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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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er kam immer nicht in die zum Schwimmen nöthige
Tiefe. Dann war es plötzlich unter ihm weg, die
Wasser quirlten über ihm zusammen, und es dauerte
eine Zeit lang, ehe er wieder auf die Oberfläche kam.
Nun regte er Hand und Fuß und schwamm im Kreise
umher, bis er sich bewußt geworden, von wo er hin¬
eingegangen war. Bald sah er auch die Lilie wieder;
sie lag einsam zwischen den großen blanken Blättern.
-- Er schwamm langsam hinaus, und hob mitunter
die Arme aus dem Wasser, daß die herabrieselnden
Tropfen im Mondlicht blitzten; aber es war, als ob
die Entfernung zwischen ihm und der Blume dieselbe
bliebe; nur das Ufer lag, wenn er sich umblickte, in
immer ungewisserem Dufte hinter ihm. Er gab indeß
sein Unternehmen nicht auf, sondern schwamm rüstig
in derselben Richtung fort. Endlich war er der Blume
so nahe gekommen, daß er die silbernen Blätter deut¬
lich im Mondlicht unterscheiden konnte; zugleich aber
fühlte er sich in einem Netze verstrickt, die glatten
Stengel langten vom Grunde herauf und rankten sich
an seine nackten Glieder. Das unbekannte Wasser lag
so schwarz um ihn her, hinter sich hörte er das Sprin¬
gen eines Fisches; es wurde ihm plötzlich so unheim¬

er kam immer nicht in die zum Schwimmen nöthige
Tiefe. Dann war es plötzlich unter ihm weg, die
Waſſer quirlten über ihm zuſammen, und es dauerte
eine Zeit lang, ehe er wieder auf die Oberfläche kam.
Nun regte er Hand und Fuß und ſchwamm im Kreiſe
umher, bis er ſich bewußt geworden, von wo er hin¬
eingegangen war. Bald ſah er auch die Lilie wieder;
ſie lag einſam zwiſchen den großen blanken Blättern.
— Er ſchwamm langſam hinaus, und hob mitunter
die Arme aus dem Waſſer, daß die herabrieſelnden
Tropfen im Mondlicht blitzten; aber es war, als ob
die Entfernung zwiſchen ihm und der Blume dieſelbe
bliebe; nur das Ufer lag, wenn er ſich umblickte, in
immer ungewiſſerem Dufte hinter ihm. Er gab indeß
ſein Unternehmen nicht auf, ſondern ſchwamm rüſtig
in derſelben Richtung fort. Endlich war er der Blume
ſo nahe gekommen, daß er die ſilbernen Blätter deut¬
lich im Mondlicht unterſcheiden konnte; zugleich aber
fühlte er ſich in einem Netze verſtrickt, die glatten
Stengel langten vom Grunde herauf und rankten ſich
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gen eines Fiſches; es wurde ihm plötzlich ſo unheim¬

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[52/0058] er kam immer nicht in die zum Schwimmen nöthige Tiefe. Dann war es plötzlich unter ihm weg, die Waſſer quirlten über ihm zuſammen, und es dauerte eine Zeit lang, ehe er wieder auf die Oberfläche kam. Nun regte er Hand und Fuß und ſchwamm im Kreiſe umher, bis er ſich bewußt geworden, von wo er hin¬ eingegangen war. Bald ſah er auch die Lilie wieder; ſie lag einſam zwiſchen den großen blanken Blättern. — Er ſchwamm langſam hinaus, und hob mitunter die Arme aus dem Waſſer, daß die herabrieſelnden Tropfen im Mondlicht blitzten; aber es war, als ob die Entfernung zwiſchen ihm und der Blume dieſelbe bliebe; nur das Ufer lag, wenn er ſich umblickte, in immer ungewiſſerem Dufte hinter ihm. Er gab indeß ſein Unternehmen nicht auf, ſondern ſchwamm rüſtig in derſelben Richtung fort. Endlich war er der Blume ſo nahe gekommen, daß er die ſilbernen Blätter deut¬ lich im Mondlicht unterſcheiden konnte; zugleich aber fühlte er ſich in einem Netze verſtrickt, die glatten Stengel langten vom Grunde herauf und rankten ſich an ſeine nackten Glieder. Das unbekannte Waſſer lag ſo ſchwarz um ihn her, hinter ſich hörte er das Sprin¬ gen eines Fiſches; es wurde ihm plötzlich ſo unheim¬

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/58>, abgerufen am 24.04.2024.