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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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paradiesischen Ursitz aufgefunden habe, wo alle wichtigsten Erfindungen gemacht
worden seien. Ich möchte nur von jenen Naturvölkchen, die noch keine europäische
Kultur kannten, in demselben Sinn ausgehen, wie man bei allen andern in gleicher
Lage eine sichere induktive Grundlage suchen könnte. Was übrigens die "Feuer-
erfindung" betrifft, so steht meiner Ansicht nach nicht das Geringste im Wege,
dass sie an beliebigen Stellen der Erde gemacht worden sein kann, wo man
schon eine primitive Technik und praktische Kenntnisse von dem Nutzen des
Feuers besass.

Nirgendwo hat sich in einem helleren Lichte gezeigt, wie schwer es uns
zivilisierten Menschen wird, einfach und ohne tiefe Gelehrsamkeit auf Grund
lebendiger Umschau zu denken als bei den zahllosen Betrachtungen über das
Verhältnis der Naturvölker, geschweige des primitiven Menschen, zum Feuer.
Der hundertjährige Rosenflor um Dornröschens Schloss konnte an Ueppigkeit
nicht wetteifern mit alle den Blüten lieblichen Unsinns, die einer nur zu gedanken-
vollen und empfindsamen Literatur entsprossen sind, während hinter dem
wuchernden Wust der Deduktionen die junge, frische Erfahrung vergessen schlum-
merte. Es war dahin gekommen, dass man behauptete, die Erfindung des
Feuerreibens sei von Priestern gemacht worden, die das Sonnenrad in Holz
nachahmten: sie drehten, bis die Achse Feuer sprühte. Zwei wesentliche Punkte
dürfen heute als gesichert gelten. Niemand denkt mehr an die Möglichkeit, dass
es Stämme auf Erden gebe, die nicht längst die Kunst verständen, das Feuer
willkürlich zu erzeugen, und Niemand zweifelt daran, dass auch die einfachsten
der verschiedenen Methoden nicht ohne lange Vertrautheit mit den Eigenschaften
des Feuers gefunden sein können, dass also der künstlichen Erzeugung eine
Periode der Unterhaltung mit Uebertragung des natürlichen Feuers von
Ort zu Ort vorhergegangen sein muss.

Ob in den lichten Buschwäldern des Matogrosso durch die zahlreichen Ge-
witter häufig Brände verursacht werden, ist kaum festzustellen. Dass solche
Brände vorkommen, ist mir versichert worden, dass die Vegetation der dürren
verkrüppelten Kampbäume und des hohen trockenen Grases dafür äusserst günstig
ist, unterliegt keinem Zweitel. Die Feuer, die wir auf unserm Zuge anlegten,
brannten viele Tage lang und verbreiteten sich ohne Nachhülfe über grosse
Strecken.

Sonderbar und auffallend war der Einfluss auf die Tierwelt. Alles Raub-
zeug machte sich den Vorfall sehr bedacht zu Nutze, es suchte und fand seine
Opfer weniger bei dem hellen Feuer als auf der rauchenden Brandstätte, wo
mancher Nager verkohlen mochte. Zahlreiche Falken schwebten über den
dunklen Wolken der "Queimada", Wild eilte von weither herbei, um die Salz-
asche zu lecken, und bevorzugte, vielleicht weil es sich auf der kahlen Fläche nicht
verbergen konnte, die Nacht. Der Boden strahlte eine behagliche Wärme aus.

Der Jagd mittels des Feuers begegnet man bei vielen Naturvölkern. Die
Schingu-Indianer schienen sie nicht mehr zu üben, den Bakairi war sie jedenfalls

paradiesischen Ursitz aufgefunden habe, wo alle wichtigsten Erfindungen gemacht
worden seien. Ich möchte nur von jenen Naturvölkchen, die noch keine europäische
Kultur kannten, in demselben Sinn ausgehen, wie man bei allen andern in gleicher
Lage eine sichere induktive Grundlage suchen könnte. Was übrigens die »Feuer-
erfindung« betrifft, so steht meiner Ansicht nach nicht das Geringste im Wege,
dass sie an beliebigen Stellen der Erde gemacht worden sein kann, wo man
schon eine primitive Technik und praktische Kenntnisse von dem Nutzen des
Feuers besass.

Nirgendwo hat sich in einem helleren Lichte gezeigt, wie schwer es uns
zivilisierten Menschen wird, einfach und ohne tiefe Gelehrsamkeit auf Grund
lebendiger Umschau zu denken als bei den zahllosen Betrachtungen über das
Verhältnis der Naturvölker, geschweige des primitiven Menschen, zum Feuer.
Der hundertjährige Rosenflor um Dornröschens Schloss konnte an Ueppigkeit
nicht wetteifern mit alle den Blüten lieblichen Unsinns, die einer nur zu gedanken-
vollen und empfindsamen Literatur entsprossen sind, während hinter dem
wuchernden Wust der Deduktionen die junge, frische Erfahrung vergessen schlum-
merte. Es war dahin gekommen, dass man behauptete, die Erfindung des
Feuerreibens sei von Priestern gemacht worden, die das Sonnenrad in Holz
nachahmten: sie drehten, bis die Achse Feuer sprühte. Zwei wesentliche Punkte
dürfen heute als gesichert gelten. Niemand denkt mehr an die Möglichkeit, dass
es Stämme auf Erden gebe, die nicht längst die Kunst verständen, das Feuer
willkürlich zu erzeugen, und Niemand zweifelt daran, dass auch die einfachsten
der verschiedenen Methoden nicht ohne lange Vertrautheit mit den Eigenschaften
des Feuers gefunden sein können, dass also der künstlichen Erzeugung eine
Periode der Unterhaltung mit Uebertragung des natürlichen Feuers von
Ort zu Ort vorhergegangen sein muss.

