Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

Bild:
<< vorherige Seite

"Dann habe ich Zeit, einige Besuche zu machen ... Ich hole dich in einer Stunde ab; nicht wahr, Miß?"

Die Miß machte ein Zeichen des Einverständnisses, ohne das Stella es bemerkte. Das junge Mädchen wandte mit einer drolligen Grimasse seinen blonden Kopf:

"Mich abholen? Stets knapp auf meiner Ferse sein, als wäre ich immer noch fünf Jahre alt? Nein, wirklich, Mama, du glaubst nicht, wie albern das ist. Ein längst überwundener Standpunkt, diese Art, junge Mädchen zu erziehen! Sagen Sie ihr doch, Miß, Sie, die in Amerika erzogen sind, daß wir hier als kleine Gänse aufwachsen, duckmäuserisch, scheu, wie Puppen, ohne jede Selbständigkeit. Wir werden behütet bis ins höchste Alter ... Mama, ich bin achtzehn Jahre alt!"

"Ja achtzehn Jahre ..." wiederholte Frau von Ellissen.

"Du meinst also, man müsse behütet werden bis man heiratet. - Ich glaube nicht daran, daß uns Mädchen der Verstand und die Weisheit erst mit der Ehe kommen; wo ich mich heute nicht zu benehmen weiß, werde ich es morgen auch nicht können, wenn ich auch das Recht habe, mich Frau zu nennen. Brr! Da fängt erst dann das leben an. Das Wort

„Dann habe ich Zeit, einige Besuche zu machen … Ich hole dich in einer Stunde ab; nicht wahr, Miß?“

Die Miß machte ein Zeichen des Einverständnisses, ohne das Stella es bemerkte. Das junge Mädchen wandte mit einer drolligen Grimasse seinen blonden Kopf:

„Mich abholen? Stets knapp auf meiner Ferse sein, als wäre ich immer noch fünf Jahre alt? Nein, wirklich, Mama, du glaubst nicht, wie albern das ist. Ein längst überwundener Standpunkt, diese Art, junge Mädchen zu erziehen! Sagen Sie ihr doch, Miß, Sie, die in Amerika erzogen sind, daß wir hier als kleine Gänse aufwachsen, duckmäuserisch, scheu, wie Puppen, ohne jede Selbständigkeit. Wir werden behütet bis ins höchste Alter … Mama, ich bin achtzehn Jahre alt!“

„Ja achtzehn Jahre …“ wiederholte Frau von Ellissen.

„Du meinst also, man müsse behütet werden bis man heiratet. – Ich glaube nicht daran, daß uns Mädchen der Verstand und die Weisheit erst mit der Ehe kommen; wo ich mich heute nicht zu benehmen weiß, werde ich es morgen auch nicht können, wenn ich auch das Recht habe, mich Frau zu nennen. Brr! Da fängt erst dann das leben an. Das Wort

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0009" n="8"/>
        <p>&#x201E;Dann habe ich Zeit, einige Besuche zu machen &#x2026; Ich hole dich in einer Stunde ab; nicht wahr, Miß?&#x201C;</p>
        <p>Die Miß machte ein Zeichen des Einverständnisses, ohne das Stella es bemerkte. Das junge Mädchen wandte mit einer drolligen Grimasse seinen blonden Kopf:</p>
        <p>&#x201E;Mich abholen? Stets knapp auf meiner Ferse sein, als wäre ich immer noch fünf Jahre alt? Nein, wirklich, Mama, du glaubst nicht, wie albern das ist. Ein längst überwundener Standpunkt, diese Art, junge Mädchen zu erziehen! Sagen Sie ihr doch, Miß, Sie, die in Amerika erzogen sind, daß wir hier als kleine Gänse aufwachsen, duckmäuserisch, scheu, wie Puppen, ohne jede Selbständigkeit. Wir werden behütet bis ins höchste Alter &#x2026; Mama, ich bin achtzehn Jahre alt!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ja achtzehn Jahre &#x2026;&#x201C; wiederholte Frau von Ellissen.</p>
        <p>&#x201E;Du meinst also, man müsse behütet werden bis man heiratet. &#x2013; Ich glaube nicht daran, daß uns Mädchen der Verstand und die Weisheit erst mit der Ehe kommen; wo ich mich heute nicht zu benehmen weiß, werde ich es morgen auch nicht können, wenn ich auch das Recht habe, mich Frau zu nennen. Brr! Da fängt erst dann das leben an. Das Wort
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0009] „Dann habe ich Zeit, einige Besuche zu machen … Ich hole dich in einer Stunde ab; nicht wahr, Miß?“ Die Miß machte ein Zeichen des Einverständnisses, ohne das Stella es bemerkte. Das junge Mädchen wandte mit einer drolligen Grimasse seinen blonden Kopf: „Mich abholen? Stets knapp auf meiner Ferse sein, als wäre ich immer noch fünf Jahre alt? Nein, wirklich, Mama, du glaubst nicht, wie albern das ist. Ein längst überwundener Standpunkt, diese Art, junge Mädchen zu erziehen! Sagen Sie ihr doch, Miß, Sie, die in Amerika erzogen sind, daß wir hier als kleine Gänse aufwachsen, duckmäuserisch, scheu, wie Puppen, ohne jede Selbständigkeit. Wir werden behütet bis ins höchste Alter … Mama, ich bin achtzehn Jahre alt!“ „Ja achtzehn Jahre …“ wiederholte Frau von Ellissen. „Du meinst also, man müsse behütet werden bis man heiratet. – Ich glaube nicht daran, daß uns Mädchen der Verstand und die Weisheit erst mit der Ehe kommen; wo ich mich heute nicht zu benehmen weiß, werde ich es morgen auch nicht können, wenn ich auch das Recht habe, mich Frau zu nennen. Brr! Da fängt erst dann das leben an. Das Wort

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/9
Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/9>, abgerufen am 10.11.2024.