Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

thumslos. Das Eigenthum wird dem Einzelnen entzogen
und der gespenstischen Gesellschaft überantwortet. Der humane
Liberalismus macht gottlos, atheistisch. Deshalb muß der
Gott des Einzelnen, "mein Gott", abgeschafft werden. Nun
ist zwar die Herrenlosigkeit zugleich Dienstlosigkeit, Besitzlosig¬
keit zugleich Sorglosigkeit, und Gottlosigkeit zugleich Vorur¬
theilslosigkeit, denn mit dem Herrn fällt der Diener weg, mit
dem Besitz die Sorge um ihn, mit dem festgewurzelten Gott
das Vorurtheil; da aber der Herr als Staat wieder aufersteht,
so erscheint der Diener als Unterthan wieder, da der Besitz
zum Eigenthum der Gesellschaft wird, so erzeugt sich die Sorge
von neuem als Arbeit, und da der Gott als Mensch zum
Vorurtheil wird, so ersteht ein neuer Glaube, der Glaube an
die Menschheit oder Freiheit. Für den Gott des Einzelnen
ist nun der Gott Aller, nämlich "der Mensch" erhöht worden:
"es ist ja Unser Aller Höchstes, Mensch zu sein." Da aber
Niemand ganz das werden kann, was die Idee "Mensch"
besagt, so bleibt der Mensch dem Einzelnen ein erhabenes Jen¬
seits, ein unerreichtes höchstes Wesen, ein Gott. Zugleich
aber ist dies der "wahre Gott", weil er Uns völlig adäquat,
nämlich Unser eigenes "Selbst" ist: Wir selbst, aber von
Uns getrennt und über Uns erhaben.


Anmerkung.

Vorstehende Beurtheilung der "freien menschlichen Kritik"
war, wie auch dasjenige, was anderwärts noch sich aus Schrif¬
ten dieser Richtung bezieht, unmittelbar nach dem Erscheinen

thumslos. Das Eigenthum wird dem Einzelnen entzogen
und der geſpenſtiſchen Geſellſchaft überantwortet. Der humane
Liberalismus macht gottlos, atheiſtiſch. Deshalb muß der
Gott des Einzelnen, „mein Gott“, abgeſchafft werden. Nun
iſt zwar die Herrenloſigkeit zugleich Dienſtloſigkeit, Beſitzloſig¬
keit zugleich Sorgloſigkeit, und Gottloſigkeit zugleich Vorur¬
theilsloſigkeit, denn mit dem Herrn fällt der Diener weg, mit
dem Beſitz die Sorge um ihn, mit dem feſtgewurzelten Gott
das Vorurtheil; da aber der Herr als Staat wieder auferſteht,
ſo erſcheint der Diener als Unterthan wieder, da der Beſitz
zum Eigenthum der Geſellſchaft wird, ſo erzeugt ſich die Sorge
von neuem als Arbeit, und da der Gott als Menſch zum
Vorurtheil wird, ſo erſteht ein neuer Glaube, der Glaube an
die Menſchheit oder Freiheit. Für den Gott des Einzelnen
iſt nun der Gott Aller, nämlich „der Menſch“ erhöht worden:
„es iſt ja Unſer Aller Höchſtes, Menſch zu ſein.“ Da aber
Niemand ganz das werden kann, was die Idee „Menſch“
beſagt, ſo bleibt der Menſch dem Einzelnen ein erhabenes Jen¬
ſeits, ein unerreichtes höchſtes Weſen, ein Gott. Zugleich
aber iſt dies der „wahre Gott“, weil er Uns völlig adäquat,
nämlich Unſer eigenes „Selbſt“ iſt: Wir ſelbſt, aber von
Uns getrennt und über Uns erhaben.


Anmerkung.

