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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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hinein treiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte
begonnen, und schon konnte ich nicht mehr mit
Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen;
keine Menschenseele war mir begegnet, ich hörte
nichts als das Geschrei der Vögel, wenn sie mich
oder meine treue Stute fast mit den langen Flügeln
streiften, und das Toben von Wind und Wasser.
Ich leugne nicht, ich wünschte mich mitunter in
sicheres Quartier.

Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag,
und ich hatte mich schon über Gebühr von einem
mir besonders lieben Verwandten auf seinem Hofe
halten lassen, den er in einer der nördlicheren
Harden besaß. Heute aber ging es nicht länger;
ich hatte Geschäfte in der Stadt, die auch jetzt
wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden
vor mir lag, und trotz aller Ueberredungskünste
des Vetters und seiner lieben Frau, trotz der
schönen selbstgezogenen Perinette- und Grand-
Richard-Aepfel, die noch zu probiren waren, am
Nachmittag war ich davongeritten. "Wart' nur,
bis Du ans Meer kommst," hatte er noch aus
seiner Hausthür mir nachgerufen; "Du kehrst noch
wieder um; Dein Zimmer wird Dir vorbehalten!"

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hinein treiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte
begonnen, und ſchon konnte ich nicht mehr mit
Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen;
keine Menſchenſeele war mir begegnet, ich hörte
nichts als das Geſchrei der Vögel, wenn ſie mich
oder meine treue Stute faſt mit den langen Flügeln
ſtreiften, und das Toben von Wind und Waſſer.
Ich leugne nicht, ich wünſchte mich mitunter in
ſicheres Quartier.

Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag,
und ich hatte mich ſchon über Gebühr von einem
mir beſonders lieben Verwandten auf ſeinem Hofe
halten laſſen, den er in einer der nördlicheren
Harden beſaß. Heute aber ging es nicht länger;
ich hatte Geſchäfte in der Stadt, die auch jetzt
wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden
vor mir lag, und trotz aller Ueberredungskünſte
des Vetters und ſeiner lieben Frau, trotz der
ſchönen ſelbſtgezogenen Perinette- und Grand-
Richard-Aepfel, die noch zu probiren waren, am
Nachmittag war ich davongeritten. „Wart' nur,
bis Du ans Meer kommſt,” hatte er noch aus
ſeiner Hausthür mir nachgerufen; „Du kehrſt noch
wieder um; Dein Zimmer wird Dir vorbehalten!”

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[3/0015] hinein treiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und ſchon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen; keine Menſchenſeele war mir begegnet, ich hörte nichts als das Geſchrei der Vögel, wenn ſie mich oder meine treue Stute faſt mit den langen Flügeln ſtreiften, und das Toben von Wind und Waſſer. Ich leugne nicht, ich wünſchte mich mitunter in ſicheres Quartier. Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag, und ich hatte mich ſchon über Gebühr von einem mir beſonders lieben Verwandten auf ſeinem Hofe halten laſſen, den er in einer der nördlicheren Harden beſaß. Heute aber ging es nicht länger; ich hatte Geſchäfte in der Stadt, die auch jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden vor mir lag, und trotz aller Ueberredungskünſte des Vetters und ſeiner lieben Frau, trotz der ſchönen ſelbſtgezogenen Perinette- und Grand- Richard-Aepfel, die noch zu probiren waren, am Nachmittag war ich davongeritten. „Wart' nur, bis Du ans Meer kommſt,” hatte er noch aus ſeiner Hausthür mir nachgerufen; „Du kehrſt noch wieder um; Dein Zimmer wird Dir vorbehalten!” 1*

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/15>, abgerufen am 28.03.2024.