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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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sie daher als identisch mit der Ansäßigmachung betrachtet. Das geltende
Recht in dieser Beziehung ist sehr engherzig (Gesetz über Ansäßig-
machung und Verehelichung vom 11. September 1825, revidirt durch
das Gesetz vom 1. Juli 1834). Kein Religionsdiener soll eine Trauung
vornehmen, es sei ihm denn die obrigkeitliche Heirathsbewil-
ligung
vorgelegt, unter dem Rechtsnachtheile der Haftung für
Schaden und Kosten
, welche aus der Trauung für die Gemeinde
erwachsen! Das Unausführbare dieses Gesetzes leuchtet auf den ersten
Blick eben so sehr ein, als das Irrationelle desselben (Pözl, Verfas-
sungsrecht §. 29). Doch ist das Ganze nicht besser, als in dem viel
"freisinnigeren" Baden, wo gleichfalls die Aufnahme und Ansäßigkeit
vom Gemeinderath und Bürgerausschuß versagt werden kann (§. 10),
und die Verehelichung vom 25. Lebensjahre, einem Nahrungszweige
und gar daneben einem Besitz von 100 bis 200 fl. abhängig gemacht
ist (§. 1)! Das ist das Gesetz vom 15. Februar 1851. (S. Fröh-
lich
, die badischen Gemeindegesetze 1861.) Ganz ähnlich ist das Ehe-
bewilligungsrecht im Großherzogthum Hessen (Gemeindeordnung vom
30. Juni 1821, Art. 42) bestimmt und durch das neueste Gesetz vom
19. Mai 1852, die Niederlassung betreffend, nicht geändert. Interes-
sant ist der Gang, den dieß Recht in Hannover gemacht hat. Ein
Rescript vom 27. Juli 1827 (Eckhardt, Gesetze, Verordnungen und
Ausschreibungen für das Königreich Hannover, 1840) besagt nur, daß
keine Trauung vorgenommen werden darf, bis die kopulirenden Per-
sonen die Erklärung der Commune, in der sie sich niederlassen wollen,
mitbringen, daß dieselbe sie aufnehmen wolle! Das wird durch
Ausschreiben vom 21. September 1835 eingeschärft; das Ausschreiben
vom 5. October 1840 hat dann die näheren Bedingungen festgestellt,
unter denen jene Erlaubniß von den Obrigkeiten ertheilt werden darf
-- darunter die, daß die Betreffenden bisher eine "sparsame Lebens-
weise" geführt und daß sie -- eine Wohnung gefunden haben! (Bitzer,
Freizügigkeit, S. 223--225.) -- Wir müssen, wie gesagt, uns auf diese
Beispiele beschränken. Aber sie genügen, um zu zeigen, daß das deutsche
öffentliche Eherecht noch großentheils auf dem Standpunkte des vorigen
Jahrhunderts steht, weit hinter dem Frankreichs und Englands, und
daß wir erst dann die völlige Freiheit der Ehe, wie sie unsere Gegen-
wart verlangt, haben werden, wenn wir einmal allgemeine und volle
Gewerbefreiheit wie in Oesterreich und die neue Organisirung des Hei-
mathswesens auf Grundlage der großen Armengemeinden, die noch
allenthalben fehlt, besitzen werden.

Es ist deßhalb nicht überflüssig, jetzt die elementaren Grundrechte
der Ehe dieser historischen Entwicklung anzuschließen.

ſie daher als identiſch mit der Anſäßigmachung betrachtet. Das geltende
Recht in dieſer Beziehung iſt ſehr engherzig (Geſetz über Anſäßig-
machung und Verehelichung vom 11. September 1825, revidirt durch
das Geſetz vom 1. Juli 1834). Kein Religionsdiener ſoll eine Trauung
vornehmen, es ſei ihm denn die obrigkeitliche Heirathsbewil-
ligung
vorgelegt, unter dem Rechtsnachtheile der Haftung für
Schaden und Koſten
, welche aus der Trauung für die Gemeinde
erwachſen! Das Unausführbare dieſes Geſetzes leuchtet auf den erſten
Blick eben ſo ſehr ein, als das Irrationelle deſſelben (Pözl, Verfaſ-
ſungsrecht §. 29). Doch iſt das Ganze nicht beſſer, als in dem viel
„freiſinnigeren“ Baden, wo gleichfalls die Aufnahme und Anſäßigkeit
vom Gemeinderath und Bürgerausſchuß verſagt werden kann (§. 10),
und die Verehelichung vom 25. Lebensjahre, einem Nahrungszweige
und gar daneben einem Beſitz von 100 bis 200 fl. abhängig gemacht
iſt (§. 1)! Das iſt das Geſetz vom 15. Februar 1851. (S. Fröh-
lich
, die badiſchen Gemeindegeſetze 1861.) Ganz ähnlich iſt das Ehe-
bewilligungsrecht im Großherzogthum Heſſen (Gemeindeordnung vom
30. Juni 1821, Art. 42) beſtimmt und durch das neueſte Geſetz vom
19. Mai 1852, die Niederlaſſung betreffend, nicht geändert. Intereſ-
ſant iſt der Gang, den dieß Recht in Hannover gemacht hat. Ein
Reſcript vom 27. Juli 1827 (Eckhardt, Geſetze, Verordnungen und
Ausſchreibungen für das Königreich Hannover, 1840) beſagt nur, daß
keine Trauung vorgenommen werden darf, bis die kopulirenden Per-
ſonen die Erklärung der Commune, in der ſie ſich niederlaſſen wollen,
mitbringen, daß dieſelbe ſie aufnehmen wolle! Das wird durch
Ausſchreiben vom 21. September 1835 eingeſchärft; das Ausſchreiben
vom 5. October 1840 hat dann die näheren Bedingungen feſtgeſtellt,
unter denen jene Erlaubniß von den Obrigkeiten ertheilt werden darf
— darunter die, daß die Betreffenden bisher eine „ſparſame Lebens-
weiſe“ geführt und daß ſie — eine Wohnung gefunden haben! (Bitzer,
Freizügigkeit, S. 223—225.) — Wir müſſen, wie geſagt, uns auf dieſe
Beiſpiele beſchränken. Aber ſie genügen, um zu zeigen, daß das deutſche
öffentliche Eherecht noch großentheils auf dem Standpunkte des vorigen
Jahrhunderts ſteht, weit hinter dem Frankreichs und Englands, und
daß wir erſt dann die völlige Freiheit der Ehe, wie ſie unſere Gegen-
wart verlangt, haben werden, wenn wir einmal allgemeine und volle
Gewerbefreiheit wie in Oeſterreich und die neue Organiſirung des Hei-
mathsweſens auf Grundlage der großen Armengemeinden, die noch
allenthalben fehlt, beſitzen werden.

