Jene Idee der
medicinal-polizeilichen Verbote der Ehe war doch im Grunde nur ein,
wenn auch schiefer Ausdruck der entstehenden Gesundheitsverwaltung.
Sie erzeugte daher neben jenen unmöglichen Ansichten zugleich höchst
positive und werthvolle Resultate, die sich namentlich in der Sorge
einerseits für Schwangere und zweitens für ein gutes Hebammen-
wesen
zeigten. Diese Richtung in der Medicinalpolizei, die wir unten
wieder aufzunehmen haben, hat sich vorzugsweise durch die Anerkennung
Bahn gebrochen, die sie bei der Bevölkerungspolitik dieser Epoche fand.
Alle Bevölkerungslehrer, von Justi und Süßmilch an bis auf Mohl
herab -- Gerstner hat sich ausgeschlossen -- nehmen die Anstalten für
Schwangere und Hebammenanstalten als einen integrirenden Theil der
"Maßregeln für die Bevölkerung" auf, und haben damit auf diesem
Gebiet dauernde Resultate erzielt, um derentwillen man ihnen wahrlich
leicht jene polizeiliche Ueberschwänglichkeit, die ohnehin kein praktisches
Resultat hatte, verzeihen wird!

Kinder übertragen werden. Es iſt der Beachtung werth, daß hier die
Theorie an dem Wahne eines polizeilichen Verbotſyſtems feſtgehalten
hat, während die Geſetzgebung geſunde Einſicht genug hatte, um das
an ſich Verkehrte und praktiſch Nutzloſe ſolcher Verbote zu erkennen und
ſie daher nicht einführte. Schon Jacob (Grundſätze der Polizeigeſetz-
gebung 1809) erklärt, „es ſcheint ein ſolches Verbot theils der Gerech-
tigkeit zuwider, theils in der Ausführung ſo ſchwer zu ſein, daß es
lieber nicht gegeben werden müßte.“ (§. 110.) Berg hat den richtigen
Takt, gar nicht davon zu reden. Die Geſetze unſeres Jahrhunderts
ſchweigen. Wenn die Schriftſteller über die Medicinalpolizei wie Frank
u. a. dergleichen Verbote anrathen, ſo hätten ſich Männer wie Mohl
(Polizeiwiſſenſchaft, §. 24) und ſelbſt Gerſtner (S. 188) nicht ver-
leiten laſſen ſollen, weiter davon zu reden. Abgeſehen von der prakti-
ſchen Unausführbarkeit der Sache iſt es ein ſo tiefer ſittlicher Widerſpruch,
dem der durch Krankheit unglücklich genug iſt, die Milderung ſeines
Leidens durch die Ehe zu verbieten, und der Gattin es polizeilich un-
möglich zu machen, den höchſten Beweis der perſönlichen Aufopferung
und Liebe zu geben, daß wir uns billig wundern, dieſes Gebiet über-
haupt noch nicht etwa in der Bevölkerungslehre — wohin es mit Recht
gehört — wohl aber in der Verwaltungslehre erhalten zu ſehen. —
In dieſen Sätzen nun ſind die letzten der polizeilichen Epoche ange-
hörigen Reſte des älteren Eherechts enthalten. Der Geiſt derſelben in
neuerer Zeit iſt ein weſentlich anderer, und es wird jetzt möglich ſein,
das Syſtem des öffentlichen Eherechts der neuen Geſellſchaftsordnung
zu beſtimmen.

Dagegen läßt ſich ein anderes nicht läugnen. Jene Idee der
medicinal-polizeilichen Verbote der Ehe war doch im Grunde nur ein,
wenn auch ſchiefer Ausdruck der entſtehenden Geſundheitsverwaltung.
Sie erzeugte daher neben jenen unmöglichen Anſichten zugleich höchſt
poſitive und werthvolle Reſultate, die ſich namentlich in der Sorge
einerſeits für Schwangere und zweitens für ein gutes Hebammen-
weſen
zeigten. Dieſe Richtung in der Medicinalpolizei, die wir unten
wieder aufzunehmen haben, hat ſich vorzugsweiſe durch die Anerkennung
Bahn gebrochen, die ſie bei der Bevölkerungspolitik dieſer Epoche fand.
Alle Bevölkerungslehrer, von Juſti und Süßmilch an bis auf Mohl
herab — Gerſtner hat ſich ausgeſchloſſen — nehmen die Anſtalten für
Schwangere und Hebammenanſtalten als einen integrirenden Theil der
„Maßregeln für die Bevölkerung“ auf, und haben damit auf dieſem
Gebiet dauernde Reſultate erzielt, um derentwillen man ihnen wahrlich
leicht jene polizeiliche Ueberſchwänglichkeit, die ohnehin kein praktiſches
Reſultat hatte, verzeihen wird!

