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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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"Zuerst muß ich von mir erzählen," begann er,
"es dürfte so nothwendig sein. Ich bin im Dorfe
Dallkreuz in dem sogenannten Hinterwalde geboren
worden. Ihr wißt, daß der Name Hinterwald nicht
mehr so viel zu bedeuten hat, als er sagt. Einmal
war er wie über die ganze Gegend, welche von unse¬
rem Strome als ein Gebilde von Hügeln nordwärts
geht, auch über die Gründe von Dallkreuz verbreitet.
Dallkreuz war damals nicht, und sein Entstehen mochte
mit dem Aufschlagen von einigen Holzarbeiterhütten
begonnen haben. Jezt sind Felder Wiesen und Wei¬
den über das ganze Hügelland gebreitet, und einige
Reste der alten Waldungen schauen ernst auf diese
Gründe herab. Das Haus meines Vaters stand
außerhalb des Ortes in der Nähe einiger anderer,
war aber doch frei genug, um auf Wiesen Felder
Gärten und im Süden auf ein sehr schönes blaues
Waldband zu sehen. Als ich ein Knabe von zehn
Jahren war, kannte ich alle Bäume und Gesträuche
der Gegend, und konnte sie nennen, ich kannte die
vorzüglichsten Pflanzen und Gesteine, ich kannte alle
Wege, wußte, wohin sie führten, und war in allen
benachbarten Orten schon gewesen, die sie berühren.
Ich kannte alle Hunde von Dallkreuz, wußte welche

„Zuerſt muß ich von mir erzählen,“ begann er,
„es dürfte ſo nothwendig ſein. Ich bin im Dorfe
Dallkreuz in dem ſogenannten Hinterwalde geboren
worden. Ihr wißt, daß der Name Hinterwald nicht
mehr ſo viel zu bedeuten hat, als er ſagt. Einmal
war er wie über die ganze Gegend, welche von unſe¬
rem Strome als ein Gebilde von Hügeln nordwärts
geht, auch über die Gründe von Dallkreuz verbreitet.
Dallkreuz war damals nicht, und ſein Entſtehen mochte
mit dem Aufſchlagen von einigen Holzarbeiterhütten
begonnen haben. Jezt ſind Felder Wieſen und Wei¬
den über das ganze Hügelland gebreitet, und einige
Reſte der alten Waldungen ſchauen ernſt auf dieſe
Gründe herab. Das Haus meines Vaters ſtand
außerhalb des Ortes in der Nähe einiger anderer,
war aber doch frei genug, um auf Wieſen Felder
Gärten und im Süden auf ein ſehr ſchönes blaues
Waldband zu ſehen. Als ich ein Knabe von zehn
Jahren war, kannte ich alle Bäume und Geſträuche
der Gegend, und konnte ſie nennen, ich kannte die
vorzüglichſten Pflanzen und Geſteine, ich kannte alle
Wege, wußte, wohin ſie führten, und war in allen
benachbarten Orten ſchon geweſen, die ſie berühren.
Ich kannte alle Hunde von Dallkreuz, wußte welche

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[229/0243] „Zuerſt muß ich von mir erzählen,“ begann er, „es dürfte ſo nothwendig ſein. Ich bin im Dorfe Dallkreuz in dem ſogenannten Hinterwalde geboren worden. Ihr wißt, daß der Name Hinterwald nicht mehr ſo viel zu bedeuten hat, als er ſagt. Einmal war er wie über die ganze Gegend, welche von unſe¬ rem Strome als ein Gebilde von Hügeln nordwärts geht, auch über die Gründe von Dallkreuz verbreitet. Dallkreuz war damals nicht, und ſein Entſtehen mochte mit dem Aufſchlagen von einigen Holzarbeiterhütten begonnen haben. Jezt ſind Felder Wieſen und Wei¬ den über das ganze Hügelland gebreitet, und einige Reſte der alten Waldungen ſchauen ernſt auf dieſe Gründe herab. Das Haus meines Vaters ſtand außerhalb des Ortes in der Nähe einiger anderer, war aber doch frei genug, um auf Wieſen Felder Gärten und im Süden auf ein ſehr ſchönes blaues Waldband zu ſehen. Als ich ein Knabe von zehn Jahren war, kannte ich alle Bäume und Geſträuche der Gegend, und konnte ſie nennen, ich kannte die vorzüglichſten Pflanzen und Geſteine, ich kannte alle Wege, wußte, wohin ſie führten, und war in allen benachbarten Orten ſchon geweſen, die ſie berühren. Ich kannte alle Hunde von Dallkreuz, wußte welche

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/243>, abgerufen am 29.03.2024.