Vorſtehende Beurtheilung der „freien menſchlichen Kritik“
war, wie auch dasjenige, was anderwärts noch ſich aus Schrif¬
ten dieſer Richtung bezieht, unmittelbar nach dem Erſcheinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0198" n="190"/>
thumslos. Das Eigenthum wird dem Einzelnen entzogen<lb/>
und der ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft überantwortet. Der humane<lb/>
Liberalismus macht <hi rendition="#g">gottlos</hi>, athei&#x017F;ti&#x017F;ch. Deshalb muß der<lb/>
Gott des Einzelnen, &#x201E;mein Gott&#x201C;, abge&#x017F;chafft werden. Nun<lb/>
i&#x017F;t zwar die Herrenlo&#x017F;igkeit zugleich Dien&#x017F;tlo&#x017F;igkeit, Be&#x017F;itzlo&#x017F;ig¬<lb/>
keit zugleich Sorglo&#x017F;igkeit, und Gottlo&#x017F;igkeit zugleich Vorur¬<lb/>
theilslo&#x017F;igkeit, denn mit dem Herrn fällt der Diener weg, mit<lb/>
dem Be&#x017F;itz die Sorge um ihn, mit dem fe&#x017F;tgewurzelten Gott<lb/>
das Vorurtheil; da aber der Herr als Staat wieder aufer&#x017F;teht,<lb/>
&#x017F;o er&#x017F;cheint der Diener als Unterthan wieder, da der Be&#x017F;itz<lb/>
zum Eigenthum der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft wird, &#x017F;o erzeugt &#x017F;ich die Sorge<lb/>
von neuem als Arbeit, und da der Gott als Men&#x017F;ch zum<lb/>
Vorurtheil wird, &#x017F;o er&#x017F;teht ein neuer Glaube, der Glaube an<lb/>
die Men&#x017F;chheit oder Freiheit. Für den Gott des Einzelnen<lb/>
i&#x017F;t nun der Gott Aller, nämlich &#x201E;der Men&#x017F;ch&#x201C; erhöht worden:<lb/>
&#x201E;es i&#x017F;t ja Un&#x017F;er Aller Höch&#x017F;tes, Men&#x017F;ch zu &#x017F;ein.&#x201C; Da aber<lb/>
Niemand ganz das werden kann, was die Idee &#x201E;Men&#x017F;ch&#x201C;<lb/>
be&#x017F;agt, &#x017F;o bleibt der Men&#x017F;ch dem Einzelnen ein erhabenes Jen¬<lb/>
&#x017F;eits, ein unerreichtes höch&#x017F;tes We&#x017F;en, ein Gott. Zugleich<lb/>
aber i&#x017F;t dies der &#x201E;wahre Gott&#x201C;, weil er Uns völlig adäquat,<lb/>
nämlich Un&#x017F;er eigenes &#x201E;<hi rendition="#g">Selb&#x017F;t</hi>&#x201C; i&#x017F;t: Wir &#x017F;elb&#x017F;t, aber von<lb/>
Uns getrennt und über Uns erhaben.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b #g">Anmerkung.</hi><lb/>
        </head>
        <p>Vor&#x017F;tehende Beurtheilung der &#x201E;freien men&#x017F;chlichen Kritik&#x201C;<lb/>
war, wie auch dasjenige, was anderwärts noch &#x017F;ich aus Schrif¬<lb/>
ten die&#x017F;er Richtung bezieht, unmittelbar nach dem Er&#x017F;cheinen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0198] thumslos. Das Eigenthum wird dem Einzelnen entzogen und der geſpenſtiſchen Geſellſchaft überantwortet. Der humane Liberalismus macht gottlos, atheiſtiſch. Deshalb muß der Gott des Einzelnen, „mein Gott“, abgeſchafft werden. Nun iſt zwar die Herrenloſigkeit zugleich Dienſtloſigkeit, Beſitzloſig¬ keit zugleich Sorgloſigkeit, und Gottloſigkeit zugleich Vorur¬ theilsloſigkeit, denn mit dem Herrn fällt der Diener weg, mit dem Beſitz die Sorge um ihn, mit dem feſtgewurzelten Gott das Vorurtheil; da aber der Herr als Staat wieder auferſteht, ſo erſcheint der Diener als Unterthan wieder, da der Beſitz zum Eigenthum der Geſellſchaft wird, ſo erzeugt ſich die Sorge von neuem als Arbeit, und da der Gott als Menſch zum Vorurtheil wird, ſo erſteht ein neuer Glaube, der Glaube an die Menſchheit oder Freiheit. Für den Gott des Einzelnen iſt nun der Gott Aller, nämlich „der Menſch“ erhöht worden: „es iſt ja Unſer Aller Höchſtes, Menſch zu ſein.“ Da aber Niemand ganz das werden kann, was die Idee „Menſch“ beſagt, ſo bleibt der Menſch dem Einzelnen ein erhabenes Jen¬ ſeits, ein unerreichtes höchſtes Weſen, ein Gott. Zugleich aber iſt dies der „wahre Gott“, weil er Uns völlig adäquat, nämlich Unſer eigenes „Selbſt“ iſt: Wir ſelbſt, aber von Uns getrennt und über Uns erhaben. Anmerkung. Vorſtehende Beurtheilung der „freien menſchlichen Kritik“ war, wie auch dasjenige, was anderwärts noch ſich aus Schrif¬ ten dieſer Richtung bezieht, unmittelbar nach dem Erſcheinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/198
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/198>, abgerufen am 13.10.2024.