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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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2) Das grundherrliche Auswanderungsrecht.

(Das grundherrliche Nachschoßrecht, jus oder census (gabella) emigra-
tionis,
oder Detractrecht und seine Geschichte.)

Während Ordnung und Recht der auf geistigen Faktoren beruhen-
den Auswanderung wenig oder gar nicht mit dem eigentlichen Staats-
recht in Verbindung steht und seiner Natur nach als ein freies Recht
erkannt wird, erscheint eine ganz andere Gestalt des Auswanderungsrechts
da, wo es sich rein um den mit der Auswanderung verbundenen Besitz
handelt. Und hier treten wir zuerst in dasjenige Gebiet der Rechts-
geschichte, das mit unserer Gegenwart zusammenhängt.

Das große Princip des Lehnswesens, nach welchem der Besitz sich
mit dem staatlichen Hoheitsrecht identificirt, hat, wie alle andern Ge-
biete, so auch das des Auswanderungsrechts in einer Weise bestimmt, die
jedem Juristen bekannt ist, und bei der uns nur Eins darzulegen übrig
bleibt, die Verschmelzung dieses eigentlich grundherrlichen Rechtes mit
dem späteren, dem polizeilichen Auswanderungsrecht. Freilich dürfte
unsere Auffassung auch des ersteren nicht die gewöhnliche sein. Der
uralte Grundsatz der Geschlechterordnung, daß der Grundbesitz der Ge-
meinde (des Dorfes) eine an sich rechtlich untrennbare Einheit sei,
geht mit der Eroberung durch die Völkerwanderung auf die neuen
Staatenbildungen über, und erscheint hier zuerst in dem Grundsatz,
daß der Lehnsherr das Obereigenthum über die Besitzungen seiner Va-
sallen habe. Die natürliche erste Folge dieses Princips war, daß der
Vasall nicht über seine Hinterlassenschaft testiren könne. Die zweite Folge
war, daß das erblose Gut dem Grundherrn zufiel. Die dritte war,
daß das Vermögen der Familien dem Herrn des Grundes und Bo-
dens zufiel, auf dem sie lebten, eine Consequenz, die Kaiser Friedrich II.
umsonst aufhob (Authent. ad l. IV. C. Comm. de Succ.) und von
dem noch Fischer in seinem Polizeirecht (§. 610) sagt: "Dieses
Gesetz ist theils bloß der in Italien studirenden Jugend gegeben (Frie-
drich II. spricht allerdings nur von "Hospitibus"), theils niemals voll-
kommen beobachtet worden." Diese verschiedenen Consequenzen nennen
wir das Heimfallsrecht. Von den Grundherren aus ward dieß
Recht dann auch auf die städtischen Gemeinden übertragen, und bil-
dete so ein allgemeines germanisches Rechtsprincip. Die freiere Bewegung
unter den Völkern milderte dann diesen Grundsatz theils auch unter dem
Einfluß des römischen Rechts dahin, daß zwar das Recht des Fremden
an der Erbschaft zugestanden, daß aber die Ausfolgung der Erbschaft
nur gegen eine Entschädigung an den Gutsherrn, beziehungsweise die

2) Das grundherrliche Auswanderungsrecht.

(Das grundherrliche Nachſchoßrecht, jus oder census (gabella) emigra-
tionis,
oder Detractrecht und ſeine Geſchichte.)

Während Ordnung und Recht der auf geiſtigen Faktoren beruhen-
den Auswanderung wenig oder gar nicht mit dem eigentlichen Staats-
recht in Verbindung ſteht und ſeiner Natur nach als ein freies Recht
erkannt wird, erſcheint eine ganz andere Geſtalt des Auswanderungsrechts
da, wo es ſich rein um den mit der Auswanderung verbundenen Beſitz
handelt. Und hier treten wir zuerſt in dasjenige Gebiet der Rechts-
geſchichte, das mit unſerer Gegenwart zuſammenhängt.