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[148/0170] Kinder übertragen werden. Es iſt der Beachtung werth, daß hier die Theorie an dem Wahne eines polizeilichen Verbotſyſtems feſtgehalten hat, während die Geſetzgebung geſunde Einſicht genug hatte, um das an ſich Verkehrte und praktiſch Nutzloſe ſolcher Verbote zu erkennen und ſie daher nicht einführte. Schon Jacob (Grundſätze der Polizeigeſetz- gebung 1809) erklärt, „es ſcheint ein ſolches Verbot theils der Gerech- tigkeit zuwider, theils in der Ausführung ſo ſchwer zu ſein, daß es lieber nicht gegeben werden müßte.“ (§. 110.) Berg hat den richtigen Takt, gar nicht davon zu reden. Die Geſetze unſeres Jahrhunderts ſchweigen. Wenn die Schriftſteller über die Medicinalpolizei wie Frank u. a. dergleichen Verbote anrathen, ſo hätten ſich Männer wie Mohl (Polizeiwiſſenſchaft, §. 24) und ſelbſt Gerſtner (S. 188) nicht ver- leiten laſſen ſollen, weiter davon zu reden. Abgeſehen von der prakti- ſchen Unausführbarkeit der Sache iſt es ein ſo tiefer ſittlicher Widerſpruch, dem der durch Krankheit unglücklich genug iſt, die Milderung ſeines Leidens durch die Ehe zu verbieten, und der Gattin es polizeilich un- möglich zu machen, den höchſten Beweis der perſönlichen Aufopferung und Liebe zu geben, daß wir uns billig wundern, dieſes Gebiet über- haupt noch nicht etwa in der Bevölkerungslehre — wohin es mit Recht gehört — wohl aber in der Verwaltungslehre erhalten zu ſehen. — In dieſen Sätzen nun ſind die letzten der polizeilichen Epoche ange- hörigen Reſte des älteren Eherechts enthalten. Der Geiſt derſelben in neuerer Zeit iſt ein weſentlich anderer, und es wird jetzt möglich ſein, das Syſtem des öffentlichen Eherechts der neuen Geſellſchaftsordnung zu beſtimmen. Dagegen läßt ſich ein anderes nicht läugnen. Jene Idee der medicinal-polizeilichen Verbote der Ehe war doch im Grunde nur ein, wenn auch ſchiefer Ausdruck der entſtehenden Geſundheitsverwaltung. Sie erzeugte daher neben jenen unmöglichen Anſichten zugleich höchſt poſitive und werthvolle Reſultate, die ſich namentlich in der Sorge einerſeits für Schwangere und zweitens für ein gutes Hebammen- weſen zeigten. Dieſe Richtung in der Medicinalpolizei, die wir unten wieder aufzunehmen haben, hat ſich vorzugsweiſe durch die Anerkennung Bahn gebrochen, die ſie bei der Bevölkerungspolitik dieſer Epoche fand. Alle Bevölkerungslehrer, von Juſti und Süßmilch an bis auf Mohl herab — Gerſtner hat ſich ausgeſchloſſen — nehmen die Anſtalten für Schwangere und Hebammenanſtalten als einen integrirenden Theil der „Maßregeln für die Bevölkerung“ auf, und haben damit auf dieſem Gebiet dauernde Reſultate erzielt, um derentwillen man ihnen wahrlich leicht jene polizeiliche Ueberſchwänglichkeit, die ohnehin kein praktiſches Reſultat hatte, verzeihen wird!

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/170>, abgerufen am 23.04.2024.