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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Princip ist bis jetzt in Frankreich das alleingültige geblieben. Das
neueste Gesetz vom 6. August 1851, hat im Grunde nur die ganze
bisherige Entwicklung organisch zusammengefaßt. Wir führen es hier
in so weit auf, als es eben für die administrative Ordnung der Be-
völkerung im Armenwesen maßgebend ist.

Darnach gibt es in Frankreich kein eigentliches Heimaths-
recht
, so wenig als eine Gemeindeangehörigkeit. Das System der
Armenunterstützung hat vielmehr die alten zwei Haupttheile, die Armen-
anstalten
, die Hospitäler, Irrenanstalten etc. für Kranke, und die
Hospices (Armenpfleghäuser) für Gebrechliche, neben der freien Armen-
pflege in den häuslichen Unterstützungen (secours a domicile). Aller-
dings aber haben diese beiden Formen ihre Angehörigkeit, die wir
nunmehr leicht bezeichnen können.

a) In die Hospitäler wird jeder zeitlich Kranke gebracht, gleich-
viel ob er in der Gemeinde wohnhaft ist oder nicht -- "man soll nicht
sagen können, daß man auf dem Boden Frankreichs bei dem Eintritt
in ein Hospital nicht nach den Wunden und Schmerzen eines Leidenden,
sondern nach seinem Passe frage" -- was sehr schön gesagt, aber weder
neu noch etwas besonderes für Frankreich ist, da es schon vor der Re-
volution bestand und bekanntlich in Deutschland allgemein ist. Nur der
Grundsatz, daß das Hospital für die Verpflegung an keine Heimath
des Verpflegten einen Anspruch habe, ist zum Theil eigenthümlich, jeden-
falls von zweifelhafter Richtigkeit.

b) In die Armenpflegehäuser, Hospices, werden die persön-
lich Armen nach denjenigen Regeln aufgenommen, welche von der
Pfleghausverwaltung festgestellt werden. Nach Porlier bei Block
v. domicile gilt hier noch das Heimathsrecht eines einjährigen Auf-
enthalts nach dem Gesetz vom 25. vend. an II. Bitzer sagt nichts
davon (S. 34, 35). Jedenfalls hat jede Gemeinde nach dem Gesetz
von 1851 das Recht, ihre persönlich Armen in einem solchen Hospice
unterzubringen gegen ein von ihr zu zahlendes Pflegegeld. Diesen Armen-
pfleghäusern lag die Pflicht zur Unterbringung der Heimathberechtigten ob,
in so weit sie alt oder gebrechlich sind (nicht in so weit sie bloß
[wirthschaftlich] arm sind); sie sind daher die Institute, bei denen allein
der Rest des Heimathsrechts und Heimathswesens in Frankreich vor-
kommt; nach allem Vorliegenden aber ist dies Heimathsrecht ein sehr
unbestimmtes, von den Verwaltungen der Hospices abhängiges, und
praktisch wie es scheint nicht sehr wichtiges.

c) Dagegen existirt keine direkte Armensteuer, mithin keine gesetzliche
Verpflichtung, die bloß Erwerblosen durch die Gemeinde zu ernähren,
und mithin kein allgemeines Heimathsrecht, sondern die wirthschaftlich

Stein, die Verwaltungslehre. II. 20

Princip iſt bis jetzt in Frankreich das alleingültige geblieben. Das
neueſte Geſetz vom 6. Auguſt 1851, hat im Grunde nur die ganze
bisherige Entwicklung organiſch zuſammengefaßt. Wir führen es hier
in ſo weit auf, als es eben für die adminiſtrative Ordnung der Be-
völkerung im Armenweſen maßgebend iſt.

Darnach gibt es in Frankreich kein eigentliches Heimaths-
recht
, ſo wenig als eine Gemeindeangehörigkeit. Das Syſtem der
Armenunterſtützung hat vielmehr die alten zwei Haupttheile, die Armen-
anſtalten
, die Hoſpitäler, Irrenanſtalten ꝛc. für Kranke, und die
Hospices (Armenpfleghäuſer) für Gebrechliche, neben der freien Armen-
pflege in den häuslichen Unterſtützungen (secours à domicile). Aller-
dings aber haben dieſe beiden Formen ihre Angehörigkeit, die wir
nunmehr leicht bezeichnen können.

a) In die Hoſpitäler wird jeder zeitlich Kranke gebracht, gleich-
viel ob er in der Gemeinde wohnhaft iſt oder nicht — „man ſoll nicht
ſagen können, daß man auf dem Boden Frankreichs bei dem Eintritt
in ein Hoſpital nicht nach den Wunden und Schmerzen eines Leidenden,
ſondern nach ſeinem Paſſe frage“ — was ſehr ſchön geſagt, aber weder
neu noch etwas beſonderes für Frankreich iſt, da es ſchon vor der Re-
volution beſtand und bekanntlich in Deutſchland allgemein iſt. Nur der
Grundſatz, daß das Hoſpital für die Verpflegung an keine Heimath
des Verpflegten einen Anſpruch habe, iſt zum Theil eigenthümlich, jeden-
falls von zweifelhafter Richtigkeit.

