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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Ochsenfell vertauscht werden. Das Kanu war in der Eile doch herzlich schlecht
geraten und Flickwerk schon von Anbeginn. Grade unter mir durchsetzte den
Boden des schmalen Stücks Rinde, das ein Fahrzeug darstellen wollte, ein 2/3 m
langer wachsverklebter Riss; an den Seiten rannen unter den dort aufgepappten
Lehmklumpen leise und unaufhörlich quellende Wässerchen hervor, die den Fuss
umspülten.

Aber was lag daran? Ich war glücklich. Wir hatten bestimmte Aussicht,
Indianer zu treffen; wir zweifelten in unserm Herzen kaum, dass es Bakairi sein
würden. Mochte aber kommen was da wollte, wir drei konnten uns aufeinander
verlassen. Carlos sang mit seiner harten Stimme sorglos die brasilischen Gassen-
hauer in den Wald hinein; Antonio schwieg, aber wenn ich mich umschaute, sah
ich sein ehrliches Gesicht strahlen von guter Laune und Unternehmungslust.

Das Wasser war still und fast tot. Wir passierten einige kleine Schnellen
und Sandbänke, an denen ausgestiegen werden musste, und wo ich auf's Neue zu
lernen hatte, mit nackten Füssen über Kiesel und Geröll zu gehen. Langwierige
Hindernisse bildeten die mächtigen Baumgerippe, die seitlich im Flusse lagen
oder ihn auch überbrückten und durchsetzten; mit tiefgeduckten Köpfen krochen
wir seufzend unter den Stämmen durch oder säbelten die sperrenden Aeste nieder.
Dickicht am Lande, Dickicht im Wasser. Aber wir waren nun einmal in der
Höhe der Trockenzeit; 5 -- 8 m erhob sich die steile Uferwand, die während der
Regenperiode nicht sichtbar ist, frei über dem Wasserspiegel, durchzogen von den
horizontalen Linien früherer Pegelstände. So kamen wir auch an vielem jetzt
blossliegendem Sandstrand, der meist sanft geböscht und mit zahlreichen Tier-
spuren bedeckt war, vorüber.

Das muntere Vogelleben am Fluss fiel uns nach der langen Wanderung
durch die tote Einöde des verkrüppelten Buschwaldes doppelt auf und that uns
nach der Entbehrung doppelt wohl. Man muss die Vögel auf der Stromfahrt
einteilen in solche, die man sieht, und solche, die man nur hört. Eine ganze
Reihe von befiederten Bewohnern des Waldes sind uns sehr vertraut geworden,
die wir doch unterwegs nicht ein einziges Mal erblickt haben; wir kannten ihren
Ruf, wir ahmten ihn nach, wir liessen uns von unsern Begleitern erzählen, zu
welcher Art sie gehörten, wir lasen über sie in den Büchern nach, aber wir
würden in einem Museum an diesen Freunden vorübergehen, ohne sie zu
erkennen. Carlos, der in seiner früheren Stellung zahllose Vögel des Matogrosso
gejagt und abgebalgt hatte, war leider weit sachverständiger als ich; er teilte
seinerseits die Vögel in solche ein, die Herbert Smith "hatte" und solche, die
er "nicht hatte". Zu der letzten Kategorie gehörten die Schwalben, dieselben,
denen wir 1884 auf dem Batovy begegnet waren. Wir sahen oder hörten sonst
von Vögeln schon an diesem ersten Tage Tauben, Kolibris, kleine Schwärme
Periquitos, Araras, Eisvögel, den gelben Bemtevi (Saurophagus sulphuratus), den
neugierigen kopfnickenden Strandläufer Massarico (Calidris arenaria), den Bigua
(Carbo brasilianus) und Sperberarten, Taucher der Luft neben dem des Wassers,

Ochsenfell vertauscht werden. Das Kanu war in der Eile doch herzlich schlecht
geraten und Flickwerk schon von Anbeginn. Grade unter mir durchsetzte den
Boden des schmalen Stücks Rinde, das ein Fahrzeug darstellen wollte, ein ⅔ m
langer wachsverklebter Riss; an den Seiten rannen unter den dort aufgepappten
Lehmklumpen leise und unaufhörlich quellende Wässerchen hervor, die den Fuss
umspülten.

Aber was lag daran? Ich war glücklich. Wir hatten bestimmte Aussicht,
Indianer zu treffen; wir zweifelten in unserm Herzen kaum, dass es Bakaïrí sein
würden. Mochte aber kommen was da wollte, wir drei konnten uns aufeinander
verlassen. Carlos sang mit seiner harten Stimme sorglos die brasilischen Gassen-
hauer in den Wald hinein; Antonio schwieg, aber wenn ich mich umschaute, sah
ich sein ehrliches Gesicht strahlen von guter Laune und Unternehmungslust.

Das Wasser war still und fast tot. Wir passierten einige kleine Schnellen
und Sandbänke, an denen ausgestiegen werden musste, und wo ich auf’s Neue zu
lernen hatte, mit nackten Füssen über Kiesel und Geröll zu gehen. Langwierige
Hindernisse bildeten die mächtigen Baumgerippe, die seitlich im Flusse lagen
oder ihn auch überbrückten und durchsetzten; mit tiefgeduckten Köpfen krochen
wir seufzend unter den Stämmen durch oder säbelten die sperrenden Aeste nieder.
Dickicht am Lande, Dickicht im Wasser. Aber wir waren nun einmal in der
Höhe der Trockenzeit; 5 — 8 m erhob sich die steile Uferwand, die während der
Regenperiode nicht sichtbar ist, frei über dem Wasserspiegel, durchzogen von den
horizontalen Linien früherer Pegelstände. So kamen wir auch an vielem jetzt
blossliegendem Sandstrand, der meist sanft geböscht und mit zahlreichen Tier-
spuren bedeckt war, vorüber.

