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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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feiert wird, gilt dem seinen Paranatinga liebenden Bakairi als das beste Wertstück
der Heimat; "Matrincham!", sagte der Häuptling Felipe lakonisch, als ich ihn
fragte, ob er nicht besser sein Dorf mehr cuyabawärts verlege.

Einer sehr späten Nachwelt werden diese Heimstätten nicht erhalten werden,
wenn sich nicht vieles ändert, und Felipe, der sich selbst nur Pelipe aussprechen
kann, war einsichtig genug, den Verfall zu bemerken. Seit 1884 waren Mehrere
zu den Fazendeiros verzogen, darunter auch zwei Brasilier, die sich damals in
der Gemeinde eingenistet hatten, den alten Miguel hatten meine Chininpulver
nicht am Leben erhalten, Kinder waren nicht geboren, der hundertjährige Caetano
schwatzte zwar noch so vergnüglichen Unsinn zusammen, dass kein Ende abzu-
sehen war, allein Nachwuchs konnte seine junge Luisa von ihm nicht erwarten,
und die Statistik verdarb entschieden der Gebrauch, dass den Alten die Jungen,
den Jungen die Alten vermählt wurden, sowie die Anschauung, dass Angriffe auf
das keimende Leben nicht als Verbrechen gelten.

Das Dorf vor dem Untergang zu retten, giebt es nur ein Mittel, das zugleich
einen Erfolg von weit grösserer Tragweite einbringen könnte, und auf dieses
Mittel ist keineswegs die brasilische Regierung, sondern in seiner Besorgnis der
dumme Felipe verfallen. Es besteht einfach darin, dass man sich womöglich mit
den von uns 1884 aufgefundenen Bakairi des Batovy in dauernden Verkehr setze
und einen Teil von ihnen nach dem Paranatinga ziehe. Felipe erzählte, was
von hohem Interesse ist, dass er mit Antonio und einem Andern sich 1886 auf-
gemacht habe, die Stammesgenossen an dem Zufluss des Schingu zu besuchen.
Ich komme auf die näheren, auch ethnologisch wichtigen Umstände später in der
Geschichte der Westbakairi zurück und bemerke hier nur, dass es den Dreien
gelang, einige Bakairi des ersten Batovydorfes zu einem umgehenden Gegenbesuch
am Paranatinga zu veranlassen; sie wurden mitgenommen, sahen die Wunder der
europäischen Kultur und kehrten beschenkt mit Allem, was die armen Teufel
schenken konnten, an den Batovy zurück, einen späteren Besuch in grösserer Zahl
in Aussicht stellend.

Für unsere Expedition hatte der merkwürdige Zwischenfall eine grosse Be-
deutung. Felipe und Antonio hatten von ihren Verwandten erfahren, dass es auch
im Osten des Batovy-Tamitotoala an dem Kulisehu noch mehrere
Bakairidörfer gebe
. Mein Herz hüpfte voller Freude bei dieser Nachricht.
Denn wenn wir erstens den Kulisehu finden und zweitens dort mit Bakairi zu-
sammentreffen würden, hatten wir gewonnenes Spiel. Ihrer Hülfe waren wir sicher
und von ihnen erhielten wir auch genaue Auskunft über die anderen Stämme
des Flusses. Und so ist es denn auch gekommen.



feiert wird, gilt dem seinen Paranatinga liebenden Bakaïrí als das beste Wertstück
der Heimat; »Matrincham!«, sagte der Häuptling Felipe lakonisch, als ich ihn
fragte, ob er nicht besser sein Dorf mehr cuyabáwärts verlege.

Einer sehr späten Nachwelt werden diese Heimstätten nicht erhalten werden,
wenn sich nicht vieles ändert, und Felipe, der sich selbst nur Pelipe aussprechen
kann, war einsichtig genug, den Verfall zu bemerken. Seit 1884 waren Mehrere
zu den Fazendeiros verzogen, darunter auch zwei Brasilier, die sich damals in
der Gemeinde eingenistet hatten, den alten Miguel hatten meine Chininpulver
nicht am Leben erhalten, Kinder waren nicht geboren, der hundertjährige Caetano
schwatzte zwar noch so vergnüglichen Unsinn zusammen, dass kein Ende abzu-
sehen war, allein Nachwuchs konnte seine junge Luisa von ihm nicht erwarten,
und die Statistik verdarb entschieden der Gebrauch, dass den Alten die Jungen,
den Jungen die Alten vermählt wurden, sowie die Anschauung, dass Angriffe auf
das keimende Leben nicht als Verbrechen gelten.