b) In die Armenpflegehäuſer, Hospices, werden die perſön-
lich Armen nach denjenigen Regeln aufgenommen, welche von der
Pfleghausverwaltung feſtgeſtellt werden. Nach Porlier bei Block
v. domicile gilt hier noch das Heimathsrecht eines einjährigen Auf-
enthalts nach dem Geſetz vom 25. vend. an II. Bitzer ſagt nichts
davon (S. 34, 35). Jedenfalls hat jede Gemeinde nach dem Geſetz
von 1851 das Recht, ihre perſönlich Armen in einem ſolchen Hospice
unterzubringen gegen ein von ihr zu zahlendes Pflegegeld. Dieſen Armen-
pfleghäuſern lag die Pflicht zur Unterbringung der Heimathberechtigten ob,
in ſo weit ſie alt oder gebrechlich ſind (nicht in ſo weit ſie bloß
[wirthſchaftlich] arm ſind); ſie ſind daher die Inſtitute, bei denen allein
der Reſt des Heimathsrechts und Heimathsweſens in Frankreich vor-
kommt; nach allem Vorliegenden aber iſt dies Heimathsrecht ein ſehr
unbeſtimmtes, von den Verwaltungen der Hospices abhängiges, und
praktiſch wie es ſcheint nicht ſehr wichtiges.

c) Dagegen exiſtirt keine direkte Armenſteuer, mithin keine geſetzliche
Verpflichtung, die bloß Erwerbloſen durch die Gemeinde zu ernähren,
und mithin kein allgemeines Heimathsrecht, ſondern die wirthſchaftlich

Stein, die Verwaltungslehre. II. 20
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[305/0327] Princip iſt bis jetzt in Frankreich das alleingültige geblieben. Das neueſte Geſetz vom 6. Auguſt 1851, hat im Grunde nur die ganze bisherige Entwicklung organiſch zuſammengefaßt. Wir führen es hier in ſo weit auf, als es eben für die adminiſtrative Ordnung der Be- völkerung im Armenweſen maßgebend iſt. Darnach gibt es in Frankreich kein eigentliches Heimaths- recht, ſo wenig als eine Gemeindeangehörigkeit. Das Syſtem der Armenunterſtützung hat vielmehr die alten zwei Haupttheile, die Armen- anſtalten, die Hoſpitäler, Irrenanſtalten ꝛc. für Kranke, und die Hospices (Armenpfleghäuſer) für Gebrechliche, neben der freien Armen- pflege in den häuslichen Unterſtützungen (secours à domicile). Aller- dings aber haben dieſe beiden Formen ihre Angehörigkeit, die wir nunmehr leicht bezeichnen können. a) In die Hoſpitäler wird jeder zeitlich Kranke gebracht, gleich- viel ob er in der Gemeinde wohnhaft iſt oder nicht — „man ſoll nicht ſagen können, daß man auf dem Boden Frankreichs bei dem Eintritt in ein Hoſpital nicht nach den Wunden und Schmerzen eines Leidenden, ſondern nach ſeinem Paſſe frage“ — was ſehr ſchön geſagt, aber weder neu noch etwas beſonderes für Frankreich iſt, da es ſchon vor der Re- volution beſtand und bekanntlich in Deutſchland allgemein iſt. Nur der Grundſatz, daß das Hoſpital für die Verpflegung an keine Heimath des Verpflegten einen Anſpruch habe, iſt zum Theil eigenthümlich, jeden- falls von zweifelhafter Richtigkeit. b) In die Armenpflegehäuſer, Hospices, werden die perſön- lich Armen nach denjenigen Regeln aufgenommen, welche von der Pfleghausverwaltung feſtgeſtellt werden. Nach Porlier bei Block v. domicile gilt hier noch das Heimathsrecht eines einjährigen Auf- enthalts nach dem Geſetz vom 25. vend. an II. Bitzer ſagt nichts davon (S. 34, 35). Jedenfalls hat jede Gemeinde nach dem Geſetz von 1851 das Recht, ihre perſönlich Armen in einem ſolchen Hospice unterzubringen gegen ein von ihr zu zahlendes Pflegegeld. Dieſen Armen- pfleghäuſern lag die Pflicht zur Unterbringung der Heimathberechtigten ob, in ſo weit ſie alt oder gebrechlich ſind (nicht in ſo weit ſie bloß [wirthſchaftlich] arm ſind); ſie ſind daher die Inſtitute, bei denen allein der Reſt des Heimathsrechts und Heimathsweſens in Frankreich vor- kommt; nach allem Vorliegenden aber iſt dies Heimathsrecht ein ſehr unbeſtimmtes, von den Verwaltungen der Hospices abhängiges, und praktiſch wie es ſcheint nicht ſehr wichtiges. c) Dagegen exiſtirt keine direkte Armenſteuer, mithin keine geſetzliche Verpflichtung, die bloß Erwerbloſen durch die Gemeinde zu ernähren, und mithin kein allgemeines Heimathsrecht, ſondern die wirthſchaftlich Stein, die Verwaltungslehre. II. 20

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/327>, abgerufen am 28.03.2024.