Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Freiheit der Selbstbestimmung? Ganz anders verhält es sich
schon, wann, wie z. B. in Nordamerika, sich die Gesellschaft
dazu bestimmt, die Duellanten gewisse üble Folgen ihrer
That tragen zu lassen, z. B. Entziehung des bisher genossenen
Credits. Den Credit zu verweigern, das ist Jedermanns
Sache, und wenn eine Societät ihn aus diesem oder jenem
Grunde entziehen will, so kann sich der Betroffene deshalb nicht
über Beeinträchtigung seiner Freiheit beklagen: die Societät
macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das ist keine
Sündenstrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell
ist da kein Verbrechen, sondern nur eine That, wider welche
die Societät Gegenmaaßregeln ergreift, eine Abwehr statuirt.
Der Staat hingegen stempelt das Duell zu einem Verbrechen,
d. h. zu einer Verletzung seines heiligen Gesetzes: er macht es
zu einem Criminalfall. Ueberläßt jene Societät es dem
Beschlusse des Einzelnen, ob er sich üble Folgen und Ungele¬
genheiten durch seine Handlungsweise zuziehen wolle, und er¬
kennt sie hierdurch seinen freien Entschluß an, so verfährt der
Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entschlusse des Ein¬
zelnen alles Recht abspricht, und dafür dem eigenen Beschlusse,
dem Staatsgesetze, das alleinige Recht zuerkennt, so daß, wer
gegen das Gebot des Staates sich vergeht, so angesehen wird,
als handle er wider Gottes Gebot; eine Ansicht, welche gleich¬
falls von der Kirche eingehalten wurde. Gott ist da der
Heilige an und für sich, und die Gebote der Kirche wie des
Staates sind die Gebote dieses Heiligen, die er der Welt
durch seine Gesalbten und Gottesgnaden-Herrn zustellt. Hatte
die Kirche Todsünden, so hat der Staat todeswürdige
Verbrechen
, hatte sie Ketzer, so hat er Hochverräther,
jene Kirchenstrafen, er Criminalstrafen, jene inqui¬

Freiheit der Selbſtbeſtimmung? Ganz anders verhält es ſich
ſchon, wann, wie z. B. in Nordamerika, ſich die Geſellſchaft
dazu beſtimmt, die Duellanten gewiſſe üble Folgen ihrer
That tragen zu laſſen, z. B. Entziehung des bisher genoſſenen
Credits. Den Credit zu verweigern, das iſt Jedermanns
Sache, und wenn eine Societät ihn aus dieſem oder jenem
Grunde entziehen will, ſo kann ſich der Betroffene deshalb nicht
über Beeinträchtigung ſeiner Freiheit beklagen: die Societät
macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das iſt keine
Sündenſtrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell
iſt da kein Verbrechen, ſondern nur eine That, wider welche
die Societät Gegenmaaßregeln ergreift, eine Abwehr ſtatuirt.
Der Staat hingegen ſtempelt das Duell zu einem Verbrechen,
d. h. zu einer Verletzung ſeines heiligen Geſetzes: er macht es
zu einem Criminalfall. Ueberläßt jene Societät es dem
Beſchluſſe des Einzelnen, ob er ſich üble Folgen und Ungele¬
genheiten durch ſeine Handlungsweiſe zuziehen wolle, und er¬
kennt ſie hierdurch ſeinen freien Entſchluß an, ſo verfährt der
Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entſchluſſe des Ein¬
zelnen alles Recht abſpricht, und dafür dem eigenen Beſchluſſe,
dem Staatsgeſetze, das alleinige Recht zuerkennt, ſo daß, wer
gegen das Gebot des Staates ſich vergeht, ſo angeſehen wird,
als handle er wider Gottes Gebot; eine Anſicht, welche gleich¬
falls von der Kirche eingehalten wurde. Gott iſt da der
Heilige an und für ſich, und die Gebote der Kirche wie des
Staates ſind die Gebote dieſes Heiligen, die er der Welt
durch ſeine Geſalbten und Gottesgnaden-Herrn zuſtellt. Hatte
die Kirche Todſünden, ſo hat der Staat todeswürdige
Verbrechen
, hatte ſie Ketzer, ſo hat er Hochverräther,
jene Kirchenſtrafen, er Criminalſtrafen, jene inqui¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0323" n="315"/>
Freiheit der Selb&#x017F;tbe&#x017F;timmung? Ganz anders verhält es &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chon, wann, wie z. B. in Nordamerika, &#x017F;ich die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
dazu be&#x017F;timmt, die Duellanten gewi&#x017F;&#x017F;e üble <hi rendition="#g">Folgen</hi> ihrer<lb/>
That tragen zu la&#x017F;&#x017F;en, z. B. Entziehung des bisher geno&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Credits. Den Credit zu verweigern, das i&#x017F;t Jedermanns<lb/>
