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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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anerkennungswertem Gedächtnis die sämtlichen Prozeduren: den Kopf von vorne
nach hinten, von Seite zu Seite, die Nase von oben nach unten, den Abstand
der Augen, die Länge der Extremitäten und ihrer Teile, die Höhe des Nabels über
dem Boden u. s. w. u. s. w., und streckte hinter jeder Pantomime die Hand nach den
katakua, den Perlen aus. Es half nichts, dem Manne musste sein Recht werden,
nur war ich genötigt, ihn mit kleinen Stickperlen zu entschädigen; denn als ich
begann, ihn zu bezahlen, ging er getreulich hinter jedem Perlenpaar wieder die
Zahl der Messungen durch, erst jenes, dann den entsprechenden Körperteil be-
rührend, und ruhte nicht, ehe die lange Liste ziemlich genau erledigt war. Wenn
sich diese Gelegenheiten häufen, sagte ich mir, und wenn die Bakairi viele solche
kritischen Naturen hervorbringen, wird ihre Zählkunst reissende Fortschritte machen.
Da war es ja an einem Beispiel der Erfahrung mit Händen zu greifen, wie der
Handelsverkehr die arithmetischen Anlagen befruchtet und entwickelt!

Die Frauen leisteten einigen Widerstand. Ganz unmöglich war es, auch an
ihnen die Aufnahmen im Flötenhaus zu machen. Sie durften es nicht betreten,
obwohl das edle Gebäude schon eine halbe Ruine war. So wurden sie auf dem
Platz gemessen und photographirt.

Unsere eingetauschten Schätze packten wir sorglich zusammen und baten
Porisa, sie uns in seinem Hause bis zur Wiederkehr aufzubewahren. Wir durften
unsere Kanus nicht überfrachten und mussten Raum vorsehen für die Sammlung
bei den abwärts wohnenden Stämmen. Porisa schob die Bündel vor unsern
Augen auf einen hohen Querbalken zwischen den Mittelpfosten und versprach,
dass Niemand daran rühren werde.

Um 1/25 Uhr zogen wir denn sehr befriedigt wieder zum Hafen. Antonio
war mit acht Indianern vor die Bucht hinausgefahren, wo sich der Fischfang
besser lohnte und zeigte dort den Gebrauch der Angel. Seine Begleiter konnten
mit einer schweren Ladung von Piranyas, einem Bagadu und einem Pintado den
Heimweg zum Dorfe antreten. Eins unserer kleinen Kanus tauschten wir gegen
ein schöneres, grösseres um.



II. Zu den Nahuqua.

Verkehr von Bakairi und Nahuqua. Ueberraschte im Hafen. Merkwürdiger Empfang. Dorf aus-
geräumt. Ein Yaurikuma. Ueber Nacht. Mehinaku im Dorf. Tänze. Traurige Aussichten für
Professor Bastian. Ich voraus zu den Mehinaku. Besserung der Verhältnisse. Botschaft über die
Schlacht zwischen den Suya und den Trumaf.

Ohne Frage stehen die Nahuqua in vielfältigem Verkehr mit den Bakairi.
Schon von dem alten Paleko hatte ich eine ganze Reihe Nahuqua-Wörter erfahren
und aus ihnen zu meiner grossen Freude sofort ersehen können, dass es sich um
einen neuen Karaibenstamm handle. Paleko sagte mir, dass er früher eine zeitlang
bei den Nahuqua gelebt habe; auch Tumayaua war bereits bei ihnen gewesen und

anerkennungswertem Gedächtnis die sämtlichen Prozeduren: den Kopf von vorne
nach hinten, von Seite zu Seite, die Nase von oben nach unten, den Abstand
der Augen, die Länge der Extremitäten und ihrer Teile, die Höhe des Nabels über
dem Boden u. s. w. u. s. w., und streckte hinter jeder Pantomime die Hand nach den
katakuá, den Perlen aus. Es half nichts, dem Manne musste sein Recht werden,
nur war ich genötigt, ihn mit kleinen Stickperlen zu entschädigen; denn als ich
begann, ihn zu bezahlen, ging er getreulich hinter jedem Perlenpaar wieder die
Zahl der Messungen durch, erst jenes, dann den entsprechenden Körperteil be-
rührend, und ruhte nicht, ehe die lange Liste ziemlich genau erledigt war. Wenn
sich diese Gelegenheiten häufen, sagte ich mir, und wenn die Bakaïrí viele solche
kritischen Naturen hervorbringen, wird ihre Zählkunst reissende Fortschritte machen.
Da war es ja an einem Beispiel der Erfahrung mit Händen zu greifen, wie der
Handelsverkehr die arithmetischen Anlagen befruchtet und entwickelt!

Die Frauen leisteten einigen Widerstand. Ganz unmöglich war es, auch an
ihnen die Aufnahmen im Flötenhaus zu machen. Sie durften es nicht betreten,
obwohl das edle Gebäude schon eine halbe Ruine war. So wurden sie auf dem
Platz gemessen und photographirt.

