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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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ein Aufspringen schleudert den Alp der religiösen Welt von der
Brust, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Lasten ab.
Aber die ungeheuere Bedeutung des gedankenlosen Jauchzens
konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht
erkannt werden.

"Welche Plumpheit und Frivolität, durch ein Abbrechen
die schwierigsten Probleme lösen, die umfassendsten Aufgaben
erledigen zu wollen!"

Hast Du aber Aufgaben, wenn Du sie Dir nicht stellst?
So lange Du sie stellst, wirst Du nicht von ihnen lassen, und
Ich habe ja nichts dagegen, daß Du denkst und denkend tau¬
send Gedanken erschaffest. Aber Du, der Du die Aufgaben
gestellt hast, sollst Du sie nicht wieder umwerfen können? Mußt
Du an diese Aufgaben gebunden sein, und müssen sie zu ab¬
soluten Aufgaben werden?

Um nur Eines anzuführen, so hat man die Regierung
darum herabgesetzt, daß sie gegen Gedanken Mittel der Gewalt
ergreift, gegen die Presse mittelst der Polizeigewalt der Censur
einschreitet und aus einem literarischen Kampfe einen persön¬
lichen macht. Als ob es sich lediglich um Gedanken handelte,
und als ob man gegen Gedanken uneigennützig, selbstverleug¬
nend und aufopfernd sich verhalten müßte! Greifen jene Ge¬
danken nicht die Regierenden selbst an und fordern so den
Egoismus heraus? Und stellen die Denkenden nicht an die
Angegriffenen die religiöse Forderung, die Macht des Den¬
kens, der Ideen, zu verehren? Sie sollen freiwillig und hin¬
gebend erliegen, weil die göttliche Macht des Denkens, die
Minerva, auf Seiten ihrer Feinde kämpft. Das wäre ja ein
Akt der Besessenheit, ein religiöses Opfer. Freilich stecken die
Regierenden selbst in religiöser Befangenheit und folgen der

ein Aufſpringen ſchleudert den Alp der religiöſen Welt von der
Bruſt, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Laſten ab.
Aber die ungeheuere Bedeutung des gedankenloſen Jauchzens
konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht
erkannt werden.

„Welche Plumpheit und Frivolität, durch ein Abbrechen
die ſchwierigſten Probleme löſen, die umfaſſendſten Aufgaben
erledigen zu wollen!“

Haſt Du aber Aufgaben, wenn Du ſie Dir nicht ſtellſt?
So lange Du ſie ſtellſt, wirſt Du nicht von ihnen laſſen, und
Ich habe ja nichts dagegen, daß Du denkſt und denkend tau¬
ſend Gedanken erſchaffeſt. Aber Du, der Du die Aufgaben
geſtellt haſt, ſollſt Du ſie nicht wieder umwerfen können? Mußt
Du an dieſe Aufgaben gebunden ſein, und müſſen ſie zu ab¬
ſoluten Aufgaben werden?

Um nur Eines anzuführen, ſo hat man die Regierung
darum herabgeſetzt, daß ſie gegen Gedanken Mittel der Gewalt
ergreift, gegen die Preſſe mittelſt der Polizeigewalt der Cenſur
einſchreitet und aus einem literariſchen Kampfe einen perſön¬
lichen macht. Als ob es ſich lediglich um Gedanken handelte,
und als ob man gegen Gedanken uneigennützig, ſelbſtverleug¬
nend und aufopfernd ſich verhalten müßte! Greifen jene Ge¬
danken nicht die Regierenden ſelbſt an und fordern ſo den
Egoismus heraus? Und ſtellen die Denkenden nicht an die
Angegriffenen die religiöse Forderung, die Macht des Den¬
kens, der Ideen, zu verehren? Sie ſollen freiwillig und hin¬
gebend erliegen, weil die göttliche Macht des Denkens, die
Minerva, auf Seiten ihrer Feinde kämpft. Das wäre ja ein
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[197/0205] ein Aufſpringen ſchleudert den Alp der religiöſen Welt von der Bruſt, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Laſten ab. Aber die ungeheuere Bedeutung des gedankenloſen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht erkannt werden. „Welche Plumpheit und Frivolität, durch ein Abbrechen die ſchwierigſten Probleme löſen, die umfaſſendſten Aufgaben erledigen zu wollen!“ Haſt Du aber Aufgaben, wenn Du ſie Dir nicht ſtellſt? So lange Du ſie ſtellſt, wirſt Du nicht von ihnen laſſen, und Ich habe ja nichts dagegen, daß Du denkſt und denkend tau¬ ſend Gedanken erſchaffeſt. Aber Du, der Du die Aufgaben geſtellt haſt, ſollſt Du ſie nicht wieder umwerfen können? Mußt Du an dieſe Aufgaben gebunden ſein, und müſſen ſie zu ab¬ ſoluten Aufgaben werden? Um nur Eines anzuführen, ſo hat man die Regierung darum herabgeſetzt, daß ſie gegen Gedanken Mittel der Gewalt ergreift, gegen die Preſſe mittelſt der Polizeigewalt der Cenſur einſchreitet und aus einem literariſchen Kampfe einen perſön¬ lichen macht. Als ob es ſich lediglich um Gedanken handelte, und als ob man gegen Gedanken uneigennützig, ſelbſtverleug¬ nend und aufopfernd ſich verhalten müßte! Greifen jene Ge¬ danken nicht die Regierenden ſelbſt an und fordern ſo den Egoismus heraus? Und ſtellen die Denkenden nicht an die Angegriffenen die religiöse Forderung, die Macht des Den¬ kens, der Ideen, zu verehren? Sie ſollen freiwillig und hin¬ gebend erliegen, weil die göttliche Macht des Denkens, die Minerva, auf Seiten ihrer Feinde kämpft. Das wäre ja ein Akt der Beſeſſenheit, ein religiöſes Opfer. Freilich ſtecken die Regierenden ſelbſt in religiöſer Befangenheit und folgen der

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/205>, abgerufen am 23.04.2024.