langen Tisch gesetzt. "Erzählt, erzählt nur, Schul- meister," riefen ein paar der Jüngeren aus der Gesellschaft.
"Nun freilich," sagte der Alte, sich zu mir wendend, "will ich gern zu Willen sein; aber es ist viel Aberglaube dazwischen, und eine Kunst, es ohne diesen zu erzählen."
"Ich muß Euch bitten, den nicht auszulassen," erwiderte ich; "traut mir nur zu, daß ich schon selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!"
Der Alte sah mich mit verständnißvollem Lächeln an: "Nun also!" sagte er. "In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu bestimmen, vor und nach derselben, gab es hier einen Deichgrafen, der von Deich- und Sielsachen mehr verstand, als Bauern und Hof- besitzer sonst zu verstehen pflegen; aber es reichte doch wohl kaum; denn was die studirten Fachleute darüber niedergeschrieben, davon hatte er wenig gelesen; sein Wissen hatte er sich, wenn auch von Kindesbeinen an, nur selber ausgesonnen. Ihr hörtet wohl schon, Herr, die Friesen rechnen gut, und habet auch wohl schon über unseren Hans Mommsen von Fahretoft reden hören, der ein Bauer
langen Tiſch geſetzt. „Erzählt, erzählt nur, Schul- meiſter,” riefen ein paar der Jüngeren aus der Geſellſchaft.
„Nun freilich,” ſagte der Alte, ſich zu mir wendend, „will ich gern zu Willen ſein; aber es iſt viel Aberglaube dazwiſchen, und eine Kunſt, es ohne dieſen zu erzählen.”
„Ich muß Euch bitten, den nicht auszulaſſen,” erwiderte ich; „traut mir nur zu, daß ich ſchon ſelbſt die Spreu vom Weizen ſondern werde!”
Der Alte ſah mich mit verſtändnißvollem Lächeln an: „Nun alſo!” ſagte er. „In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu beſtimmen, vor und nach derſelben, gab es hier einen Deichgrafen, der von Deich- und Sielſachen mehr verſtand, als Bauern und Hof- beſitzer ſonſt zu verſtehen pflegen; aber es reichte doch wohl kaum; denn was die ſtudirten Fachleute darüber niedergeſchrieben, davon hatte er wenig geleſen; ſein Wiſſen hatte er ſich, wenn auch von Kindesbeinen an, nur ſelber ausgeſonnen. Ihr hörtet wohl ſchon, Herr, die Frieſen rechnen gut, und habet auch wohl ſchon über unſeren Hans Mommſen von Fahretoft reden hören, der ein Bauer
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langen Tiſch geſetzt. „Erzählt, erzählt nur, Schul-
meiſter,” riefen ein paar der Jüngeren aus der
Geſellſchaft.
„Nun freilich,” ſagte der Alte, ſich zu mir
wendend, „will ich gern zu Willen ſein; aber es
iſt viel Aberglaube dazwiſchen, und eine Kunſt,
es ohne dieſen zu erzählen.”
„Ich muß Euch bitten, den nicht auszulaſſen,”
erwiderte ich; „traut mir nur zu, daß ich ſchon
ſelbſt die Spreu vom Weizen ſondern werde!”
Der Alte ſah mich mit verſtändnißvollem
Lächeln an: „Nun alſo!” ſagte er. „In der Mitte
des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um
genauer zu beſtimmen, vor und nach derſelben, gab
es hier einen Deichgrafen, der von Deich- und
Sielſachen mehr verſtand, als Bauern und Hof-
beſitzer ſonſt zu verſtehen pflegen; aber es reichte
doch wohl kaum; denn was die ſtudirten Fachleute
darüber niedergeſchrieben, davon hatte er wenig
geleſen; ſein Wiſſen hatte er ſich, wenn auch von
Kindesbeinen an, nur ſelber ausgeſonnen. Ihr
hörtet wohl ſchon, Herr, die Frieſen rechnen gut,
und habet auch wohl ſchon über unſeren Hans
Mommſen von Fahretoft reden hören, der ein Bauer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/22>, abgerufen am 31.03.2023.
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