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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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II.

Psychologische Notizen über das Verhalten der Bakairi dem Neuen gegenüber. Grenzen des Ver-
ständnisses. Studien mit dem Dujourhabenden. Schwierigkeiten der Verständigung und der sprach-
lichen Aufnahme
: Substantiva, Verba, übergeordnete Begriffe.

Ueber das Interesse, das die Bakairi an meinen Kleidern nahmen, habe ich
berichtet. Es wandte sich allmählich in besonderm Grade den Taschen zu, und
sie wussten bald genau, was in dieser und was in jener steckte.

"Ob ich Hemd und Hose selbst gemacht hätte?" Immer kehrte diese mir
ärgerliche Frage wieder. "Ob ich die Hängematte, den Moskiteiro selbst gemacht
hätte?" Es berührte sie wunderbar, dass in meinem ganzen Besitzstand nichts
zu Tage kam, wo ich die Frage bejaht hätte. Deutlich war zu sehen, dass die
Sachen, von deren Ursprung sie sich eine gewisse Vorstellung machen konnten,
ihre Aufmerksamkeit auch lebhafter beschäftigten. Das Gewebe der paraguayer
Hängematte wurde alle Tage betastet und eifrig beredet.

Alles wollten sie haben. "Ura" "(es ist) mein" lautete die einfache Erklärung.
Die Männer bevorzugten für sich selbst das Praktische, für Frauen und Kinder
den Schmuck, für sich die Messer, für jene die Perlen. Die Frauen wurden beim
Anblick der Perlen geradezu aufgeregt und nur mein Zinnteller wurde mit gleicher
Habgier umworben. "Knöpfe" schienen für eine Art Perlen gehalten zu werden.
Ich entdeckte bei mehreren Frauen Zierrat, der von unserer ersten Expedition
herrührte und von dem Batovy an den Kulisehu gewandert war. Eine Frau trat
mir entgegen, die nichts als einen Messingknopf an einer Schnur auf der Brust
trug, und auf diesem Knopf stand die 8 des achten Cuyabaner Bataillons,
dem unsere Soldaten damals angehört hatten. "Ist es tuchu, Stein?", fragten
diese lebendigen Praehistoriker. Natürlich waren die Perlen ebenso Stein und
ihnen wegen ihrer Buntheit lieber als Gold, das sie ganz gleichgültig liess.
Ich hatte ihnen einige Stecknadeln gegeben und auch eine Nähnadel gezeigt, die
einzige, die ich bei mir hatte: sie brachten mir eine Stecknadel wieder und baten,
ihnen ein Loch hineinzumachen, wie es die Nähnadel hatte.

Höchst merkwürdig war die Schnelligkeit, mit der sie die ihnen unbekannten
Dinge unter die ihnen bekannten einordneten und auch sofort mit dem ihnen
geläufigen Namen unmittelbar und ohne jeden einschränkenden Zusatz belegten.
Sie schneiden das Haar mit scharfen Muscheln oder Zähnen des Piranyafisches,
und meine Scheere, der Gegenstand rückhaltlosen Entzückens, die das Haar so
glatt und gleichmässig abschnitt, hiess einfach "Piranyazahn". Der Spiegel war
"Wasser!" "Zeig' das Wasser", riefen sie, wenn sie den Spiegel sehen wollten.
Und mit ihm machte ich viel weniger Eindruck, als ich erwartet hatte.

Der Kompass hiess "Sonne", die Uhr "Mond". Ich hatte ihnen gezeigt,
dass die Nadel, wie ich das Gehäuse auch drehte und wendete, immer nach
dem höchsten Sonnenstand wies, und die sehr ähnliche Uhr, deren Feder sie für
ein Haar erklärten, erschien ihnen als das natürliche Gegenstück noch aus dem

II.

Psychologische Notizen über das Verhalten der Bakaïrí dem Neuen gegenüber. Grenzen des Ver-
ständnisses. Studien mit dem Dujourhabenden. Schwierigkeiten der Verständigung und der sprach-
lichen Aufnahme
: Substantiva, Verba, übergeordnete Begriffe.

Ueber das Interesse, das die Bakaïrí an meinen Kleidern nahmen, habe ich
berichtet. Es wandte sich allmählich in besonderm Grade den Taschen zu, und
sie wussten bald genau, was in dieser und was in jener steckte.

»Ob ich Hemd und Hose selbst gemacht hätte?« Immer kehrte diese mir
ärgerliche Frage wieder. »Ob ich die Hängematte, den Moskiteiro selbst gemacht
hätte?« Es berührte sie wunderbar, dass in meinem ganzen Besitzstand nichts
zu Tage kam, wo ich die Frage bejaht hätte. Deutlich war zu sehen, dass die
Sachen, von deren Ursprung sie sich eine gewisse Vorstellung machen konnten,
ihre Aufmerksamkeit auch lebhafter beschäftigten. Das Gewebe der paraguayer
Hängematte wurde alle Tage betastet und eifrig beredet.