Es iſt deßhalb nicht überflüſſig, jetzt die elementaren Grundrechte
der Ehe dieſer hiſtoriſchen Entwicklung anzuſchließen.

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[155/0177] ſie daher als identiſch mit der Anſäßigmachung betrachtet. Das geltende Recht in dieſer Beziehung iſt ſehr engherzig (Geſetz über Anſäßig- machung und Verehelichung vom 11. September 1825, revidirt durch das Geſetz vom 1. Juli 1834). Kein Religionsdiener ſoll eine Trauung vornehmen, es ſei ihm denn die obrigkeitliche Heirathsbewil- ligung vorgelegt, unter dem Rechtsnachtheile der Haftung für Schaden und Koſten, welche aus der Trauung für die Gemeinde erwachſen! Das Unausführbare dieſes Geſetzes leuchtet auf den erſten Blick eben ſo ſehr ein, als das Irrationelle deſſelben (Pözl, Verfaſ- ſungsrecht §. 29). Doch iſt das Ganze nicht beſſer, als in dem viel „freiſinnigeren“ Baden, wo gleichfalls die Aufnahme und Anſäßigkeit vom Gemeinderath und Bürgerausſchuß verſagt werden kann (§. 10), und die Verehelichung vom 25. Lebensjahre, einem Nahrungszweige und gar daneben einem Beſitz von 100 bis 200 fl. abhängig gemacht iſt (§. 1)! Das iſt das Geſetz vom 15. Februar 1851. (S. Fröh- lich, die badiſchen Gemeindegeſetze 1861.) Ganz ähnlich iſt das Ehe- bewilligungsrecht im Großherzogthum Heſſen (Gemeindeordnung vom 30. Juni 1821, Art. 42) beſtimmt und durch das neueſte Geſetz vom 19. Mai 1852, die Niederlaſſung betreffend, nicht geändert. Intereſ- ſant iſt der Gang, den dieß Recht in Hannover gemacht hat. Ein Reſcript vom 27. Juli 1827 (Eckhardt, Geſetze, Verordnungen und Ausſchreibungen für das Königreich Hannover, 1840) beſagt nur, daß keine Trauung vorgenommen werden darf, bis die kopulirenden Per- ſonen die Erklärung der Commune, in der ſie ſich niederlaſſen wollen, mitbringen, daß dieſelbe ſie aufnehmen wolle! Das wird durch Ausſchreiben vom 21. September 1835 eingeſchärft; das Ausſchreiben vom 5. October 1840 hat dann die näheren Bedingungen feſtgeſtellt, unter denen jene Erlaubniß von den Obrigkeiten ertheilt werden darf — darunter die, daß die Betreffenden bisher eine „ſparſame Lebens- weiſe“ geführt und daß ſie — eine Wohnung gefunden haben! (Bitzer, Freizügigkeit, S. 223—225.) — Wir müſſen, wie geſagt, uns auf dieſe Beiſpiele beſchränken. Aber ſie genügen, um zu zeigen, daß das deutſche öffentliche Eherecht noch großentheils auf dem Standpunkte des vorigen Jahrhunderts ſteht, weit hinter dem Frankreichs und Englands, und daß wir erſt dann die völlige Freiheit der Ehe, wie ſie unſere Gegen- wart verlangt, haben werden, wenn wir einmal allgemeine und volle Gewerbefreiheit wie in Oeſterreich und die neue Organiſirung des Hei- mathsweſens auf Grundlage der großen Armengemeinden, die noch allenthalben fehlt, beſitzen werden. Es iſt deßhalb nicht überflüſſig, jetzt die elementaren Grundrechte der Ehe dieſer hiſtoriſchen Entwicklung anzuſchließen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/177>, abgerufen am 25.04.2024.