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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Red
ter uns die Mittel zu entwikeln, wodurch Demosthe-
nes und Cicero so große Dinge bewürkt haben.
Ueberhaupt scheinet mir diese Erinnerung izt so viel
wichtiger, da es am Tage liegt, daß unsre Kunst-
richter sich der Dichtkunst mit so warmen Jntresse,
hingegen der Beredsamkeit so kaltsiunig annehmen,
als wenn sie keine eheliche Schwester jener Kunst
wäre.

Von den drey Hauptgattungen der Rede war die
erste, nämlich die Lehrende das Hauptaugenmerk
der alten Lehrer der Redner. Die andern Gattun-
gen wurden nur in so fern in Betrachtung gezogen,
als sie in manchen Fällen Theile der lehrenden Rede
ausmachen. Jch will zu einem Beyspiehl, wie
sorgfältig sie in Unterscheidung jeder Art des lehren-
den Jnhalts gewesen, das was Cicero hievon sagt,
in einer Tabelle vorstellen. (*)

Die Rede hat zwey Hauptgattungen des Jnhalts.
Der Gegenstand über welchen man zu reden hat, ist

I. Allgemein: nämlich weder durch Zeit, noch
Personen noch besondre Umstände bestimmt, und
betrift eine abzuhandelnde allgemeine Materie.
Dieser Stoff wird von Cicero Propositum auch
Confultatio genennt.
Diese betrift:
1. Eine theoretische Frage, und zwar
A. ob etwas sey, oder nicht sey, ob es möglich
oder würklich sey.
a. ob es überhaupt möglich sey
b. wie es möglich sey oder gemacht werde,
B. Was es sey
a. ob eine Sache von einer andern verschie-
den, oder mit ihr einerley sey.
b. Bestimmung der Sache, oder Beschrei-
bung, Abbildung derselben.
C. Jn was für eine Classe der Dinge es gehöre
a. Ob es anständig oder unanständig
b. Ob es nüzlich
c. Ob es billich.
Von jedem kann noch untersucht werden
a. Ob es anständiger, nüzlicher, billi-
cher, als ein anderes Ding
[Spaltenumbruch]
Red
b. Ob es das alleranständigste, aller-
nüzlichste etc. sey.
2. Eine praktische Frage, welche abziehlen kann
A. Etwas zu suchen oder zu vermeiden.
a. Wozu Lehren und Anweisungen, oder
Warnungen gegeben werden.
b. Wozu das Gemüth bewegt oder beru-
higet wird.
B. Zu zeigen, wie gewisse Vortheile zu erhal-
ten sind.
II. Besonders: nämlich auf gewisse Personen,
Zeit und Umstände eingeschränkt, oder ein zu be-
handelnder besonderer Fall. Diesen Stoff nennt
Cicero Causam. Dieser kann seyn:
1. Eine Ausbildung; Exornatio.
A. Lobrede auf verdiente Männer.
B. Strafrede auf Böse.
2. Ein Gesuch; wo nämlich etwas zu erhalten,
oder zu beweisen ist. Dieses wird Contentio
genennt.
A. Was etwas zukünftiges betrift.
B. Was etwas vergangenes betrift.

Von diesen zwey Gattungen der besondern Fälle
1 und 2 entstehen die drey Gattungen der auf be-
sondere Fälle gehenden Reden, die Lobreden, die
Staatsreden, die gerichtliche Reden.
Genus demon-
strativum, gen. deliberativum, gen. Iudiciale.

Man sieht hieraus, wie sehr diejenigen sich irren,
die alle mögliche Reden blos in diese drey lezten
Gattungen einschräuken, da es nur die Gattungen
einzeler Fälle sind. (+)

