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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Dennoch darf nicht vergessen werden, dass sich der Indianer heute noch
des konkreten Vorbildes bewusst bleibt. Der Bakairi setzt keinen Mereschu-
Fisch auf seine Masken mit Ausnahme der Möven-Maske, Abb. 44, und des Fisch-
makanari, Abb. 93, und so sind auch bei den andern Stämmen -- man vergleiche
die Wachsmasken der Auetö und die schwarzweissroten Masken der Trumai --
deutliche Unterschiede vorhanden, die ich nur nicht näher zu bestimmen weiss.
Im Anfang hat der Fisch noch nicht überallhin gepasst, wo sich die Raute
heute schon eingedrängt hat oder bald eindrängen wird.

Man muss sich nun die Frage vorlegen: giebt es, wenn die Gewebmasken
und das Mereschu-Muster auf das Fischnetz zurückgehen, irgendwelche Anhalt-
punkte, um zu entscheiden, welcher Stamm der Erfinder gewesen ist?
Der Mereschu-Fisch ist mir als ein "Lagunenfisch" bezeichnet worden, (wir
haben ihn bei den Yaulapiti gegessen), doch kommt er überall in unserm
Gebiet, selbst im Paranatinga, vor. Der Fischfang mit Netzen ist auch bei
allen Stämmen gepflegt. Hier ist also Nichts zu entscheiden. Immerhin ist die
ethnologische Ausgleichung mit dem Mereschu-Muster und den Masken noch
nicht so ganz und gar vollzogen, als dass sich nicht wenigstens für ein paar
Stämme ein Negatives folgern liesse. Die Bakairi, glaube ich, kommen nicht
in Frage. Sie sind die "Herren des Makanari und des Imeo", der geflochtenen
Anzüge, und die zahmen Bakairi hatten gar keine eigentlichen Masken. Die
Bakairi hatten auch nicht die mit dem Mereschu verzierten Spinnwirtel. Bei den
Nahuqua haben wir keine Gewebmasken und nur schlechte Holzmasken gefunden,
die sie mit dem Namen Yakuikatu des Tupi-Tanzes bezeichneten; sie mögen am
Kuluene mehr bieten, allein wir dürfen ihnen nach dem, was wir bis jetzt von
ihnen wissen, kaum so viel und gewiss nicht mehr zutrauen als den Bakairi. Den
Trumai habe ich bereits früher die Originalität absprechen müssen.

Bleiben die Mehinaku mit Verwandten und die Tupi-Stämme. Jene haben
uns nur Holzmasken sehen lassen. Die Holzmasken zeigen die gleiche Anordnung
wie die Gewebmasken mit Mittelstreif und Muster, sodass sie keine eigenartige
Entstehung verraten und nur einen technischen Fortschritt bedeuten. Die Mehi-
naku waren, wie die Schemel beweisen, die besten Schnitzer, und so möchte ich
ihnen am ersten die Erfindung der Holzmaske zutrauen. Sie mögen auch, ich
weiss es nicht, Tänze mit Gewebmasken haben, da das Wort koahalu den
Kustenau und Waura, die ich im Auetöhafen befragte, auch geläufig war; die Ent-
scheidung ist unmöglich, weil der eine Stamm die Tänze des andern kannte. Die
Tupi-Stämme der Kamayura und Auetö, namentlich die letzteren, verdienen wohl
die meiste Beachtung. Die Auetö hatten die meisten Geflecht- und Gewebmasken,
ihr Wort "koahalu" war an die Nu-Aruakstämme übergegangen, bei ihnen
waren auch alle Holzmasken mit dem Mereschu bemalt, sie waren die besten
Malkünstler, die rein stilisierte Zeichnungen lieferten, bei ihnen und den
Kamayura war namentlich auch das festest gewebte Tuch vorhanden. So
sehen wir bei ihnen die älteste Uebung gerade der Künste, die hier verlangt