Ob in den lichten Buschwäldern des Matogrosso durch die zahlreichen Ge-
witter häufig Brände verursacht werden, ist kaum festzustellen. Dass solche
Brände vorkommen, ist mir versichert worden, dass die Vegetation der dürren
verkrüppelten Kampbäume und des hohen trockenen Grases dafür äusserst günstig
ist, unterliegt keinem Zweitel. Die Feuer, die wir auf unserm Zuge anlegten,
brannten viele Tage lang und verbreiteten sich ohne Nachhülfe über grosse
Strecken.

Sonderbar und auffallend war der Einfluss auf die Tierwelt. Alles Raub-
zeug machte sich den Vorfall sehr bedacht zu Nutze, es suchte und fand seine
Opfer weniger bei dem hellen Feuer als auf der rauchenden Brandstätte, wo
mancher Nager verkohlen mochte. Zahlreiche Falken schwebten über den
dunklen Wolken der »Queimada«, Wild eilte von weither herbei, um die Salz-
asche zu lecken, und bevorzugte, vielleicht weil es sich auf der kahlen Fläche nicht
verbergen konnte, die Nacht. Der Boden strahlte eine behagliche Wärme aus.

Der Jagd mittels des Feuers begegnet man bei vielen Naturvölkern. Die
Schingú-Indianer schienen sie nicht mehr zu üben, den Bakaïrí war sie jedenfalls

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[220/0264] paradiesischen Ursitz aufgefunden habe, wo alle wichtigsten Erfindungen gemacht worden seien. Ich möchte nur von jenen Naturvölkchen, die noch keine europäische Kultur kannten, in demselben Sinn ausgehen, wie man bei allen andern in gleicher Lage eine sichere induktive Grundlage suchen könnte. Was übrigens die »Feuer- erfindung« betrifft, so steht meiner Ansicht nach nicht das Geringste im Wege, dass sie an beliebigen Stellen der Erde gemacht worden sein kann, wo man schon eine primitive Technik und praktische Kenntnisse von dem Nutzen des Feuers besass. Nirgendwo hat sich in einem helleren Lichte gezeigt, wie schwer es uns zivilisierten Menschen wird, einfach und ohne tiefe Gelehrsamkeit auf Grund lebendiger Umschau zu denken als bei den zahllosen Betrachtungen über das Verhältnis der Naturvölker, geschweige des primitiven Menschen, zum Feuer. Der hundertjährige Rosenflor um Dornröschens Schloss konnte an Ueppigkeit nicht wetteifern mit alle den Blüten lieblichen Unsinns, die einer nur zu gedanken- vollen und empfindsamen Literatur entsprossen sind, während hinter dem wuchernden Wust der Deduktionen die junge, frische Erfahrung vergessen schlum- merte. Es war dahin gekommen, dass man behauptete, die Erfindung des Feuerreibens sei von Priestern gemacht worden, die das Sonnenrad in Holz nachahmten: sie drehten, bis die Achse Feuer sprühte. Zwei wesentliche Punkte dürfen heute als gesichert gelten. Niemand denkt mehr an die Möglichkeit, dass es Stämme auf Erden gebe, die nicht längst die Kunst verständen, das Feuer willkürlich zu erzeugen, und Niemand zweifelt daran, dass auch die einfachsten der verschiedenen Methoden nicht ohne lange Vertrautheit mit den Eigenschaften des Feuers gefunden sein können, dass also der künstlichen Erzeugung eine Periode der Unterhaltung mit Uebertragung des natürlichen Feuers von Ort zu Ort vorhergegangen sein muss. Ob in den lichten Buschwäldern des Matogrosso durch die zahlreichen Ge- witter häufig Brände verursacht werden, ist kaum festzustellen. Dass solche Brände vorkommen, ist mir versichert worden, dass die Vegetation der dürren verkrüppelten Kampbäume und des hohen trockenen Grases dafür äusserst günstig ist, unterliegt keinem Zweitel. Die Feuer, die wir auf unserm Zuge anlegten, brannten viele Tage lang und verbreiteten sich ohne Nachhülfe über grosse Strecken. Sonderbar und auffallend war der Einfluss auf die Tierwelt. Alles Raub- zeug machte sich den Vorfall sehr bedacht zu Nutze, es suchte und fand seine Opfer weniger bei dem hellen Feuer als auf der rauchenden Brandstätte, wo mancher Nager verkohlen mochte. Zahlreiche Falken schwebten über den dunklen Wolken der »Queimada«, Wild eilte von weither herbei, um die Salz- asche zu lecken, und bevorzugte, vielleicht weil es sich auf der kahlen Fläche nicht verbergen konnte, die Nacht. Der Boden strahlte eine behagliche Wärme aus. Der Jagd mittels des Feuers begegnet man bei vielen Naturvölkern. Die Schingú-Indianer schienen sie nicht mehr zu üben, den Bakaïrí war sie jedenfalls

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/264>, abgerufen am 25.04.2024.