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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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waren wir plötzlich nicht mehr vorhanden, sie richteten sich häuslich bei dem
Fazendeiro ein, der ihnen gern -- es konnte ja angeschrieben werden -- Alles
lieferte. Die Frauen fanden leicht Jemanden, der sie aufnahm. Frau Rosa er-
klärte ihrem Gatten, sie bleibe bei dem Arriero Mandu. "Mandu giebt mir
Essen, Beil, Hut, Messer, Reis, Bohnen, Palmnüsse, Bananen" und weiter in
langer Aufzählung. Das dünkte Antonio denn doch offenbar wider die Absprache,
er war verstimmt und kaufte sich auf der nächsten Fazenda eine Flasche Schnaps,
die ihn tröstete. Indessen darf ich gleich anfügen, dass er seinem Schicksal
nicht entging. Anderthalb Wochen später meldeten sich die beiden Jünglinge
und Rosa mit Kind in unserm Hause. Sie sahen alle sehr schlecht aus und
husteten. Die Widerstandsfähigkeit der Indianer, sobald sie nicht auf ihre ge-
wohnte Art leben, ist unglaublich gering. Maria sei zurückgeblieben und habe
sich verheiratet. Parikudo und Lekupatscheba machten dem Präsidenten und
Donna Carmina ihre Aufwartung und waren von dem Erfolg befriedigt. Sie
spazierten nun, noch ein wenig schämig, aber doch sehr vergnügt durch die
Strassen, barfuss, Strohhütchen auf den dicken Köpfen, in weissen Leinenbein-
kleidern und schwarzseidenen Jackets mit Uhrketten.

Rosa blieb bei Antonio. Hoffentlich ist sie mit ihm in dem von ihrer
Heimat recht weit entfernten Paranatingadorf glücklich angekommen und hat
ihr Junge mit der durchbohrten Unterlippe inzwischen ein Brüderchen erhalten,
dem die Nasenscheidewand durchstochen wird.

Ich kann nicht besser abschliessen als mit dieser aussichtsvollen Vereinigung
von Bakairi und Bororo, der Stämme, die uns am meisten beschäftigt haben.
Ueber das kleine Familienbildchen hinaus freilich erscheint die Zukunft der
beiden Stämme in trübem Lichte. Ob die politische Umwälzung in Brasilien zu
ihrem Vorteil ausschlägt, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist ihrer
Erdenlaufbahn durch die neuen Verhältnisse, bei denen gerade das Militär stark
beteiligt ist, eine kurze Gnadenfrist gewährt. Danach aber werden sie ebenso
zu Grunde gehen, wie der Wildstand in der Umgebung aufblühender Industrie-
städte. Wer an die Möglichkeit glauben könnte, dass sich der Wisent im Wald
von Bialowicza von selbst in ein Hausrind umwandle, der würde kaum weniger
thöricht sein als Jemand, der zu der innern Umwandlung durch die Katechese
in einer brasilischen Soldatenkolonie Vertrauen hätte.

Am 24. April trafen wir wieder in Cuyaba ein. Hier löste sich die Ex-
peditionsgesellschaft auf. Vogel war überhaupt nicht mit uns zurückgekehrt;
er hatte vom S. Lourenco aus mit dem Kapitän Serejo einen geographischen
Aufklarungsritt in der Richtung nach St. Anna de Paranahyba unternommen, um
einen kürzeren Weg als den bisher üblichen zwischen diesem Orte und der
Hauptstadt festzulegen. Wilhelm und ich verliessen Cuyaba mit dem Maidampfer,
während Vogel mit einem späteren folgte und Ehrenreich, der noch ein Jahr
in Brasilien verweilen wollte, mit den stets getreuen Kameraden Carlos und Peter
über Land nach Goyaz zog und hier seine Fahrt den Araguay hinab unternahm.


waren wir plötzlich nicht mehr vorhanden, sie richteten sich häuslich bei dem
Fazendeiro ein, der ihnen gern — es konnte ja angeschrieben werden — Alles
lieferte. Die Frauen fanden leicht Jemanden, der sie aufnahm. Frau Rosa er-
klärte ihrem Gatten, sie bleibe bei dem Arriero Mandú. »Mandú giebt mir
Essen, Beil, Hut, Messer, Reis, Bohnen, Palmnüsse, Bananen« und weiter in
langer Aufzählung. Das dünkte Antonio denn doch offenbar wider die Absprache,
er war verstimmt und kaufte sich auf der nächsten Fazenda eine Flasche Schnaps,
die ihn tröstete. Indessen darf ich gleich anfügen, dass er seinem Schicksal
nicht entging. Anderthalb Wochen später meldeten sich die beiden Jünglinge
und Rosa mit Kind in unserm Hause. Sie sahen alle sehr schlecht aus und
husteten. Die Widerstandsfähigkeit der Indianer, sobald sie nicht auf ihre ge-
wohnte Art leben, ist unglaublich gering. Maria sei zurückgeblieben und habe
sich verheiratet. Parikudo und Lekupatscheba machten dem Präsidenten und
Donna Carmina ihre Aufwartung und waren von dem Erfolg befriedigt. Sie
spazierten nun, noch ein wenig schämig, aber doch sehr vergnügt durch die
Strassen, barfuss, Strohhütchen auf den dicken Köpfen, in weissen Leinenbein-
kleidern und schwarzseidenen Jackets mit Uhrketten.

Rosa blieb bei Antonio. Hoffentlich ist sie mit ihm in dem von ihrer
Heimat recht weit entfernten Paranatingadorf glücklich angekommen und hat
ihr Junge mit der durchbohrten Unterlippe inzwischen ein Brüderchen erhalten,
dem die Nasenscheidewand durchstochen wird.

