Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite
Bozen - Eppan - Sarnthal.


O lege dich nicht wenn's Abend wird,
Auf die Höhen im Rebenthale!
Da steiget leise der Weinduft auf,
Den Perlen gleich im Pocale.
Ich glaube, mich hat der Duft berauscht,
Daß ich zu träumen wagte,
Als wäre ein Neubruch das schöne Land,
Darüber die Freiheit tagte.

Münchner Dichter.

Nach dem langen Winter 1843 fand ich mich wieder auf einer Blumenterrasse im Etschland, in einem schönen Garten bei Bozen. Hier am Lorbeerbusch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe's gebieterisches Haupt, und in der Geisblattlaube ist der verständige Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt wie er im Garten der Poesie, mit den Dichtern wortwechselt - alles freundliche Wahrzeichen, daß auch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint. Ringsherum wiegen sich im Morgenwinde mannichfaltige Rosen, Georginen und Azaleen, während seltsame Cactusgesträuche, Aloen und andere exotische Gewächse in unbewegter Ruhe prangen. Gegen die Höhe steigen, das liebliche Plateau umfassend, cyklopische Mauern auf, welche Weinlauben, Oelbäume, nebst manchem Belvedere tragen und sich in den grünen Buschwald verlieren, der die ungeheure Porphyrwand weich wie Sammet überkleidet. Aus den Ritzen dieser Steinlager wachsen wilde Opuntien empor, welche, so ärmlich sie herumkriechen, doch an die blauen Berge erinnern

Bozen – Eppan – Sarnthal.


O lege dich nicht wenn’s Abend wird,
Auf die Höhen im Rebenthale!
Da steiget leise der Weinduft auf,
Den Perlen gleich im Pocale.
Ich glaube, mich hat der Duft berauscht,
Daß ich zu träumen wagte,
Als wäre ein Neubruch das schöne Land,
Darüber die Freiheit tagte.

Münchner Dichter.

Nach dem langen Winter 1843 fand ich mich wieder auf einer Blumenterrasse im Etschland, in einem schönen Garten bei Bozen. Hier am Lorbeerbusch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe’s gebieterisches Haupt, und in der Geisblattlaube ist der verständige Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt wie er im Garten der Poesie, mit den Dichtern wortwechselt – alles freundliche Wahrzeichen, daß auch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint. Ringsherum wiegen sich im Morgenwinde mannichfaltige Rosen, Georginen und Azaleen, während seltsame Cactusgesträuche, Aloën und andere exotische Gewächse in unbewegter Ruhe prangen. Gegen die Höhe steigen, das liebliche Plateau umfassend, cyklopische Mauern auf, welche Weinlauben, Oelbäume, nebst manchem Belvedere tragen und sich in den grünen Buschwald verlieren, der die ungeheure Porphyrwand weich wie Sammet überkleidet. Aus den Ritzen dieser Steinlager wachsen wilde Opuntien empor, welche, so ärmlich sie herumkriechen, doch an die blauen Berge erinnern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0374" n="370"/>
      <div n="1">
        <head>Bozen &#x2013; Eppan &#x2013; Sarnthal.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>O lege dich nicht wenn&#x2019;s Abend wird,</l><lb/>
                <l>Auf die Höhen im Rebenthale!</l><lb/>
                <l>Da steiget leise der Weinduft auf,</l><lb/>
                <l>Den Perlen gleich im Pocale.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="2">
                <l>Ich glaube, mich hat der Duft berauscht,</l><lb/>
                <l>Daß ich zu träumen wagte,</l><lb/>
                <l>Als wäre ein Neubruch das schöne Land,</l><lb/>
                <l>Darüber die Freiheit tagte.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <bibl> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Münchner Dichter</hi>.</hi> </bibl>
        </cit>
        <space dim="vertical"/>
        <p>Nach dem langen Winter 1843 fand ich mich wieder auf einer Blumenterrasse im Etschland, in einem schönen Garten bei Bozen. Hier am Lorbeerbusch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe&#x2019;s gebieterisches Haupt, und in der Geisblattlaube ist der verständige Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt wie er im Garten der Poesie, mit den Dichtern wortwechselt &#x2013; alles freundliche Wahrzeichen, daß auch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint. Ringsherum wiegen sich im Morgenwinde mannichfaltige Rosen, Georginen und Azaleen, während seltsame Cactusgesträuche, Aloën und andere exotische Gewächse in unbewegter Ruhe prangen. Gegen die Höhe steigen, das liebliche Plateau umfassend, cyklopische Mauern auf, welche Weinlauben, Oelbäume, nebst manchem Belvedere tragen und sich in den grünen Buschwald verlieren, der die ungeheure Porphyrwand weich wie Sammet überkleidet. Aus den Ritzen dieser Steinlager wachsen wilde Opuntien empor, welche, so ärmlich sie herumkriechen, doch an die blauen Berge erinnern
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0374] Bozen – Eppan – Sarnthal. O lege dich nicht wenn’s Abend wird, Auf die Höhen im Rebenthale! Da steiget leise der Weinduft auf, Den Perlen gleich im Pocale. Ich glaube, mich hat der Duft berauscht, Daß ich zu träumen wagte, Als wäre ein Neubruch das schöne Land, Darüber die Freiheit tagte. Münchner Dichter. Nach dem langen Winter 1843 fand ich mich wieder auf einer Blumenterrasse im Etschland, in einem schönen Garten bei Bozen. Hier am Lorbeerbusch träumt Schiller im bleichen Marmor, dort erhebt sich Goethe’s gebieterisches Haupt, und in der Geisblattlaube ist der verständige Nestor aus Prinz Zerbino aufgemalt wie er im Garten der Poesie, mit den Dichtern wortwechselt – alles freundliche Wahrzeichen, daß auch um diese letzte Stadt deutscher Zunge der deutsche Genius ein geistiges Band geschlungen habe, das sie dem großen Ganzen vereint. Ringsherum wiegen sich im Morgenwinde mannichfaltige Rosen, Georginen und Azaleen, während seltsame Cactusgesträuche, Aloën und andere exotische Gewächse in unbewegter Ruhe prangen. Gegen die Höhe steigen, das liebliche Plateau umfassend, cyklopische Mauern auf, welche Weinlauben, Oelbäume, nebst manchem Belvedere tragen und sich in den grünen Buschwald verlieren, der die ungeheure Porphyrwand weich wie Sammet überkleidet. Aus den Ritzen dieser Steinlager wachsen wilde Opuntien empor, welche, so ärmlich sie herumkriechen, doch an die blauen Berge erinnern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/374
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/374>, abgerufen am 28.03.2024.