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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Taube vorstellen, wie Ihr an meinem Kukerukuu hört und Euch auch an den auf-
gemalten Federtupfen überzeugen könnt."

"So wisset denn, dass ich Hans Schnock, der Schreiner bin,
Kein wilder Löw' fürwahr und keines Löwen Weib."

Ja, die Masken sind keineswegs nur Gesichtsmasken. Augen, Nase und
Mund sind auf den obern Teil des Feldes beschränkt, und der Mittelstreifen
markiert die Fortsetzung des Körpers mit dem Hals, Flügel, Flosse, Seitenlinie,
Hals- und Schulterzeichnung erscheinen daneben. Auf dem Fischmakanari der
Bakairi, das eine äusserst liebevoll und sorgfältig gemachte Arbeit ist, vermissen
wir den Mund und sehen einen grossen Fisch inmitten des Mereschu-Musters. Die
Auetö endlich schauen unter ihren Masken durch die Kapuze hindurch; nicht
minder ist ein grosser Teil der Holzmasken-Augen so beschaffen, dass die Löcher
zu klein sind und nicht die richtige Entfernung von einander haben, um für das
Durchblicken geeignet zu sein; sie sind für den Zuschauer, nicht für den Träger
vorhanden.

Welches Bild sollen wir uns nun von der Entwicklungsgeschichte der Masken
machen? Nehmen wir zum Ausgangspunkt die Strohkapuzen der Bakairi und ihre
Pintado-Maske Seite 301. Diese Vermummung war schon ein grosser Fortschritt
gegen die Ausschmückung mit einem Tierbalg und einem Gehänge von Stroh-
streifen. Die Leute haben sich Tiere geflochten, setzten sich die einen auf den
Kopf und krochen in die andern hinein. Aus den Erzeugnissen der Zeichenkunst
und von den Flechtfiguren her wissen wir, wie wenig ihnen ausreicht, um zu
charakterisieren. Sie zogen ein Stück Schlingpflanze durch den Oberteil des
Anzugs, das waren Bartfaden und genügten für die Veranschaulichung eines
Pintado-Fisches. Sie haben es nicht nötig, die Nachbildung weiterzutreiben; sie
bedürfen auch heute noch keiner Pintado-Gesichtsmaske. Aber die Indianer
steigerten die Wirkung ihrer Strohkapuzen, indem sie wächserne Augen, Nase
und Mund daran anbrachten und einen Reifen einflochten, der ein Gesichtsoval
umgrenzte. Diese Maske war mehr dekorativ als mimisch; sie wurde
vom Strohgitter zum Fadengeflecht, das Lehnr aufnahm und sich bemalen liess,
vervollkommnet, sie wurde mit dem Fischmuster versehen oder mit der Zeichnung
eines Tieres oder ein Tier wurde aufgemalt.

Dass Fische die Hauptrolle spielten, ist sehr natürlich, weil sie bei ihren
Zügen in Masse gefangen wurden und so die Gelegenheit zum allgemeinen Fest
gaben. Auch der Yakui-Tanz, der Tanz der kleinen Schaku-Hühner, mag an
reichere Jagdbeute anknüpfen. "Alle grösseren Arten halten sich einzeln, die
kleineren gewöhnlich in starken Flügen zusammen
, die bis zu hundert
und mehr Stück anwachsen können." (Brehms Tierleben, Vögel II, p. 628). So
wundern wir uns auch nicht, dass wir nichts vom Jaguar oder Tapir oder andern
jagdbaren Säugetieren hören, die bei den Tekuna-Masken erscheinen: diese
lieferten nur Gelegenheitsbeute, während gerade die Menge den Anlass zu einem
mit vielen Nachbarn gefeierten Festschmaus darbot.


Taube vorstellen, wie Ihr an meinem Kukerukuu hört und Euch auch an den auf-
gemalten Federtupfen überzeugen könnt.«

»So wisset denn, dass ich Hans Schnock, der Schreiner bin,
Kein wilder Löw’ fürwahr und keines Löwen Weib.«

Ja, die Masken sind keineswegs nur Gesichtsmasken. Augen, Nase und
Mund sind auf den obern Teil des Feldes beschränkt, und der Mittelstreifen
markiert die Fortsetzung des Körpers mit dem Hals, Flügel, Flosse, Seitenlinie,
Hals- und Schulterzeichnung erscheinen daneben. Auf dem Fischmakanari der
Bakaïrí, das eine äusserst liebevoll und sorgfältig gemachte Arbeit ist, vermissen
wir den Mund und sehen einen grossen Fisch inmitten des Mereschu-Musters. Die
Auetö́ endlich schauen unter ihren Masken durch die Kapuze hindurch; nicht
minder ist ein grosser Teil der Holzmasken-Augen so beschaffen, dass die Löcher
zu klein sind und nicht die richtige Entfernung von einander haben, um für das
Durchblicken geeignet zu sein; sie sind für den Zuschauer, nicht für den Träger
vorhanden.

