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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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Da kamen ihm die furchtbaren norwegischen
Seegespenster in den Sinn, von denen ein alter
Capitän ihm einst erzählt hatte, die statt des An-
gesichts einen stumpfen Pull von Seegras auf dem
Nacken tragen; aber er lief nicht fort, sondern
bohrte die Hacken seiner Stiefel fest in den Klei
des Deiches und sah starr dem possenhaften Un-
wesen zu, das in der einfallenden Dämmerung vor
seinen Augen fortspielte. "Seid Ihr auch hier bei
uns?" sprach er mit harter Stimme: "Ihr sollt
mich nicht vertreiben!"

Erst als die Finsterniß Alles bedeckte, schritt
er steifen langsamen Schrittes heimwärts. Aber
hinter ihm drein kam es wie Flügelrauschen und
hallendes Geschrei. Er sah nicht um; aber er ging
auch nicht schneller und kam erst spät nach Hause;
doch niemals soll er seinem Vater oder einem Anderen
davon erzählt haben. Erst viele Jahre später hat
er sein blödes Mädchen, womit später der Herrgott
ihn belastete, um dieselbe Tages- und Jahreszeit
mit sich auf den Deich hinausgenommen, und
dasselbe Wesen soll sich derzeit draußen auf den
Watten gezeigt haben; aber er hat ihr gesagt, sie
solle sich nicht fürchten, das seien nur die Fischreiher

Da kamen ihm die furchtbaren norwegiſchen
Seegeſpenſter in den Sinn, von denen ein alter
Capitän ihm einſt erzählt hatte, die ſtatt des An-
geſichts einen ſtumpfen Pull von Seegras auf dem
Nacken tragen; aber er lief nicht fort, ſondern
bohrte die Hacken ſeiner Stiefel feſt in den Klei
des Deiches und ſah ſtarr dem poſſenhaften Un-
weſen zu, das in der einfallenden Dämmerung vor
ſeinen Augen fortſpielte. „Seid Ihr auch hier bei
uns?” ſprach er mit harter Stimme: „Ihr ſollt
mich nicht vertreiben!”

Erſt als die Finſterniß Alles bedeckte, ſchritt
er ſteifen langſamen Schrittes heimwärts. Aber
hinter ihm drein kam es wie Flügelrauſchen und
hallendes Geſchrei. Er ſah nicht um; aber er ging
auch nicht ſchneller und kam erſt ſpät nach Hauſe;
doch niemals ſoll er ſeinem Vater oder einem Anderen
davon erzählt haben. Erſt viele Jahre ſpäter hat
er ſein blödes Mädchen, womit ſpäter der Herrgott
ihn belaſtete, um dieſelbe Tages- und Jahreszeit
mit ſich auf den Deich hinausgenommen, und
dasſelbe Weſen ſoll ſich derzeit draußen auf den
Watten gezeigt haben; aber er hat ihr geſagt, ſie
ſolle ſich nicht fürchten, das ſeien nur die Fiſchreiher

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[21/0033] Da kamen ihm die furchtbaren norwegiſchen Seegeſpenſter in den Sinn, von denen ein alter Capitän ihm einſt erzählt hatte, die ſtatt des An- geſichts einen ſtumpfen Pull von Seegras auf dem Nacken tragen; aber er lief nicht fort, ſondern bohrte die Hacken ſeiner Stiefel feſt in den Klei des Deiches und ſah ſtarr dem poſſenhaften Un- weſen zu, das in der einfallenden Dämmerung vor ſeinen Augen fortſpielte. „Seid Ihr auch hier bei uns?” ſprach er mit harter Stimme: „Ihr ſollt mich nicht vertreiben!” Erſt als die Finſterniß Alles bedeckte, ſchritt er ſteifen langſamen Schrittes heimwärts. Aber hinter ihm drein kam es wie Flügelrauſchen und hallendes Geſchrei. Er ſah nicht um; aber er ging auch nicht ſchneller und kam erſt ſpät nach Hauſe; doch niemals ſoll er ſeinem Vater oder einem Anderen davon erzählt haben. Erſt viele Jahre ſpäter hat er ſein blödes Mädchen, womit ſpäter der Herrgott ihn belaſtete, um dieſelbe Tages- und Jahreszeit mit ſich auf den Deich hinausgenommen, und dasſelbe Weſen ſoll ſich derzeit draußen auf den Watten gezeigt haben; aber er hat ihr geſagt, ſie ſolle ſich nicht fürchten, das ſeien nur die Fiſchreiher

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/33>, abgerufen am 28.03.2024.