Das muntere Vogelleben am Fluss fiel uns nach der langen Wanderung
durch die tote Einöde des verkrüppelten Buschwaldes doppelt auf und that uns
nach der Entbehrung doppelt wohl. Man muss die Vögel auf der Stromfahrt
einteilen in solche, die man sieht, und solche, die man nur hört. Eine ganze
Reihe von befiederten Bewohnern des Waldes sind uns sehr vertraut geworden,
die wir doch unterwegs nicht ein einziges Mal erblickt haben; wir kannten ihren
Ruf, wir ahmten ihn nach, wir liessen uns von unsern Begleitern erzählen, zu
welcher Art sie gehörten, wir lasen über sie in den Büchern nach, aber wir
würden in einem Museum an diesen Freunden vorübergehen, ohne sie zu
erkennen. Carlos, der in seiner früheren Stellung zahllose Vögel des Matogrosso
gejagt und abgebalgt hatte, war leider weit sachverständiger als ich; er teilte
seinerseits die Vögel in solche ein, die Herbert Smith »hatte« und solche, die
er »nicht hatte«. Zu der letzten Kategorie gehörten die Schwalben, dieselben,
denen wir 1884 auf dem Batovy begegnet waren. Wir sahen oder hörten sonst
von Vögeln schon an diesem ersten Tage Tauben, Kolibris, kleine Schwärme
Periquitos, Araras, Eisvögel, den gelben Bemtevi (Saurophagus sulphuratus), den
neugierigen kopfnickenden Strandläufer Massarico (Calidris arenaria), den Biguá
(Carbo brasilianus) und Sperberarten, Taucher der Luft neben dem des Wassers,

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[47/0073] Ochsenfell vertauscht werden. Das Kanu war in der Eile doch herzlich schlecht geraten und Flickwerk schon von Anbeginn. Grade unter mir durchsetzte den Boden des schmalen Stücks Rinde, das ein Fahrzeug darstellen wollte, ein ⅔ m langer wachsverklebter Riss; an den Seiten rannen unter den dort aufgepappten Lehmklumpen leise und unaufhörlich quellende Wässerchen hervor, die den Fuss umspülten. Aber was lag daran? Ich war glücklich. Wir hatten bestimmte Aussicht, Indianer zu treffen; wir zweifelten in unserm Herzen kaum, dass es Bakaïrí sein würden. Mochte aber kommen was da wollte, wir drei konnten uns aufeinander verlassen. Carlos sang mit seiner harten Stimme sorglos die brasilischen Gassen- hauer in den Wald hinein; Antonio schwieg, aber wenn ich mich umschaute, sah ich sein ehrliches Gesicht strahlen von guter Laune und Unternehmungslust. Das Wasser war still und fast tot. Wir passierten einige kleine Schnellen und Sandbänke, an denen ausgestiegen werden musste, und wo ich auf’s Neue zu lernen hatte, mit nackten Füssen über Kiesel und Geröll zu gehen. Langwierige Hindernisse bildeten die mächtigen Baumgerippe, die seitlich im Flusse lagen oder ihn auch überbrückten und durchsetzten; mit tiefgeduckten Köpfen krochen wir seufzend unter den Stämmen durch oder säbelten die sperrenden Aeste nieder. Dickicht am Lande, Dickicht im Wasser. Aber wir waren nun einmal in der Höhe der Trockenzeit; 5 — 8 m erhob sich die steile Uferwand, die während der Regenperiode nicht sichtbar ist, frei über dem Wasserspiegel, durchzogen von den horizontalen Linien früherer Pegelstände. So kamen wir auch an vielem jetzt blossliegendem Sandstrand, der meist sanft geböscht und mit zahlreichen Tier- spuren bedeckt war, vorüber. Das muntere Vogelleben am Fluss fiel uns nach der langen Wanderung durch die tote Einöde des verkrüppelten Buschwaldes doppelt auf und that uns nach der Entbehrung doppelt wohl. Man muss die Vögel auf der Stromfahrt einteilen in solche, die man sieht, und solche, die man nur hört. Eine ganze Reihe von befiederten Bewohnern des Waldes sind uns sehr vertraut geworden, die wir doch unterwegs nicht ein einziges Mal erblickt haben; wir kannten ihren Ruf, wir ahmten ihn nach, wir liessen uns von unsern Begleitern erzählen, zu welcher Art sie gehörten, wir lasen über sie in den Büchern nach, aber wir würden in einem Museum an diesen Freunden vorübergehen, ohne sie zu erkennen. Carlos, der in seiner früheren Stellung zahllose Vögel des Matogrosso gejagt und abgebalgt hatte, war leider weit sachverständiger als ich; er teilte seinerseits die Vögel in solche ein, die Herbert Smith »hatte« und solche, die er »nicht hatte«. Zu der letzten Kategorie gehörten die Schwalben, dieselben, denen wir 1884 auf dem Batovy begegnet waren. Wir sahen oder hörten sonst von Vögeln schon an diesem ersten Tage Tauben, Kolibris, kleine Schwärme Periquitos, Araras, Eisvögel, den gelben Bemtevi (Saurophagus sulphuratus), den neugierigen kopfnickenden Strandläufer Massarico (Calidris arenaria), den Biguá (Carbo brasilianus) und Sperberarten, Taucher der Luft neben dem des Wassers,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/73>, abgerufen am 19.04.2024.