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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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auch noch aus ihren Domänen Grundbesitz anwiesen. Diese erste
Form der staatlichen Einwanderung schließt natürlich die Einzeleinwan-
derung aus; sie geschieht stets in ganzen Körperschaften, und es bedarf
keiner Erklärung, weßhalb dieselben auch nach der Einwanderung noch
örtliche Einheiten bilden. Dadurch wird der altrömische Begriff der
"Colonia" auf sie anwendbar; und so entsteht das, was wir als die
erste Form der "innern Colonisation" bezeichnen. Der Begriff der in-
nern Colonisation ist daher im weitern Sinne die Niederlassung von
Einwanderern als selbständiger Selbstverwaltungskörper, und
zwar theils als Corporationen, wie bei der Privilegirung fremder
Handelsniederlassungen, theils als wirklicher Gemeinden. Die Grund-
gedanken dieser Epoche übertragen sich nun auf die folgende und wirken
wesentlich mit in der Bildung des neuen Einwanderungsrechts. Die
Elemente desselben sind folgende.

Dritte Epoche.

Die polizeiliche Zeit. Das populationistische Einwanderungswesen.

Dasjenige, was wir als das polizeiliche Einwanderungswesen be-
zeichnen, ist die erste und natürlichste Consequenz der populationistischen
Auffassung des gesammten Bevölkerungswesens, die bekanntlich mit der
Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt und im 18. ihren Höhepunkt
erreicht. Der Wunsch, durch die Zahl der Einwohner die praktische
militärische Macht und die theoretische "Glückseligkeit" der Staaten zu
vermehren, mußte sofort zu dem Streben führen, die Einwanderung
zu befördern, und dieß Streben zeigt sich nun in der That in den
meisten Staaten Europas. Allein dieß Streben trifft zunächst auf das
bestehende Recht und die feste Ordnung theils der Städte, theils der
Grundherren, deren Interesse die Festhaltung des alten Heimathswesens
fordert; und zugleich erscheint gleichzeitig mit ihm, und aus derselben
Quelle entspringend, die immer entschiedenere Tendenz, die Heimath-
losigkeit, die Erwerblosigkeit und die in ihr liegenden Gefahren zu ver-
hindern. Es ist in hohem Grade belehrend, zu sehen, wie diese ver-
schiedenen und zum Theil ja entgegengesetzten Faktoren nun auf die
Stellung und Thätigkeit wirken, welche die Verwaltungen gegenüber
dem Einwanderungswesen einnehmen. Wie jene Faktoren selbst einan-
der entgegenstehen, so erscheinen auch in Gesetzgebung und Verwaltung
zwei entgegengesetzte Systeme; das eine, welches die Einwanderung
in jeder möglichen Weise befördern will, das zweite, welches die
örtliche Bewegung der Bevölkerung überhaupt, und also auch die
Einwanderung, auf die strengste Beschränkung durch polizeiliche

auch noch aus ihren Domänen Grundbeſitz anwieſen. Dieſe erſte
Form der ſtaatlichen Einwanderung ſchließt natürlich die Einzeleinwan-
derung aus; ſie geſchieht ſtets in ganzen Körperſchaften, und es bedarf
keiner Erklärung, weßhalb dieſelben auch nach der Einwanderung noch
örtliche Einheiten bilden. Dadurch wird der altrömiſche Begriff der
„Colonia“ auf ſie anwendbar; und ſo entſteht das, was wir als die
erſte Form der „innern Coloniſation“ bezeichnen. Der Begriff der in-
nern Coloniſation iſt daher im weitern Sinne die Niederlaſſung von
Einwanderern als ſelbſtändiger Selbſtverwaltungskörper, und
zwar theils als Corporationen, wie bei der Privilegirung fremder
Handelsniederlaſſungen, theils als wirklicher Gemeinden. Die Grund-
gedanken dieſer Epoche übertragen ſich nun auf die folgende und wirken
weſentlich mit in der Bildung des neuen Einwanderungsrechts. Die
Elemente deſſelben ſind folgende.

Dritte Epoche.

Die polizeiliche Zeit. Das populationiſtiſche Einwanderungsweſen.