Alles wollten sie haben. »Ura« »(es ist) mein« lautete die einfache Erklärung.
Die Männer bevorzugten für sich selbst das Praktische, für Frauen und Kinder
den Schmuck, für sich die Messer, für jene die Perlen. Die Frauen wurden beim
Anblick der Perlen geradezu aufgeregt und nur mein Zinnteller wurde mit gleicher
Habgier umworben. »Knöpfe« schienen für eine Art Perlen gehalten zu werden.
Ich entdeckte bei mehreren Frauen Zierrat, der von unserer ersten Expedition
herrührte und von dem Batovy an den Kulisehu gewandert war. Eine Frau trat
mir entgegen, die nichts als einen Messingknopf an einer Schnur auf der Brust
trug, und auf diesem Knopf stand die 8 des achten Cuyabaner Bataillons,
dem unsere Soldaten damals angehört hatten. »Ist es tuchú, Stein?«, fragten
diese lebendigen Praehistoriker. Natürlich waren die Perlen ebenso Stein und
ihnen wegen ihrer Buntheit lieber als Gold, das sie ganz gleichgültig liess.
Ich hatte ihnen einige Stecknadeln gegeben und auch eine Nähnadel gezeigt, die
einzige, die ich bei mir hatte: sie brachten mir eine Stecknadel wieder und baten,
ihnen ein Loch hineinzumachen, wie es die Nähnadel hatte.

Höchst merkwürdig war die Schnelligkeit, mit der sie die ihnen unbekannten
Dinge unter die ihnen bekannten einordneten und auch sofort mit dem ihnen
geläufigen Namen unmittelbar und ohne jeden einschränkenden Zusatz belegten.
Sie schneiden das Haar mit scharfen Muscheln oder Zähnen des Piranyafisches,
und meine Scheere, der Gegenstand rückhaltlosen Entzückens, die das Haar so
glatt und gleichmässig abschnitt, hiess einfach »Piranyazahn«. Der Spiegel war
»Wasser!« »Zeig’ das Wasser«, riefen sie, wenn sie den Spiegel sehen wollten.
Und mit ihm machte ich viel weniger Eindruck, als ich erwartet hatte.

Der Kompass hiess »Sonne«, die Uhr »Mond«. Ich hatte ihnen gezeigt,
dass die Nadel, wie ich das Gehäuse auch drehte und wendete, immer nach
dem höchsten Sonnenstand wies, und die sehr ähnliche Uhr, deren Feder sie für
ein Haar erklärten, erschien ihnen als das natürliche Gegenstück noch aus dem

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[75/0105] II. Psychologische Notizen über das Verhalten der Bakaïrí dem Neuen gegenüber. Grenzen des Ver- ständnisses. Studien mit dem Dujourhabenden. Schwierigkeiten der Verständigung und der sprach- lichen Aufnahme: Substantiva, Verba, übergeordnete Begriffe. Ueber das Interesse, das die Bakaïrí an meinen Kleidern nahmen, habe ich berichtet. Es wandte sich allmählich in besonderm Grade den Taschen zu, und sie wussten bald genau, was in dieser und was in jener steckte. »Ob ich Hemd und Hose selbst gemacht hätte?« Immer kehrte diese mir ärgerliche Frage wieder. »Ob ich die Hängematte, den Moskiteiro selbst gemacht hätte?« Es berührte sie wunderbar, dass in meinem ganzen Besitzstand nichts zu Tage kam, wo ich die Frage bejaht hätte. Deutlich war zu sehen, dass die Sachen, von deren Ursprung sie sich eine gewisse Vorstellung machen konnten, ihre Aufmerksamkeit auch lebhafter beschäftigten. Das Gewebe der paraguayer Hängematte wurde alle Tage betastet und eifrig beredet. Alles wollten sie haben. »Ura« »(es ist) mein« lautete die einfache Erklärung. Die Männer bevorzugten für sich selbst das Praktische, für Frauen und Kinder den Schmuck, für sich die Messer, für jene die Perlen. Die Frauen wurden beim Anblick der Perlen geradezu aufgeregt und nur mein Zinnteller wurde mit gleicher Habgier umworben. »Knöpfe« schienen für eine Art Perlen gehalten zu werden. Ich entdeckte bei mehreren Frauen Zierrat, der von unserer ersten Expedition herrührte und von dem Batovy an den Kulisehu gewandert war. Eine Frau trat mir entgegen, die nichts als einen Messingknopf an einer Schnur auf der Brust trug, und auf diesem Knopf stand die 8 des achten Cuyabaner Bataillons, dem unsere Soldaten damals angehört hatten. »Ist es tuchú, Stein?«, fragten diese lebendigen Praehistoriker. Natürlich waren die Perlen ebenso Stein und ihnen wegen ihrer Buntheit lieber als Gold, das sie ganz gleichgültig liess. Ich hatte ihnen einige Stecknadeln gegeben und auch eine Nähnadel gezeigt, die einzige, die ich bei mir hatte: sie brachten mir eine Stecknadel wieder und baten, ihnen ein Loch hineinzumachen, wie es die Nähnadel hatte. Höchst merkwürdig war die Schnelligkeit, mit der sie die ihnen unbekannten Dinge unter die ihnen bekannten einordneten und auch sofort mit dem ihnen geläufigen Namen unmittelbar und ohne jeden einschränkenden Zusatz belegten. Sie schneiden das Haar mit scharfen Muscheln oder Zähnen des Piranyafisches, und meine Scheere, der Gegenstand rückhaltlosen Entzückens, die das Haar so glatt und gleichmässig abschnitt, hiess einfach »Piranyazahn«. Der Spiegel war »Wasser!« »Zeig’ das Wasser«, riefen sie, wenn sie den Spiegel sehen wollten. Und mit ihm machte ich viel weniger Eindruck, als ich erwartet hatte. Der Kompass hiess »Sonne«, die Uhr »Mond«. Ich hatte ihnen gezeigt, dass die Nadel, wie ich das Gehäuse auch drehte und wendete, immer nach dem höchsten Sonnenstand wies, und die sehr ähnliche Uhr, deren Feder sie für ein Haar erklärten, erschien ihnen als das natürliche Gegenstück noch aus dem

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/105>, abgerufen am 28.03.2024.