Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

verworfen werden könne. Sie erinnert sich stets selbst an
ihren -- Beruf. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß Mich
mein Vater erzeugt hat; aber nun Ich einmal erzeugt bin,
gehen Mich doch wohl seine Erzeugungs-Absichten gar nichts
an, und wozu er Mich auch immer berufen haben mag,
Ich thue, was Ich selber will. Darum erkannte auch eine
berufene Ständeversammlung, die französische im Anfange der
Revolution, ganz richtig, daß sie vom Berufer unabhängig sei.
Sie existirte und wäre dumm gewesen, wenn sie das Recht
der Existenz nicht geltend machte, sondern sich, wie vom Vater,
abhängig wähnte. Der Berufene hat nicht mehr zu fragen:
was wollte der Berufer, als er Mich schuf? -- sondern: was
will Ich, nachdem Ich einmal dem Rufe gefolgt bin? Nicht
der Berufer, nicht die Committenten, nicht die Charte, nach
welcher ihr Zusammentritt hervorgerufen wurde, nichts wird
für ihn eine heilige, unantastbare Macht sein. Er ist zu allem
befugt, was in seiner Macht steht; er wird keine beschrän¬
kende "Befugniß" kennen, wird nicht loyal sein wollen. Dieß
gäbe, wenn man von Kammern überhaupt so etwas erwarten
könnte, eine vollkommen egoistische Kammer, abgelöst von
aller Nabelschnur und rücksichtslos. Aber Kammern sind stets
devot, und darum kann es nicht befremden, wenn so viel hal¬
ber oder unentschiedener, d. h. heuchlerischer "Egoismus" sich
in ihnen breit macht.

Die Ständemitglieder sollen in den Schranken bleiben,
welche ihnen durch die Charte, durch den Königswillen u. dergl.
vorgezeichnet sind. Wollen oder können sie das nicht, so sollen
sie "austreten". Welcher Pflichtgetreue könnte anders han¬
deln, könnte sich, seine Ueberzeugung und seinen Willen als
das Erste setzen, wer könnte so unsittlich sein, sich geltend

10 *

verworfen werden könne. Sie erinnert ſich ſtets ſelbſt an
ihren — Beruf. Es iſt zwar nicht zu leugnen, daß Mich
mein Vater erzeugt hat; aber nun Ich einmal erzeugt bin,
gehen Mich doch wohl ſeine Erzeugungs-Abſichten gar nichts
an, und wozu er Mich auch immer berufen haben mag,
Ich thue, was Ich ſelber will. Darum erkannte auch eine
berufene Ständeverſammlung, die franzöſiſche im Anfange der
Revolution, ganz richtig, daß ſie vom Berufer unabhängig ſei.
Sie exiſtirte und wäre dumm geweſen, wenn ſie das Recht
der Exiſtenz nicht geltend machte, ſondern ſich, wie vom Vater,
abhängig wähnte. Der Berufene hat nicht mehr zu fragen:
was wollte der Berufer, als er Mich ſchuf? — ſondern: was
will Ich, nachdem Ich einmal dem Rufe gefolgt bin? Nicht
der Berufer, nicht die Committenten, nicht die Charte, nach
welcher ihr Zuſammentritt hervorgerufen wurde, nichts wird
für ihn eine heilige, unantaſtbare Macht ſein. Er iſt zu allem
befugt, was in ſeiner Macht ſteht; er wird keine beſchrän¬
kende „Befugniß“ kennen, wird nicht loyal ſein wollen. Dieß
gäbe, wenn man von Kammern überhaupt ſo etwas erwarten
könnte, eine vollkommen egoiſtiſche Kammer, abgelöſt von
aller Nabelſchnur und rückſichtslos. Aber Kammern ſind ſtets
devot, und darum kann es nicht befremden, wenn ſo viel hal¬
ber oder unentſchiedener, d. h. heuchleriſcher „Egoismus“ ſich
in ihnen breit macht.

Die Ständemitglieder ſollen in den Schranken bleiben,
welche ihnen durch die Charte, durch den Königswillen u. dergl.
vorgezeichnet ſind. Wollen oder können ſie das nicht, ſo ſollen
ſie „austreten“. Welcher Pflichtgetreue könnte anders han¬
deln, könnte ſich, ſeine Ueberzeugung und ſeinen Willen als
das Erſte ſetzen, wer könnte ſo unſittlich ſein, ſich geltend