Das Dorf vor dem Untergang zu retten, giebt es nur ein Mittel, das zugleich
einen Erfolg von weit grösserer Tragweite einbringen könnte, und auf dieses
Mittel ist keineswegs die brasilische Regierung, sondern in seiner Besorgnis der
dumme Felipe verfallen. Es besteht einfach darin, dass man sich womöglich mit
den von uns 1884 aufgefundenen Bakaïrí des Batovy in dauernden Verkehr setze
und einen Teil von ihnen nach dem Paranatinga ziehe. Felipe erzählte, was
von hohem Interesse ist, dass er mit Antonio und einem Andern sich 1886 auf-
gemacht habe, die Stammesgenossen an dem Zufluss des Schingú zu besuchen.
Ich komme auf die näheren, auch ethnologisch wichtigen Umstände später in der
Geschichte der Westbakaïrí zurück und bemerke hier nur, dass es den Dreien
gelang, einige Bakaïrí des ersten Batovydorfes zu einem umgehenden Gegenbesuch
am Paranatinga zu veranlassen; sie wurden mitgenommen, sahen die Wunder der
europäischen Kultur und kehrten beschenkt mit Allem, was die armen Teufel
schenken konnten, an den Batovy zurück, einen späteren Besuch in grösserer Zahl
in Aussicht stellend.

Für unsere Expedition hatte der merkwürdige Zwischenfall eine grosse Be-
deutung. Felipe und Antonio hatten von ihren Verwandten erfahren, dass es auch
im Osten des Batovy-Tamitotoala an dem Kulisehu noch mehrere
Bakaïrídörfer gebe
. Mein Herz hüpfte voller Freude bei dieser Nachricht.
Denn wenn wir erstens den Kulisehu finden und zweitens dort mit Bakaïrí zu-
sammentreffen würden, hatten wir gewonnenes Spiel. Ihrer Hülfe waren wir sicher
und von ihnen erhielten wir auch genaue Auskunft über die anderen Stämme
des Flusses. Und so ist es denn auch gekommen.



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[25/0049] feiert wird, gilt dem seinen Paranatinga liebenden Bakaïrí als das beste Wertstück der Heimat; »Matrincham!«, sagte der Häuptling Felipe lakonisch, als ich ihn fragte, ob er nicht besser sein Dorf mehr cuyabáwärts verlege. Einer sehr späten Nachwelt werden diese Heimstätten nicht erhalten werden, wenn sich nicht vieles ändert, und Felipe, der sich selbst nur Pelipe aussprechen kann, war einsichtig genug, den Verfall zu bemerken. Seit 1884 waren Mehrere zu den Fazendeiros verzogen, darunter auch zwei Brasilier, die sich damals in der Gemeinde eingenistet hatten, den alten Miguel hatten meine Chininpulver nicht am Leben erhalten, Kinder waren nicht geboren, der hundertjährige Caetano schwatzte zwar noch so vergnüglichen Unsinn zusammen, dass kein Ende abzu- sehen war, allein Nachwuchs konnte seine junge Luisa von ihm nicht erwarten, und die Statistik verdarb entschieden der Gebrauch, dass den Alten die Jungen, den Jungen die Alten vermählt wurden, sowie die Anschauung, dass Angriffe auf das keimende Leben nicht als Verbrechen gelten. Das Dorf vor dem Untergang zu retten, giebt es nur ein Mittel, das zugleich einen Erfolg von weit grösserer Tragweite einbringen könnte, und auf dieses Mittel ist keineswegs die brasilische Regierung, sondern in seiner Besorgnis der dumme Felipe verfallen. Es besteht einfach darin, dass man sich womöglich mit den von uns 1884 aufgefundenen Bakaïrí des Batovy in dauernden Verkehr setze und einen Teil von ihnen nach dem Paranatinga ziehe. Felipe erzählte, was von hohem Interesse ist, dass er mit Antonio und einem Andern sich 1886 auf- gemacht habe, die Stammesgenossen an dem Zufluss des Schingú zu besuchen. Ich komme auf die näheren, auch ethnologisch wichtigen Umstände später in der Geschichte der Westbakaïrí zurück und bemerke hier nur, dass es den Dreien gelang, einige Bakaïrí des ersten Batovydorfes zu einem umgehenden Gegenbesuch am Paranatinga zu veranlassen; sie wurden mitgenommen, sahen die Wunder der europäischen Kultur und kehrten beschenkt mit Allem, was die armen Teufel schenken konnten, an den Batovy zurück, einen späteren Besuch in grösserer Zahl in Aussicht stellend. Für unsere Expedition hatte der merkwürdige Zwischenfall eine grosse Be- deutung. Felipe und Antonio hatten von ihren Verwandten erfahren, dass es auch im Osten des Batovy-Tamitotoala an dem Kulisehu noch mehrere Bakaïrídörfer gebe. Mein Herz hüpfte voller Freude bei dieser Nachricht. Denn wenn wir erstens den Kulisehu finden und zweitens dort mit Bakaïrí zu- sammentreffen würden, hatten wir gewonnenes Spiel. Ihrer Hülfe waren wir sicher und von ihnen erhielten wir auch genaue Auskunft über die anderen Stämme des Flusses. Und so ist es denn auch gekommen.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/49>, abgerufen am 24.04.2024.