Unsere eingetauschten Schätze packten wir sorglich zusammen und baten
Porisa, sie uns in seinem Hause bis zur Wiederkehr aufzubewahren. Wir durften
unsere Kanus nicht überfrachten und mussten Raum vorsehen für die Sammlung
bei den abwärts wohnenden Stämmen. Porisa schob die Bündel vor unsern
Augen auf einen hohen Querbalken zwischen den Mittelpfosten und versprach,
dass Niemand daran rühren werde.

Um ½5 Uhr zogen wir denn sehr befriedigt wieder zum Hafen. Antonio
war mit acht Indianern vor die Bucht hinausgefahren, wo sich der Fischfang
besser lohnte und zeigte dort den Gebrauch der Angel. Seine Begleiter konnten
mit einer schweren Ladung von Piranyas, einem Bagadú und einem Pintado den
Heimweg zum Dorfe antreten. Eins unserer kleinen Kanus tauschten wir gegen
ein schöneres, grösseres um.



II. Zu den Nahuquá.

Verkehr von Bakaïrí und Nahuquá. Ueberraschte im Hafen. Merkwürdiger Empfang. Dorf aus-
geräumt. Ein Yaurikumá. Ueber Nacht. Mehinakú im Dorf. Tänze. Traurige Aussichten für
Professor Bastian. Ich voraus zu den Mehinakú. Besserung der Verhältnisse. Botschaft über die
Schlacht zwischen den Suyá und den Trumaf.

Ohne Frage stehen die Nahuquá in vielfältigem Verkehr mit den Bakaïrí.
Schon von dem alten Paleko hatte ich eine ganze Reihe Nahuquá-Wörter erfahren
und aus ihnen zu meiner grossen Freude sofort ersehen können, dass es sich um
einen neuen Karaibenstamm handle. Paleko sagte mir, dass er früher eine zeitlang
bei den Nahuquá gelebt habe; auch Tumayaua war bereits bei ihnen gewesen und

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[94/0124] anerkennungswertem Gedächtnis die sämtlichen Prozeduren: den Kopf von vorne nach hinten, von Seite zu Seite, die Nase von oben nach unten, den Abstand der Augen, die Länge der Extremitäten und ihrer Teile, die Höhe des Nabels über dem Boden u. s. w. u. s. w., und streckte hinter jeder Pantomime die Hand nach den katakuá, den Perlen aus. Es half nichts, dem Manne musste sein Recht werden, nur war ich genötigt, ihn mit kleinen Stickperlen zu entschädigen; denn als ich begann, ihn zu bezahlen, ging er getreulich hinter jedem Perlenpaar wieder die Zahl der Messungen durch, erst jenes, dann den entsprechenden Körperteil be- rührend, und ruhte nicht, ehe die lange Liste ziemlich genau erledigt war. Wenn sich diese Gelegenheiten häufen, sagte ich mir, und wenn die Bakaïrí viele solche kritischen Naturen hervorbringen, wird ihre Zählkunst reissende Fortschritte machen. Da war es ja an einem Beispiel der Erfahrung mit Händen zu greifen, wie der Handelsverkehr die arithmetischen Anlagen befruchtet und entwickelt! Die Frauen leisteten einigen Widerstand. Ganz unmöglich war es, auch an ihnen die Aufnahmen im Flötenhaus zu machen. Sie durften es nicht betreten, obwohl das edle Gebäude schon eine halbe Ruine war. So wurden sie auf dem Platz gemessen und photographirt. Unsere eingetauschten Schätze packten wir sorglich zusammen und baten Porisa, sie uns in seinem Hause bis zur Wiederkehr aufzubewahren. Wir durften unsere Kanus nicht überfrachten und mussten Raum vorsehen für die Sammlung bei den abwärts wohnenden Stämmen. Porisa schob die Bündel vor unsern Augen auf einen hohen Querbalken zwischen den Mittelpfosten und versprach, dass Niemand daran rühren werde. Um ½5 Uhr zogen wir denn sehr befriedigt wieder zum Hafen. Antonio war mit acht Indianern vor die Bucht hinausgefahren, wo sich der Fischfang besser lohnte und zeigte dort den Gebrauch der Angel. Seine Begleiter konnten mit einer schweren Ladung von Piranyas, einem Bagadú und einem Pintado den Heimweg zum Dorfe antreten. Eins unserer kleinen Kanus tauschten wir gegen ein schöneres, grösseres um. II. Zu den Nahuquá. Verkehr von Bakaïrí und Nahuquá. Ueberraschte im Hafen. Merkwürdiger Empfang. Dorf aus- geräumt. Ein Yaurikumá. Ueber Nacht. Mehinakú im Dorf. Tänze. Traurige Aussichten für Professor Bastian. Ich voraus zu den Mehinakú. Besserung der Verhältnisse. Botschaft über die Schlacht zwischen den Suyá und den Trumaf. Ohne Frage stehen die Nahuquá in vielfältigem Verkehr mit den Bakaïrí. Schon von dem alten Paleko hatte ich eine ganze Reihe Nahuquá-Wörter erfahren und aus ihnen zu meiner grossen Freude sofort ersehen können, dass es sich um einen neuen Karaibenstamm handle. Paleko sagte mir, dass er früher eine zeitlang bei den Nahuquá gelebt habe; auch Tumayaua war bereits bei ihnen gewesen und

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/124>, abgerufen am 28.03.2024.