Ich kann nicht besser abschliessen als mit dieser aussichtsvollen Vereinigung
von Bakaïrí und Bororó, der Stämme, die uns am meisten beschäftigt haben.
Ueber das kleine Familienbildchen hinaus freilich erscheint die Zukunft der
beiden Stämme in trübem Lichte. Ob die politische Umwälzung in Brasilien zu
ihrem Vorteil ausschlägt, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist ihrer
Erdenlaufbahn durch die neuen Verhältnisse, bei denen gerade das Militär stark
beteiligt ist, eine kurze Gnadenfrist gewährt. Danach aber werden sie ebenso
zu Grunde gehen, wie der Wildstand in der Umgebung aufblühender Industrie-
städte. Wer an die Möglichkeit glauben könnte, dass sich der Wisent im Wald
von Bialowicza von selbst in ein Hausrind umwandle, der würde kaum weniger
thöricht sein als Jemand, der zu der innern Umwandlung durch die Katechese
in einer brasilischen Soldatenkolonie Vertrauen hätte.

Am 24. April trafen wir wieder in Cuyabá ein. Hier löste sich die Ex-
peditionsgesellschaft auf. Vogel war überhaupt nicht mit uns zurückgekehrt;
er hatte vom S. Lourenço aus mit dem Kapitän Serejo einen geographischen
Aufklarungsritt in der Richtung nach St. Anna de Paranahyba unternommen, um
einen kürzeren Weg als den bisher üblichen zwischen diesem Orte und der
Hauptstadt festzulegen. Wilhelm und ich verliessen Cuyabá mit dem Maidampfer,
während Vogel mit einem späteren folgte und Ehrenreich, der noch ein Jahr
in Brasilien verweilen wollte, mit den stets getreuen Kameraden Carlos und Peter
über Land nach Goyaz zog und hier seine Fahrt den Araguay hinab unternahm.


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[520/0596] waren wir plötzlich nicht mehr vorhanden, sie richteten sich häuslich bei dem Fazendeiro ein, der ihnen gern — es konnte ja angeschrieben werden — Alles lieferte. Die Frauen fanden leicht Jemanden, der sie aufnahm. Frau Rosa er- klärte ihrem Gatten, sie bleibe bei dem Arriero Mandú. »Mandú giebt mir Essen, Beil, Hut, Messer, Reis, Bohnen, Palmnüsse, Bananen« und weiter in langer Aufzählung. Das dünkte Antonio denn doch offenbar wider die Absprache, er war verstimmt und kaufte sich auf der nächsten Fazenda eine Flasche Schnaps, die ihn tröstete. Indessen darf ich gleich anfügen, dass er seinem Schicksal nicht entging. Anderthalb Wochen später meldeten sich die beiden Jünglinge und Rosa mit Kind in unserm Hause. Sie sahen alle sehr schlecht aus und husteten. Die Widerstandsfähigkeit der Indianer, sobald sie nicht auf ihre ge- wohnte Art leben, ist unglaublich gering. Maria sei zurückgeblieben und habe sich verheiratet. Parikudo und Lekupatscheba machten dem Präsidenten und Donna Carmina ihre Aufwartung und waren von dem Erfolg befriedigt. Sie spazierten nun, noch ein wenig schämig, aber doch sehr vergnügt durch die Strassen, barfuss, Strohhütchen auf den dicken Köpfen, in weissen Leinenbein- kleidern und schwarzseidenen Jackets mit Uhrketten. Rosa blieb bei Antonio. Hoffentlich ist sie mit ihm in dem von ihrer Heimat recht weit entfernten Paranatingadorf glücklich angekommen und hat ihr Junge mit der durchbohrten Unterlippe inzwischen ein Brüderchen erhalten, dem die Nasenscheidewand durchstochen wird. Ich kann nicht besser abschliessen als mit dieser aussichtsvollen Vereinigung von Bakaïrí und Bororó, der Stämme, die uns am meisten beschäftigt haben. Ueber das kleine Familienbildchen hinaus freilich erscheint die Zukunft der beiden Stämme in trübem Lichte. Ob die politische Umwälzung in Brasilien zu ihrem Vorteil ausschlägt, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist ihrer Erdenlaufbahn durch die neuen Verhältnisse, bei denen gerade das Militär stark beteiligt ist, eine kurze Gnadenfrist gewährt. Danach aber werden sie ebenso zu Grunde gehen, wie der Wildstand in der Umgebung aufblühender Industrie- städte. Wer an die Möglichkeit glauben könnte, dass sich der Wisent im Wald von Bialowicza von selbst in ein Hausrind umwandle, der würde kaum weniger thöricht sein als Jemand, der zu der innern Umwandlung durch die Katechese in einer brasilischen Soldatenkolonie Vertrauen hätte. Am 24. April trafen wir wieder in Cuyabá ein. Hier löste sich die Ex- peditionsgesellschaft auf. Vogel war überhaupt nicht mit uns zurückgekehrt; er hatte vom S. Lourenço aus mit dem Kapitän Serejo einen geographischen Aufklarungsritt in der Richtung nach St. Anna de Paranahyba unternommen, um einen kürzeren Weg als den bisher üblichen zwischen diesem Orte und der Hauptstadt festzulegen. Wilhelm und ich verliessen Cuyabá mit dem Maidampfer, während Vogel mit einem späteren folgte und Ehrenreich, der noch ein Jahr in Brasilien verweilen wollte, mit den stets getreuen Kameraden Carlos und Peter über Land nach Goyaz zog und hier seine Fahrt den Araguay hinab unternahm.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/596>, abgerufen am 24.04.2024.