Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

teufel! So große Köpfe," und sie hielt die aus-
gespreizten Hände von Weitem gegen einander,
"gnidderschwarz und blank, wie frisch gebacken
Brot! Und die Krabben hatten sie angeknabbert;
die Kinder schrieen laut, als sie sie sahen!"

Dem alten Haien war so was just nichts
Neues: "Sie haben wohl seit November schon in
See getrieben!" sagte er gleichmüthig.

Hauke stand schweigend daneben; aber sobald
er konnte, schlich er sich auf den Deich hinaus; es
war nicht zu sagen, wollte er noch nach weiteren
Todten suchen, oder zog ihn nur das Grauen, das
noch auf den jetzt verlassenen Stellen brüten mußte.
Er lief weiter und weiter, bis er einsam in der
Oede stand, wo nur die Winde über den Deich
wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen
der großen Vögel, die rasch vorüberschossen; zu
seiner Linken die leere weite Marsch, zur andern
Seite der unabsehbare Strand mit seiner jetzt vom
Eise schimmernden Fläche der Watten; es war, als
liege die ganze Welt in weißem Tod.

Hauke blieb oben auf dem Deiche stehen, und
seine scharfen Augen schweiften weit umher; aber
von Todten war nichts mehr zu sehen; nur wo

2*

teufel! So große Köpfe,” und ſie hielt die aus-
geſpreizten Hände von Weitem gegen einander,
„gnidderſchwarz und blank, wie friſch gebacken
Brot! Und die Krabben hatten ſie angeknabbert;
die Kinder ſchrieen laut, als ſie ſie ſahen!”

Dem alten Haien war ſo was juſt nichts
Neues: „Sie haben wohl ſeit November ſchon in
See getrieben!” ſagte er gleichmüthig.

Hauke ſtand ſchweigend daneben; aber ſobald
er konnte, ſchlich er ſich auf den Deich hinaus; es
war nicht zu ſagen, wollte er noch nach weiteren
Todten ſuchen, oder zog ihn nur das Grauen, das
noch auf den jetzt verlaſſenen Stellen brüten mußte.
Er lief weiter und weiter, bis er einſam in der
Oede ſtand, wo nur die Winde über den Deich
wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen
der großen Vögel, die raſch vorüberſchoſſen; zu
ſeiner Linken die leere weite Marſch, zur andern
Seite der unabſehbare Strand mit ſeiner jetzt vom
Eiſe ſchimmernden Fläche der Watten; es war, als
liege die ganze Welt in weißem Tod.

Hauke blieb oben auf dem Deiche ſtehen, und
ſeine ſcharfen Augen ſchweiften weit umher; aber
von Todten war nichts mehr zu ſehen; nur wo

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="19"/>
teufel! So große Köpfe,&#x201D; und &#x017F;ie hielt die aus-<lb/>
ge&#x017F;preizten Hände von Weitem gegen einander,<lb/>
&#x201E;gnidder&#x017F;chwarz und blank, wie fri&#x017F;ch gebacken<lb/>
Brot! Und die Krabben hatten &#x017F;ie angeknabbert;<lb/>
die Kinder &#x017F;chrieen laut, als &#x017F;ie &#x017F;ie &#x017F;ahen!&#x201D;</p><lb/>
        <p>Dem alten Haien war &#x017F;o was ju&#x017F;t nichts<lb/>
Neues: &#x201E;Sie haben wohl &#x017F;eit November &#x017F;chon in<lb/>
See getrieben!&#x201D; &#x017F;agte er gleichmüthig.</p><lb/>
        <p>Hauke &#x017F;tand &#x017F;chweigend daneben; aber &#x017F;obald<lb/>
er konnte, &#x017F;chlich er &#x017F;ich auf den Deich hinaus; es<lb/>
war nicht zu &#x017F;agen, wollte er noch nach weiteren<lb/>
Todten &#x017F;uchen, oder zog ihn nur das Grauen, das<lb/>
noch auf den jetzt verla&#x017F;&#x017F;enen Stellen brüten mußte.<lb/>
Er lief weiter und weiter, bis er ein&#x017F;am in der<lb/>
Oede &#x017F;tand, wo nur die Winde über den Deich<lb/>
wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen<lb/>
der großen Vögel, die ra&#x017F;ch vorüber&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en; zu<lb/>
&#x017F;einer Linken die leere weite Mar&#x017F;ch, zur andern<lb/>
Seite der unab&#x017F;ehbare Strand mit &#x017F;einer jetzt vom<lb/>
Ei&#x017F;e &#x017F;chimmernden Fläche der Watten; es war, als<lb/>
liege die ganze Welt in weißem Tod.</p><lb/>
        <p>Hauke blieb oben auf dem Deiche &#x017F;tehen, und<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;charfen Augen &#x017F;chweiften weit umher; aber<lb/>
von Todten war nichts mehr zu &#x017F;ehen; nur wo<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0031] teufel! So große Köpfe,” und ſie hielt die aus- geſpreizten Hände von Weitem gegen einander, „gnidderſchwarz und blank, wie friſch gebacken Brot! Und die Krabben hatten ſie angeknabbert; die Kinder ſchrieen laut, als ſie ſie ſahen!” Dem alten Haien war ſo was juſt nichts Neues: „Sie haben wohl ſeit November ſchon in See getrieben!” ſagte er gleichmüthig. Hauke ſtand ſchweigend daneben; aber ſobald er konnte, ſchlich er ſich auf den Deich hinaus; es war nicht zu ſagen, wollte er noch nach weiteren Todten ſuchen, oder zog ihn nur das Grauen, das noch auf den jetzt verlaſſenen Stellen brüten mußte. Er lief weiter und weiter, bis er einſam in der Oede ſtand, wo nur die Winde über den Deich wehten, wo nichts war als die klagenden Stimmen der großen Vögel, die raſch vorüberſchoſſen; zu ſeiner Linken die leere weite Marſch, zur andern Seite der unabſehbare Strand mit ſeiner jetzt vom Eiſe ſchimmernden Fläche der Watten; es war, als liege die ganze Welt in weißem Tod. Hauke blieb oben auf dem Deiche ſtehen, und ſeine ſcharfen Augen ſchweiften weit umher; aber von Todten war nichts mehr zu ſehen; nur wo 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/31
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/31>, abgerufen am 29.03.2024.