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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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liegen lassen. Um ein höchstes Wesen handelt es sich bei
beiden, und ob dasselbe ein übermenschliches oder ein mensch¬
liches sei, das kann Mir, da es jedenfalls ein Wesen über
Mir, gleichsam ein übermeiniges ist, nur wenig verschlagen.
Zuletzt wird das Verhalten zum menschlichen Wesen oder zum
"Menschen", hat es nur erst die Schlangenhaut der alten Re¬
ligion abgestreift, doch wieder eine religiöse Schlangenhaut tragen.

So belehrt Uns Feuerbach, daß "wenn man die specula¬
tive Philosophie nur umkehre, d. h. immer das Prädicat zum
Subject, und so das Subject zum Object und Princip mache,
man die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit habe." *)
Damit verlieren Wir allerdings den beschränkten religiösen
Standpunkt, verlieren den Gott, der auf diesem Standpunkte
Subject ist, allein Wir tauschen dafür die andere Seite des
religiösen Standpunktes, den sittlichen ein. Wir sagen
z. B. nicht mehr: "Gott ist die Liebe", sondern "die Liebe ist
göttlich". Setzen Wir noch an die Stelle des Prädicats "gött¬
lich" das gleichbedeutende "heilig", so kehrt der Sache nach
alles Alte wieder zurück. Die Liebe soll darnach das Gute
am Menschen sein, seine Göttlichkeit, das was ihm Ehre macht,
seine wahre Menschlichkeit (sie "macht ihn erst zum Men¬
schen", macht erst einen Menschen aus ihm). So wäre es
denn genauer gesprochen so: Die Liebe ist das Menschliche
am Menschen, und das Unmenschliche ist der lieblose Egoist.
Aber gerade alles dasjenige, was das Christenthum und mit
ihm die speculative Philosophie, d. h. Theologie als das Gute,
das Absolute offerirt, ist in der Eigenheit eben nicht das Gute
(oder, was dasselbe sagt, es ist nur das Gute), mithin würde

*) Anekdota II, 64.

liegen laſſen. Um ein höchſtes Weſen handelt es ſich bei
beiden, und ob daſſelbe ein übermenſchliches oder ein menſch¬
liches ſei, das kann Mir, da es jedenfalls ein Weſen über
Mir, gleichſam ein übermeiniges iſt, nur wenig verſchlagen.
Zuletzt wird das Verhalten zum menſchlichen Weſen oder zum
„Menſchen“, hat es nur erſt die Schlangenhaut der alten Re¬
ligion abgeſtreift, doch wieder eine religiöſe Schlangenhaut tragen.

So belehrt Uns Feuerbach, daß „wenn man die ſpecula¬
tive Philoſophie nur umkehre, d. h. immer das Prädicat zum
Subject, und ſo das Subject zum Object und Princip mache,
man die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit habe.“ *)
Damit verlieren Wir allerdings den beſchränkten religiöſen
Standpunkt, verlieren den Gott, der auf dieſem Standpunkte
Subject iſt, allein Wir tauſchen dafür die andere Seite des
religiöſen Standpunktes, den ſittlichen ein. Wir ſagen
z. B. nicht mehr: „Gott iſt die Liebe“, ſondern „die Liebe iſt
göttlich“. Setzen Wir noch an die Stelle des Prädicats „gött¬
lich“ das gleichbedeutende „heilig“, ſo kehrt der Sache nach
alles Alte wieder zurück. Die Liebe ſoll darnach das Gute
am Menſchen ſein, ſeine Göttlichkeit, das was ihm Ehre macht,
ſeine wahre Menſchlichkeit (ſie „macht ihn erſt zum Men¬
ſchen“, macht erſt einen Menſchen aus ihm). So wäre es
denn genauer geſprochen ſo: Die Liebe iſt das Menſchliche
am Menſchen, und das Unmenſchliche iſt der liebloſe Egoiſt.
Aber gerade alles dasjenige, was das Chriſtenthum und mit
ihm die ſpeculative Philoſophie, d. h. Theologie als das Gute,
das Abſolute offerirt, iſt in der Eigenheit eben nicht das Gute
(oder, was daſſelbe ſagt, es iſt nur das Gute), mithin würde

*) Anekdota II, 64.
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[63/0071] liegen laſſen. Um ein höchſtes Weſen handelt es ſich bei beiden, und ob daſſelbe ein übermenſchliches oder ein menſch¬ liches ſei, das kann Mir, da es jedenfalls ein Weſen über Mir, gleichſam ein übermeiniges iſt, nur wenig verſchlagen. Zuletzt wird das Verhalten zum menſchlichen Weſen oder zum „Menſchen“, hat es nur erſt die Schlangenhaut der alten Re¬ ligion abgeſtreift, doch wieder eine religiöſe Schlangenhaut tragen. So belehrt Uns Feuerbach, daß „wenn man die ſpecula¬ tive Philoſophie nur umkehre, d. h. immer das Prädicat zum Subject, und ſo das Subject zum Object und Princip mache, man die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit habe.“ *) Damit verlieren Wir allerdings den beſchränkten religiöſen Standpunkt, verlieren den Gott, der auf dieſem Standpunkte Subject iſt, allein Wir tauſchen dafür die andere Seite des religiöſen Standpunktes, den ſittlichen ein. Wir ſagen z. B. nicht mehr: „Gott iſt die Liebe“, ſondern „die Liebe iſt göttlich“. Setzen Wir noch an die Stelle des Prädicats „gött¬ lich“ das gleichbedeutende „heilig“, ſo kehrt der Sache nach alles Alte wieder zurück. Die Liebe ſoll darnach das Gute am Menſchen ſein, ſeine Göttlichkeit, das was ihm Ehre macht, ſeine wahre Menſchlichkeit (ſie „macht ihn erſt zum Men¬ ſchen“, macht erſt einen Menſchen aus ihm). So wäre es denn genauer geſprochen ſo: Die Liebe iſt das Menſchliche am Menſchen, und das Unmenſchliche iſt der liebloſe Egoiſt. Aber gerade alles dasjenige, was das Chriſtenthum und mit ihm die ſpeculative Philoſophie, d. h. Theologie als das Gute, das Abſolute offerirt, iſt in der Eigenheit eben nicht das Gute (oder, was daſſelbe ſagt, es iſt nur das Gute), mithin würde *) Anekdota II, 64.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/71>, abgerufen am 29.03.2024.