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Dennoch darf nicht vergessen werden, dass sich der Indianer heute noch
des konkreten Vorbildes bewusst bleibt. Der Bakaïrí setzt keinen Mereschu-
Fisch auf seine Masken mit Ausnahme der Möven-Maske, Abb. 44, und des Fisch-
makanari, Abb. 93, und so sind auch bei den andern Stämmen — man vergleiche
die Wachsmasken der Auetö́ und die schwarzweissroten Masken der Trumaí —
deutliche Unterschiede vorhanden, die ich nur nicht näher zu bestimmen weiss.
Im Anfang hat der Fisch noch nicht überallhin gepasst, wo sich die Raute
heute schon eingedrängt hat oder bald eindrängen wird.

Man muss sich nun die Frage vorlegen: giebt es, wenn die Gewebmasken
und das Mereschu-Muster auf das Fischnetz zurückgehen, irgendwelche Anhalt-
punkte, um zu entscheiden, welcher Stamm der Erfinder gewesen ist?
Der Mereschu-Fisch ist mir als ein »Lagunenfisch« bezeichnet worden, (wir
haben ihn bei den Yaulapiti gegessen), doch kommt er überall in unserm
Gebiet, selbst im Paranatinga, vor. Der Fischfang mit Netzen ist auch bei
allen Stämmen gepflegt. Hier ist also Nichts zu entscheiden. Immerhin ist die
ethnologische Ausgleichung mit dem Mereschu-Muster und den Masken noch
nicht so ganz und gar vollzogen, als dass sich nicht wenigstens für ein paar
Stämme ein Negatives folgern liesse. Die Bakaïrí, glaube ich, kommen nicht
in Frage. Sie sind die »Herren des Makanari und des Imeo«, der geflochtenen
Anzüge, und die zahmen Bakaïrí hatten gar keine eigentlichen Masken. Die
Bakaïrí hatten auch nicht die mit dem Mereschu verzierten Spinnwirtel. Bei den
Nahuquá haben wir keine Gewebmasken und nur schlechte Holzmasken gefunden,
die sie mit dem Namen Yakuíkatú des Tupí-Tanzes bezeichneten; sie mögen am
Kuluëne mehr bieten, allein wir dürfen ihnen nach dem, was wir bis jetzt von
ihnen wissen, kaum so viel und gewiss nicht mehr zutrauen als den Bakaïrí. Den
Trumaí habe ich bereits früher die Originalität absprechen müssen.

Bleiben die Mehinakú mit Verwandten und die Tupí-Stämme. Jene haben
uns nur Holzmasken sehen lassen. Die Holzmasken zeigen die gleiche Anordnung
wie die Gewebmasken mit Mittelstreif und Muster, sodass sie keine eigenartige
Entstehung verraten und nur einen technischen Fortschritt bedeuten. Die Mehi-
nakú waren, wie die Schemel beweisen, die besten Schnitzer, und so möchte ich
ihnen am ersten die Erfindung der Holzmaske zutrauen. Sie mögen auch, ich
weiss es nicht, Tänze mit Gewebmasken haben, da das Wort koahálu den
Kustenaú und Waurá, die ich im Auetö́hafen befragte, auch geläufig war; die Ent-
scheidung ist unmöglich, weil der eine Stamm die Tänze des andern kannte. Die
Tupí-Stämme der Kamayurá und Auetö́, namentlich die letzteren, verdienen wohl
die meiste Beachtung. Die Auetö́ hatten die meisten Geflecht- und Gewebmasken,
ihr Wort „koahálu“ war an die Nu-Aruakstämme übergegangen, bei ihnen
waren auch alle Holzmasken mit dem Mereschu bemalt, sie waren die besten
Malkünstler, die rein stilisierte Zeichnungen lieferten, bei ihnen und den
Kamayurá war namentlich auch das festest gewebte Tuch vorhanden. So
sehen wir bei ihnen die älteste Uebung gerade der Künste, die hier verlangt