Welches Bild sollen wir uns nun von der Entwicklungsgeschichte der Masken
machen? Nehmen wir zum Ausgangspunkt die Strohkapuzen der Bakaïrí und ihre
Pintado-Maske Seite 301. Diese Vermummung war schon ein grosser Fortschritt
gegen die Ausschmückung mit einem Tierbalg und einem Gehänge von Stroh-
streifen. Die Leute haben sich Tiere geflochten, setzten sich die einen auf den
Kopf und krochen in die andern hinein. Aus den Erzeugnissen der Zeichenkunst
und von den Flechtfiguren her wissen wir, wie wenig ihnen ausreicht, um zu
charakterisieren. Sie zogen ein Stück Schlingpflanze durch den Oberteil des
Anzugs, das waren Bartfaden und genügten für die Veranschaulichung eines
Pintado-Fisches. Sie haben es nicht nötig, die Nachbildung weiterzutreiben; sie
bedürfen auch heute noch keiner Pintado-Gesichtsmaske. Aber die Indianer
steigerten die Wirkung ihrer Strohkapuzen, indem sie wächserne Augen, Nase
und Mund daran anbrachten und einen Reifen einflochten, der ein Gesichtsoval
umgrenzte. Diese Maske war mehr dekorativ als mimisch; sie wurde
vom Strohgitter zum Fadengeflecht, das Lehnr aufnahm und sich bemalen liess,
vervollkommnet, sie wurde mit dem Fischmuster versehen oder mit der Zeichnung
eines Tieres oder ein Tier wurde aufgemalt.

Dass Fische die Hauptrolle spielten, ist sehr natürlich, weil sie bei ihren
Zügen in Masse gefangen wurden und so die Gelegenheit zum allgemeinen Fest
gaben. Auch der Yakuí-Tanz, der Tanz der kleinen Schakú-Hühner, mag an
reichere Jagdbeute anknüpfen. »Alle grösseren Arten halten sich einzeln, die
kleineren gewöhnlich in starken Flügen zusammen
, die bis zu hundert
und mehr Stück anwachsen können.« (Brehms Tierleben, Vögel II, p. 628). So
wundern wir uns auch nicht, dass wir nichts vom Jaguar oder Tapir oder andern
jagdbaren Säugetieren hören, die bei den Tekuna-Masken erscheinen: diese
lieferten nur Gelegenheitsbeute, während gerade die Menge den Anlass zu einem
mit vielen Nachbarn gefeierten Festschmaus darbot.


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[320/0384] Taube vorstellen, wie Ihr an meinem Kukerukuu hört und Euch auch an den auf- gemalten Federtupfen überzeugen könnt.« »So wisset denn, dass ich Hans Schnock, der Schreiner bin, Kein wilder Löw’ fürwahr und keines Löwen Weib.« Ja, die Masken sind keineswegs nur Gesichtsmasken. Augen, Nase und Mund sind auf den obern Teil des Feldes beschränkt, und der Mittelstreifen markiert die Fortsetzung des Körpers mit dem Hals, Flügel, Flosse, Seitenlinie, Hals- und Schulterzeichnung erscheinen daneben. Auf dem Fischmakanari der Bakaïrí, das eine äusserst liebevoll und sorgfältig gemachte Arbeit ist, vermissen wir den Mund und sehen einen grossen Fisch inmitten des Mereschu-Musters. Die Auetö́ endlich schauen unter ihren Masken durch die Kapuze hindurch; nicht minder ist ein grosser Teil der Holzmasken-Augen so beschaffen, dass die Löcher zu klein sind und nicht die richtige Entfernung von einander haben, um für das Durchblicken geeignet zu sein; sie sind für den Zuschauer, nicht für den Träger vorhanden. Welches Bild sollen wir uns nun von der Entwicklungsgeschichte der Masken machen? Nehmen wir zum Ausgangspunkt die Strohkapuzen der Bakaïrí und ihre Pintado-Maske Seite 301. Diese Vermummung war schon ein grosser Fortschritt gegen die Ausschmückung mit einem Tierbalg und einem Gehänge von Stroh- streifen. Die Leute haben sich Tiere geflochten, setzten sich die einen auf den Kopf und krochen in die andern hinein. Aus den Erzeugnissen der Zeichenkunst und von den Flechtfiguren her wissen wir, wie wenig ihnen ausreicht, um zu charakterisieren. Sie zogen ein Stück Schlingpflanze durch den Oberteil des Anzugs, das waren Bartfaden und genügten für die Veranschaulichung eines Pintado-Fisches. Sie haben es nicht nötig, die Nachbildung weiterzutreiben; sie bedürfen auch heute noch keiner Pintado-Gesichtsmaske. Aber die Indianer steigerten die Wirkung ihrer Strohkapuzen, indem sie wächserne Augen, Nase und Mund daran anbrachten und einen Reifen einflochten, der ein Gesichtsoval umgrenzte. Diese Maske war mehr dekorativ als mimisch; sie wurde vom Strohgitter zum Fadengeflecht, das Lehnr aufnahm und sich bemalen liess, vervollkommnet, sie wurde mit dem Fischmuster versehen oder mit der Zeichnung eines Tieres oder ein Tier wurde aufgemalt. Dass Fische die Hauptrolle spielten, ist sehr natürlich, weil sie bei ihren Zügen in Masse gefangen wurden und so die Gelegenheit zum allgemeinen Fest gaben. Auch der Yakuí-Tanz, der Tanz der kleinen Schakú-Hühner, mag an reichere Jagdbeute anknüpfen. »Alle grösseren Arten halten sich einzeln, die kleineren gewöhnlich in starken Flügen zusammen, die bis zu hundert und mehr Stück anwachsen können.« (Brehms Tierleben, Vögel II, p. 628). So wundern wir uns auch nicht, dass wir nichts vom Jaguar oder Tapir oder andern jagdbaren Säugetieren hören, die bei den Tekuna-Masken erscheinen: diese lieferten nur Gelegenheitsbeute, während gerade die Menge den Anlass zu einem mit vielen Nachbarn gefeierten Festschmaus darbot.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/384>, abgerufen am 28.03.2024.