Dasjenige, was wir als das polizeiliche Einwanderungsweſen be-
zeichnen, iſt die erſte und natürlichſte Conſequenz der populationiſtiſchen
Auffaſſung des geſammten Bevölkerungsweſens, die bekanntlich mit der
Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt und im 18. ihren Höhepunkt
erreicht. Der Wunſch, durch die Zahl der Einwohner die praktiſche
militäriſche Macht und die theoretiſche „Glückſeligkeit“ der Staaten zu
vermehren, mußte ſofort zu dem Streben führen, die Einwanderung
zu befördern, und dieß Streben zeigt ſich nun in der That in den
meiſten Staaten Europas. Allein dieß Streben trifft zunächſt auf das
beſtehende Recht und die feſte Ordnung theils der Städte, theils der
Grundherren, deren Intereſſe die Feſthaltung des alten Heimathsweſens
fordert; und zugleich erſcheint gleichzeitig mit ihm, und aus derſelben
Quelle entſpringend, die immer entſchiedenere Tendenz, die Heimath-
loſigkeit, die Erwerbloſigkeit und die in ihr liegenden Gefahren zu ver-
hindern. Es iſt in hohem Grade belehrend, zu ſehen, wie dieſe ver-
ſchiedenen und zum Theil ja entgegengeſetzten Faktoren nun auf die
Stellung und Thätigkeit wirken, welche die Verwaltungen gegenüber
dem Einwanderungsweſen einnehmen. Wie jene Faktoren ſelbſt einan-
der entgegenſtehen, ſo erſcheinen auch in Geſetzgebung und Verwaltung
zwei entgegengeſetzte Syſteme; das eine, welches die Einwanderung
in jeder möglichen Weiſe befördern will, das zweite, welches die
örtliche Bewegung der Bevölkerung überhaupt, und alſo auch die
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[174/0196] auch noch aus ihren Domänen Grundbeſitz anwieſen. Dieſe erſte Form der ſtaatlichen Einwanderung ſchließt natürlich die Einzeleinwan- derung aus; ſie geſchieht ſtets in ganzen Körperſchaften, und es bedarf keiner Erklärung, weßhalb dieſelben auch nach der Einwanderung noch örtliche Einheiten bilden. Dadurch wird der altrömiſche Begriff der „Colonia“ auf ſie anwendbar; und ſo entſteht das, was wir als die erſte Form der „innern Coloniſation“ bezeichnen. Der Begriff der in- nern Coloniſation iſt daher im weitern Sinne die Niederlaſſung von Einwanderern als ſelbſtändiger Selbſtverwaltungskörper, und zwar theils als Corporationen, wie bei der Privilegirung fremder Handelsniederlaſſungen, theils als wirklicher Gemeinden. Die Grund- gedanken dieſer Epoche übertragen ſich nun auf die folgende und wirken weſentlich mit in der Bildung des neuen Einwanderungsrechts. Die Elemente deſſelben ſind folgende. Dritte Epoche. Die polizeiliche Zeit. Das populationiſtiſche Einwanderungsweſen. Dasjenige, was wir als das polizeiliche Einwanderungsweſen be- zeichnen, iſt die erſte und natürlichſte Conſequenz der populationiſtiſchen Auffaſſung des geſammten Bevölkerungsweſens, die bekanntlich mit der Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt und im 18. ihren Höhepunkt erreicht. Der Wunſch, durch die Zahl der Einwohner die praktiſche militäriſche Macht und die theoretiſche „Glückſeligkeit“ der Staaten zu vermehren, mußte ſofort zu dem Streben führen, die Einwanderung zu befördern, und dieß Streben zeigt ſich nun in der That in den meiſten Staaten Europas. Allein dieß Streben trifft zunächſt auf das beſtehende Recht und die feſte Ordnung theils der Städte, theils der Grundherren, deren Intereſſe die Feſthaltung des alten Heimathsweſens fordert; und zugleich erſcheint gleichzeitig mit ihm, und aus derſelben Quelle entſpringend, die immer entſchiedenere Tendenz, die Heimath- loſigkeit, die Erwerbloſigkeit und die in ihr liegenden Gefahren zu ver- hindern. Es iſt in hohem Grade belehrend, zu ſehen, wie dieſe ver- ſchiedenen und zum Theil ja entgegengeſetzten Faktoren nun auf die Stellung und Thätigkeit wirken, welche die Verwaltungen gegenüber dem Einwanderungsweſen einnehmen. Wie jene Faktoren ſelbſt einan- der entgegenſtehen, ſo erſcheinen auch in Geſetzgebung und Verwaltung zwei entgegengeſetzte Syſteme; das eine, welches die Einwanderung in jeder möglichen Weiſe befördern will, das zweite, welches die örtliche Bewegung der Bevölkerung überhaupt, und alſo auch die Einwanderung, auf die ſtrengſte Beſchränkung durch polizeiliche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/196>, abgerufen am 23.04.2024.