10 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0155" n="147"/>
verworfen werden könne. Sie erinnert &#x017F;ich &#x017F;tets &#x017F;elb&#x017F;t an<lb/>
ihren &#x2014; <hi rendition="#g">Beruf</hi>. Es i&#x017F;t zwar nicht zu leugnen, daß Mich<lb/>
mein Vater erzeugt hat; aber nun Ich einmal erzeugt bin,<lb/>
gehen Mich doch wohl &#x017F;eine Erzeugungs-Ab&#x017F;ichten gar nichts<lb/>
an, und wozu er Mich auch immer <hi rendition="#g">berufen</hi> haben mag,<lb/>
Ich thue, was Ich &#x017F;elber will. Darum erkannte auch eine<lb/>
berufene Ständever&#x017F;ammlung, die franzö&#x017F;i&#x017F;che im Anfange der<lb/>
Revolution, ganz richtig, daß &#x017F;ie vom Berufer unabhängig &#x017F;ei.<lb/>
Sie <hi rendition="#g">exi&#x017F;tirte</hi> und wäre dumm gewe&#x017F;en, wenn &#x017F;ie das Recht<lb/>
der Exi&#x017F;tenz nicht geltend machte, &#x017F;ondern &#x017F;ich, wie vom Vater,<lb/>
abhängig wähnte. Der Berufene hat nicht mehr zu fragen:<lb/>
was wollte der Berufer, als er Mich &#x017F;chuf? &#x2014; &#x017F;ondern: was<lb/>
will Ich, nachdem Ich einmal dem Rufe gefolgt bin? Nicht<lb/>
der Berufer, nicht die Committenten, nicht die Charte, nach<lb/>
welcher ihr Zu&#x017F;ammentritt hervorgerufen wurde, nichts wird<lb/>
für ihn eine heilige, unanta&#x017F;tbare Macht &#x017F;ein. Er i&#x017F;t zu allem<lb/><hi rendition="#g">befugt</hi>, was in &#x017F;einer Macht &#x017F;teht; er wird keine be&#x017F;chrän¬<lb/>
kende &#x201E;Befugniß&#x201C; kennen, wird nicht <hi rendition="#g">loyal</hi> &#x017F;ein wollen. Dieß<lb/>
gäbe, wenn man von Kammern überhaupt &#x017F;o etwas erwarten<lb/>
könnte, eine vollkommen <hi rendition="#g">egoi&#x017F;ti&#x017F;che</hi> Kammer, abgelö&#x017F;t von<lb/>
aller Nabel&#x017F;chnur und rück&#x017F;ichtslos. Aber Kammern &#x017F;ind &#x017F;tets<lb/>
devot, und darum kann es nicht befremden, wenn &#x017F;o viel hal¬<lb/>
ber oder unent&#x017F;chiedener, d. h. heuchleri&#x017F;cher &#x201E;Egoismus&#x201C; &#x017F;ich<lb/>
in ihnen breit macht.</p><lb/>
              <p>Die Ständemitglieder &#x017F;ollen in den <hi rendition="#g">Schranken</hi> bleiben,<lb/>
welche ihnen durch die Charte, durch den Königswillen u. dergl.<lb/>
vorgezeichnet &#x017F;ind. Wollen oder können &#x017F;ie das nicht, &#x017F;o &#x017F;ollen<lb/>
&#x017F;ie &#x201E;austreten&#x201C;. Welcher Pflichtgetreue könnte anders han¬<lb/>
deln, könnte &#x017F;ich, &#x017F;eine Ueberzeugung und &#x017F;einen Willen als<lb/>
das <hi rendition="#g">Er&#x017F;te</hi> &#x017F;etzen, wer könnte &#x017F;o un&#x017F;ittlich &#x017F;ein, &#x017F;ich geltend<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10 *<lb/></fw>
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0155] verworfen werden könne. Sie erinnert ſich ſtets ſelbſt an ihren — Beruf. Es iſt zwar nicht zu leugnen, daß Mich mein Vater erzeugt hat; aber nun Ich einmal erzeugt bin, gehen Mich doch wohl ſeine Erzeugungs-Abſichten gar nichts an, und wozu er Mich auch immer berufen haben mag, Ich thue, was Ich ſelber will. Darum erkannte auch eine berufene Ständeverſammlung, die franzöſiſche im Anfange der Revolution, ganz richtig, daß ſie vom Berufer unabhängig ſei. Sie exiſtirte und wäre dumm geweſen, wenn ſie das Recht der Exiſtenz nicht geltend machte, ſondern ſich, wie vom Vater, abhängig wähnte. Der Berufene hat nicht mehr zu fragen: was wollte der Berufer, als er Mich ſchuf? — ſondern: was will Ich, nachdem Ich einmal dem Rufe gefolgt bin? Nicht der Berufer, nicht die Committenten, nicht die Charte, nach welcher ihr Zuſammentritt hervorgerufen wurde, nichts wird für ihn eine heilige, unantaſtbare Macht ſein. Er iſt zu allem befugt, was in ſeiner Macht ſteht; er wird keine beſchrän¬ kende „Befugniß“ kennen, wird nicht loyal ſein wollen. Dieß gäbe, wenn man von Kammern überhaupt ſo etwas erwarten könnte, eine vollkommen egoiſtiſche Kammer, abgelöſt von aller Nabelſchnur und rückſichtslos. Aber Kammern ſind ſtets devot, und darum kann es nicht befremden, wenn ſo viel hal¬ ber oder unentſchiedener, d. h. heuchleriſcher „Egoismus“ ſich in ihnen breit macht. Die Ständemitglieder ſollen in den Schranken bleiben, welche ihnen durch die Charte, durch den Königswillen u. dergl. vorgezeichnet ſind. Wollen oder können ſie das nicht, ſo ſollen ſie „austreten“. Welcher Pflichtgetreue könnte anders han¬ deln, könnte ſich, ſeine Ueberzeugung und ſeinen Willen als das Erſte ſetzen, wer könnte ſo unſittlich ſein, ſich geltend 10 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/155
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/155>, abgerufen am 19.04.2024.