Sache, und wenn eine Societät ihn aus die&#x017F;em oder jenem<lb/>
Grunde entziehen will, &#x017F;o kann &#x017F;ich der Betroffene deshalb nicht<lb/>
über Beeinträchtigung &#x017F;einer Freiheit beklagen: die Societät<lb/>
macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das i&#x017F;t keine<lb/>
Sünden&#x017F;trafe, keine Strafe für ein <hi rendition="#g">Verbrechen</hi>. Das Duell<lb/>
i&#x017F;t da kein Verbrechen, &#x017F;ondern nur eine That, wider welche<lb/>
die Societät Gegenmaaßregeln ergreift, eine <hi rendition="#g">Abwehr</hi> &#x017F;tatuirt.<lb/>
Der Staat hingegen &#x017F;tempelt das Duell zu einem Verbrechen,<lb/>
d. h. zu einer Verletzung &#x017F;eines heiligen Ge&#x017F;etzes: er macht es<lb/>
zu einem <hi rendition="#g">Criminalfall</hi>. Ueberläßt jene Societät es dem<lb/>
Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e des Einzelnen, ob er &#x017F;ich üble Folgen und Ungele¬<lb/>
genheiten durch &#x017F;eine Handlungswei&#x017F;e zuziehen wolle, und er¬<lb/>
kennt &#x017F;ie hierdurch &#x017F;einen freien Ent&#x017F;chluß an, &#x017F;o verfährt der<lb/>
Staat gerade umgekehrt, indem er dem Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e des Ein¬<lb/>
zelnen alles Recht ab&#x017F;pricht, und dafür dem eigenen Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
dem Staatsge&#x017F;etze, das alleinige Recht zuerkennt, &#x017F;o daß, wer<lb/>
gegen das Gebot des Staates &#x017F;ich vergeht, &#x017F;o ange&#x017F;ehen wird,<lb/>
als handle er wider Gottes Gebot; eine An&#x017F;icht, welche gleich¬<lb/>
falls von der Kirche eingehalten wurde. Gott i&#x017F;t da der<lb/>
Heilige an und für &#x017F;ich, und die Gebote der Kirche wie des<lb/>
Staates &#x017F;ind die Gebote die&#x017F;es Heiligen, die er der Welt<lb/>
durch &#x017F;eine Ge&#x017F;albten und Gottesgnaden-Herrn zu&#x017F;tellt. Hatte<lb/>
die Kirche <hi rendition="#g">Tod&#x017F;ünden</hi>, &#x017F;o hat der Staat <hi rendition="#g">todeswürdige<lb/>
Verbrechen</hi>, hatte &#x017F;ie <hi rendition="#g">Ketzer</hi>, &#x017F;o hat er <hi rendition="#g">Hochverräther</hi>,<lb/>
jene <hi rendition="#g">Kirchen&#x017F;trafen</hi>, er <hi rendition="#g">Criminal&#x017F;trafen</hi>, jene <hi rendition="#g">inqui¬<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[315/0323] Freiheit der Selbſtbeſtimmung? Ganz anders verhält es ſich ſchon, wann, wie z. B. in Nordamerika, ſich die Geſellſchaft dazu beſtimmt, die Duellanten gewiſſe üble Folgen ihrer That tragen zu laſſen, z. B. Entziehung des bisher genoſſenen Credits. Den Credit zu verweigern, das iſt Jedermanns Sache, und wenn eine Societät ihn aus dieſem oder jenem Grunde entziehen will, ſo kann ſich der Betroffene deshalb nicht über Beeinträchtigung ſeiner Freiheit beklagen: die Societät macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das iſt keine Sündenſtrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell iſt da kein Verbrechen, ſondern nur eine That, wider welche die Societät Gegenmaaßregeln ergreift, eine Abwehr ſtatuirt. Der Staat hingegen ſtempelt das Duell zu einem Verbrechen, d. h. zu einer Verletzung ſeines heiligen Geſetzes: er macht es zu einem Criminalfall. Ueberläßt jene Societät es dem Beſchluſſe des Einzelnen, ob er ſich üble Folgen und Ungele¬ genheiten durch ſeine Handlungsweiſe zuziehen wolle, und er¬ kennt ſie hierdurch ſeinen freien Entſchluß an, ſo verfährt der Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entſchluſſe des Ein¬ zelnen alles Recht abſpricht, und dafür dem eigenen Beſchluſſe, dem Staatsgeſetze, das alleinige Recht zuerkennt, ſo daß, wer gegen das Gebot des Staates ſich vergeht, ſo angeſehen wird, als handle er wider Gottes Gebot; eine Anſicht, welche gleich¬ falls von der Kirche eingehalten wurde. Gott iſt da der Heilige an und für ſich, und die Gebote der Kirche wie des Staates ſind die Gebote dieſes Heiligen, die er der Welt durch ſeine Geſalbten und Gottesgnaden-Herrn zuſtellt. Hatte die Kirche Todſünden, ſo hat der Staat todeswürdige Verbrechen, hatte ſie Ketzer, ſo hat er Hochverräther, jene Kirchenſtrafen, er Criminalſtrafen, jene inqui¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/323
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/323>, abgerufen am 16.04.2024.