Das große Princip des Lehnsweſens, nach welchem der Beſitz ſich
mit dem ſtaatlichen Hoheitsrecht identificirt, hat, wie alle andern Ge-
biete, ſo auch das des Auswanderungsrechts in einer Weiſe beſtimmt, die
jedem Juriſten bekannt iſt, und bei der uns nur Eins darzulegen übrig
bleibt, die Verſchmelzung dieſes eigentlich grundherrlichen Rechtes mit
dem ſpäteren, dem polizeilichen Auswanderungsrecht. Freilich dürfte
unſere Auffaſſung auch des erſteren nicht die gewöhnliche ſein. Der
uralte Grundſatz der Geſchlechterordnung, daß der Grundbeſitz der Ge-
meinde (des Dorfes) eine an ſich rechtlich untrennbare Einheit ſei,
geht mit der Eroberung durch die Völkerwanderung auf die neuen
Staatenbildungen über, und erſcheint hier zuerſt in dem Grundſatz,
daß der Lehnsherr das Obereigenthum über die Beſitzungen ſeiner Va-
ſallen habe. Die natürliche erſte Folge dieſes Princips war, daß der
Vaſall nicht über ſeine Hinterlaſſenſchaft teſtiren könne. Die zweite Folge
war, daß das erbloſe Gut dem Grundherrn zufiel. Die dritte war,
daß das Vermögen der Familien dem Herrn des Grundes und Bo-
dens zufiel, auf dem ſie lebten, eine Conſequenz, die Kaiſer Friedrich II.
umſonſt aufhob (Authent. ad l. IV. C. Comm. de Succ.) und von
dem noch Fiſcher in ſeinem Polizeirecht (§. 610) ſagt: „Dieſes
Geſetz iſt theils bloß der in Italien ſtudirenden Jugend gegeben (Frie-
drich II. ſpricht allerdings nur von „Hospitibus“), theils niemals voll-
kommen beobachtet worden.“ Dieſe verſchiedenen Conſequenzen nennen
wir das Heimfallsrecht. Von den Grundherren aus ward dieß
Recht dann auch auf die ſtädtiſchen Gemeinden übertragen, und bil-
dete ſo ein allgemeines germaniſches Rechtsprincip. Die freiere Bewegung
unter den Völkern milderte dann dieſen Grundſatz theils auch unter dem
Einfluß des römiſchen Rechts dahin, daß zwar das Recht des Fremden
an der Erbſchaft zugeſtanden, daß aber die Ausfolgung der Erbſchaft
nur gegen eine Entſchädigung an den Gutsherrn, beziehungsweiſe die

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[191/0213] 2) Das grundherrliche Auswanderungsrecht. (Das grundherrliche Nachſchoßrecht, jus oder census (gabella) emigra- tionis, oder Detractrecht und ſeine Geſchichte.) Während Ordnung und Recht der auf geiſtigen Faktoren beruhen- den Auswanderung wenig oder gar nicht mit dem eigentlichen Staats- recht in Verbindung ſteht und ſeiner Natur nach als ein freies Recht erkannt wird, erſcheint eine ganz andere Geſtalt des Auswanderungsrechts da, wo es ſich rein um den mit der Auswanderung verbundenen Beſitz handelt. Und hier treten wir zuerſt in dasjenige Gebiet der Rechts- geſchichte, das mit unſerer Gegenwart zuſammenhängt. Das große Princip des Lehnsweſens, nach welchem der Beſitz ſich mit dem ſtaatlichen Hoheitsrecht identificirt, hat, wie alle andern Ge- biete, ſo auch das des Auswanderungsrechts in einer Weiſe beſtimmt, die jedem Juriſten bekannt iſt, und bei der uns nur Eins darzulegen übrig bleibt, die Verſchmelzung dieſes eigentlich grundherrlichen Rechtes mit dem ſpäteren, dem polizeilichen Auswanderungsrecht. Freilich dürfte unſere Auffaſſung auch des erſteren nicht die gewöhnliche ſein. Der uralte Grundſatz der Geſchlechterordnung, daß der Grundbeſitz der Ge- meinde (des Dorfes) eine an ſich rechtlich untrennbare Einheit ſei, geht mit der Eroberung durch die Völkerwanderung auf die neuen Staatenbildungen über, und erſcheint hier zuerſt in dem Grundſatz, daß der Lehnsherr das Obereigenthum über die Beſitzungen ſeiner Va- ſallen habe. Die natürliche erſte Folge dieſes Princips war, daß der Vaſall nicht über ſeine Hinterlaſſenſchaft teſtiren könne. Die zweite Folge war, daß das erbloſe Gut dem Grundherrn zufiel. Die dritte war, daß das Vermögen der Familien dem Herrn des Grundes und Bo- dens zufiel, auf dem ſie lebten, eine Conſequenz, die Kaiſer Friedrich II. umſonſt aufhob (Authent. ad l. IV. C. Comm. de Succ.) und von dem noch Fiſcher in ſeinem Polizeirecht (§. 610) ſagt: „Dieſes Geſetz iſt theils bloß der in Italien ſtudirenden Jugend gegeben (Frie- drich II. ſpricht allerdings nur von „Hospitibus“), theils niemals voll- kommen beobachtet worden.“ Dieſe verſchiedenen Conſequenzen nennen wir das Heimfallsrecht. Von den Grundherren aus ward dieß Recht dann auch auf die ſtädtiſchen Gemeinden übertragen, und bil- dete ſo ein allgemeines germaniſches Rechtsprincip. Die freiere Bewegung unter den Völkern milderte dann dieſen Grundſatz theils auch unter dem Einfluß des römiſchen Rechts dahin, daß zwar das Recht des Fremden an der Erbſchaft zugeſtanden, daß aber die Ausfolgung der Erbſchaft nur gegen eine Entſchädigung an den Gutsherrn, beziehungsweiſe die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/213>, abgerufen am 29.03.2024.