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[323/0387] Dennoch darf nicht vergessen werden, dass sich der Indianer heute noch des konkreten Vorbildes bewusst bleibt. Der Bakaïrí setzt keinen Mereschu- Fisch auf seine Masken mit Ausnahme der Möven-Maske, Abb. 44, und des Fisch- makanari, Abb. 93, und so sind auch bei den andern Stämmen — man vergleiche die Wachsmasken der Auetö́ und die schwarzweissroten Masken der Trumaí — deutliche Unterschiede vorhanden, die ich nur nicht näher zu bestimmen weiss. Im Anfang hat der Fisch noch nicht überallhin gepasst, wo sich die Raute heute schon eingedrängt hat oder bald eindrängen wird. Man muss sich nun die Frage vorlegen: giebt es, wenn die Gewebmasken und das Mereschu-Muster auf das Fischnetz zurückgehen, irgendwelche Anhalt- punkte, um zu entscheiden, welcher Stamm der Erfinder gewesen ist? Der Mereschu-Fisch ist mir als ein »Lagunenfisch« bezeichnet worden, (wir haben ihn bei den Yaulapiti gegessen), doch kommt er überall in unserm Gebiet, selbst im Paranatinga, vor. Der Fischfang mit Netzen ist auch bei allen Stämmen gepflegt. Hier ist also Nichts zu entscheiden. Immerhin ist die ethnologische Ausgleichung mit dem Mereschu-Muster und den Masken noch nicht so ganz und gar vollzogen, als dass sich nicht wenigstens für ein paar Stämme ein Negatives folgern liesse. Die Bakaïrí, glaube ich, kommen nicht in Frage. Sie sind die »Herren des Makanari und des Imeo«, der geflochtenen Anzüge, und die zahmen Bakaïrí hatten gar keine eigentlichen Masken. Die Bakaïrí hatten auch nicht die mit dem Mereschu verzierten Spinnwirtel. Bei den Nahuquá haben wir keine Gewebmasken und nur schlechte Holzmasken gefunden, die sie mit dem Namen Yakuíkatú des Tupí-Tanzes bezeichneten; sie mögen am Kuluëne mehr bieten, allein wir dürfen ihnen nach dem, was wir bis jetzt von ihnen wissen, kaum so viel und gewiss nicht mehr zutrauen als den Bakaïrí. Den Trumaí habe ich bereits früher die Originalität absprechen müssen. Bleiben die Mehinakú mit Verwandten und die Tupí-Stämme. Jene haben uns nur Holzmasken sehen lassen. Die Holzmasken zeigen die gleiche Anordnung wie die Gewebmasken mit Mittelstreif und Muster, sodass sie keine eigenartige Entstehung verraten und nur einen technischen Fortschritt bedeuten. Die Mehi- nakú waren, wie die Schemel beweisen, die besten Schnitzer, und so möchte ich ihnen am ersten die Erfindung der Holzmaske zutrauen. Sie mögen auch, ich weiss es nicht, Tänze mit Gewebmasken haben, da das Wort koahálu den Kustenaú und Waurá, die ich im Auetö́hafen befragte, auch geläufig war; die Ent- scheidung ist unmöglich, weil der eine Stamm die Tänze des andern kannte. Die Tupí-Stämme der Kamayurá und Auetö́, namentlich die letzteren, verdienen wohl die meiste Beachtung. Die Auetö́ hatten die meisten Geflecht- und Gewebmasken, ihr Wort „koahálu“ war an die Nu-Aruakstämme übergegangen, bei ihnen waren auch alle Holzmasken mit dem Mereschu bemalt, sie waren die besten Malkünstler, die rein stilisierte Zeichnungen lieferten, bei ihnen und den Kamayurá war namentlich auch das festest gewebte Tuch vorhanden. So sehen wir bei ihnen die älteste Uebung gerade der Künste, die hier verlangt 21*

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/387>, abgerufen am 25.04.2024.