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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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d. h. nichts als Gedanken, ein Himmel für sich, eine
reine Gedankenwelt, logische Gedanken.

Im Gegentheil waren es nur Gedanken gewesen, die Wir
Uns über eine Sache machten: Wir dachten Uns das Ding
so oder so. Wir dachten also wohl: die Welt, die Wir da
sehen, hat Gott gemacht: aber Wir dachten ("erforschten")
nicht die "Tiefen der Gottheit selber"; Wir dachten wohl: "das
ist das Wahre an der Sache", aber Wir dachten nicht das
Wahre oder die Wahrheit selbst, und verbanden nicht zu Ei¬
nem Satze "Gott ist die Wahrheit". Die "Tiefen der Gott¬
heit, welche die Wahrheit ist", berührten Wir nicht. Bei sol¬
chen rein logischen, d. h. theologischen Fragen: "Was ist
Wahrheit" hält sich Pilatus nicht auf, wenngleich er im ein¬
zelnen Falle darum nicht zweifelt, zu ermitteln, "was Wahres
an der Sache ist", d. h. ob die Sache wahr ist.

Jeder an eine Sache gebundene Gedanke ist noch nicht
nichts als Gedanke, absoluter Gedanke.

Den reinen Gedanken zu Tage zu fördern, oder ihm
anzuhängen, das ist Jugendlust, und alle Lichtgestalten der
Gedankenwelt, wie Wahrheit, Freiheit, Menschenthum, der
Mensch u. s. w. erleuchten und begeistern die jugendliche
Seele.

Ist aber der Geist als das Wesentliche erkannt, so macht
es doch einen Unterschied, ob der Geist arm oder reich ist, und
man sucht deshalb reich an Geist zu werden: es will der Geist
sich ausbreiten, sein Reich zu gründen, ein Reich, das nicht
von dieser Welt ist, der eben überwundenen. So sehnt er sich
denn alles in allem zu werden, d. h. obgleich Ich Geist bin,
bin Ich doch nicht vollendeter Geist, und muß den voll¬
kommenen Geist erst suchen.

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d. h. nichts als Gedanken, ein Himmel für ſich, eine
reine Gedankenwelt, logiſche Gedanken.

Im Gegentheil waren es nur Gedanken geweſen, die Wir
Uns über eine Sache machten: Wir dachten Uns das Ding
ſo oder ſo. Wir dachten alſo wohl: die Welt, die Wir da
ſehen, hat Gott gemacht: aber Wir dachten („erforſchten“)
nicht die „Tiefen der Gottheit ſelber“; Wir dachten wohl: „das
iſt das Wahre an der Sache“, aber Wir dachten nicht das
Wahre oder die Wahrheit ſelbſt, und verbanden nicht zu Ei¬
nem Satze „Gott iſt die Wahrheit“. Die „Tiefen der Gott¬
heit, welche die Wahrheit iſt“, berührten Wir nicht. Bei ſol¬
chen rein logiſchen, d. h. theologiſchen Fragen: „Was iſt
Wahrheit“ hält ſich Pilatus nicht auf, wenngleich er im ein¬
zelnen Falle darum nicht zweifelt, zu ermitteln, „was Wahres
an der Sache iſt“, d. h. ob die Sache wahr iſt.

Jeder an eine Sache gebundene Gedanke iſt noch nicht
nichts als Gedanke, abſoluter Gedanke.

Den reinen Gedanken zu Tage zu fördern, oder ihm
anzuhängen, das iſt Jugendluſt, und alle Lichtgeſtalten der
Gedankenwelt, wie Wahrheit, Freiheit, Menſchenthum, der
Menſch u. ſ. w. erleuchten und begeiſtern die jugendliche
Seele.

Iſt aber der Geiſt als das Weſentliche erkannt, ſo macht
es doch einen Unterſchied, ob der Geiſt arm oder reich iſt, und
man ſucht deshalb reich an Geiſt zu werden: es will der Geiſt
ſich ausbreiten, ſein Reich zu gründen, ein Reich, das nicht
von dieſer Welt iſt, der eben überwundenen. So ſehnt er ſich
denn alles in allem zu werden, d. h. obgleich Ich Geiſt bin,
bin Ich doch nicht vollendeter Geiſt, und muß den voll¬
kommenen Geiſt erſt ſuchen.

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[17/0025] d. h. nichts als Gedanken, ein Himmel für ſich, eine reine Gedankenwelt, logiſche Gedanken. Im Gegentheil waren es nur Gedanken geweſen, die Wir Uns über eine Sache machten: Wir dachten Uns das Ding ſo oder ſo. Wir dachten alſo wohl: die Welt, die Wir da ſehen, hat Gott gemacht: aber Wir dachten („erforſchten“) nicht die „Tiefen der Gottheit ſelber“; Wir dachten wohl: „das iſt das Wahre an der Sache“, aber Wir dachten nicht das Wahre oder die Wahrheit ſelbſt, und verbanden nicht zu Ei¬ nem Satze „Gott iſt die Wahrheit“. Die „Tiefen der Gott¬ heit, welche die Wahrheit iſt“, berührten Wir nicht. Bei ſol¬ chen rein logiſchen, d. h. theologiſchen Fragen: „Was iſt Wahrheit“ hält ſich Pilatus nicht auf, wenngleich er im ein¬ zelnen Falle darum nicht zweifelt, zu ermitteln, „was Wahres an der Sache iſt“, d. h. ob die Sache wahr iſt. Jeder an eine Sache gebundene Gedanke iſt noch nicht nichts als Gedanke, abſoluter Gedanke. Den reinen Gedanken zu Tage zu fördern, oder ihm anzuhängen, das iſt Jugendluſt, und alle Lichtgeſtalten der Gedankenwelt, wie Wahrheit, Freiheit, Menſchenthum, der Menſch u. ſ. w. erleuchten und begeiſtern die jugendliche Seele. Iſt aber der Geiſt als das Weſentliche erkannt, ſo macht es doch einen Unterſchied, ob der Geiſt arm oder reich iſt, und man ſucht deshalb reich an Geiſt zu werden: es will der Geiſt ſich ausbreiten, ſein Reich zu gründen, ein Reich, das nicht von dieſer Welt iſt, der eben überwundenen. So ſehnt er ſich denn alles in allem zu werden, d. h. obgleich Ich Geiſt bin, bin Ich doch nicht vollendeter Geiſt, und muß den voll¬ kommenen Geiſt erſt ſuchen. 2

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/25>, abgerufen am 29.03.2024.