Wir müssen auch noch etwas über die äußerliche
Form der Rede sagen. Die Alten sezten, daß jede
Rede gewisse Haupttheile haben müsse, die Quinti-
lian also angiebt. 1. Den Eingang; Exordium.
2. Die Erzählung der Sache, worüber die Frag
entstanden; Narratio. 3. Die Bestimmung der ab-
zuhandelnden Frage; Propositio. 4. Die Abhand-
lung selbst, oder den Beweis; Probatio. 5. Den
Beschluß, Conclusio, oder Peroratio. Er erinnert
dabey, daß einige nach der Erzählung eine zwek-
mäßige Ausschweifung fodern, die bey ihm Egressio

heißt;
(*) S.
Cicer. To-
pica.
(+) [Spaltenumbruch]
Tous les discours imaginables que l'orateur peut
faire se reduisent a trois genres qui sont: le demonstra-
tif; le deliberatif;
et le Judiciaire. L'Abbe Colin Traitte
[Spaltenumbruch] de l'orateur Pref. p.
113. Man sieht nämlich aus der Ta-
belle, daß diese drey Gattungen nur die Causas betreffen.

[Spaltenumbruch]

Red
ter uns die Mittel zu entwikeln, wodurch Demoſthe-
nes und Cicero ſo große Dinge bewuͤrkt haben.
Ueberhaupt ſcheinet mir dieſe Erinnerung izt ſo viel
wichtiger, da es am Tage liegt, daß unſre Kunſt-
richter ſich der Dichtkunſt mit ſo warmen Jntreſſe,
hingegen der Beredſamkeit ſo kaltſiunig annehmen,
als wenn ſie keine eheliche Schweſter jener Kunſt
waͤre.

Von den drey Hauptgattungen der Rede war die
erſte, naͤmlich die Lehrende das Hauptaugenmerk
der alten Lehrer der Redner. Die andern Gattun-
gen wurden nur in ſo fern in Betrachtung gezogen,
als ſie in manchen Faͤllen Theile der lehrenden Rede
ausmachen. Jch will zu einem Beyſpiehl, wie
ſorgfaͤltig ſie in Unterſcheidung jeder Art des lehren-
den Jnhalts geweſen, das was Cicero hievon ſagt,
in einer Tabelle vorſtellen. (*)

Die Rede hat zwey Hauptgattungen des Jnhalts.
Der Gegenſtand uͤber welchen man zu reden hat, iſt

I. Allgemein: naͤmlich weder durch Zeit, noch
Perſonen noch beſondre Umſtaͤnde beſtimmt, und
betrift eine abzuhandelnde allgemeine Materie.
Dieſer Stoff wird von Cicero Propoſitum auch
Confultatio genennt.
Dieſe betrift:
1. Eine theoretiſche Frage, und zwar
A. ob etwas ſey, oder nicht ſey, ob es moͤglich
oder wuͤrklich ſey.
a. ob es uͤberhaupt moͤglich ſey
b. wie es moͤglich ſey oder gemacht werde,
B. Was es ſey
a. ob eine Sache von einer andern verſchie-
den, oder mit ihr einerley ſey.
b. Beſtimmung der Sache, oder Beſchrei-
bung, Abbildung derſelben.
C. Jn was fuͤr eine Claſſe der Dinge es gehoͤre
a. Ob es anſtaͤndig oder unanſtaͤndig
b. Ob es nuͤzlich
c. Ob es billich.
Von jedem kann noch unterſucht werden
α. Ob es anſtaͤndiger, nuͤzlicher, billi-
cher, als ein anderes Ding
[Spaltenumbruch]
Red
β. Ob es das alleranſtaͤndigſte, aller-
nuͤzlichſte ꝛc. ſey.
2. Eine praktiſche Frage, welche abziehlen kann
A. Etwas zu ſuchen oder zu vermeiden.
α. Wozu Lehren und Anweiſungen, oder
Warnungen gegeben werden.
β. Wozu das Gemuͤth bewegt oder beru-
higet wird.
B. Zu zeigen, wie gewiſſe Vortheile zu erhal-
ten ſind.
II. Beſonders: naͤmlich auf gewiſſe Perſonen,
Zeit und Umſtaͤnde eingeſchraͤnkt, oder ein zu be-
handelnder beſonderer Fall. Dieſen Stoff nennt
Cicero Cauſam. Dieſer kann ſeyn:
1. Eine Ausbildung; Exornatio.
A. Lobrede auf verdiente Maͤnner.
B. Strafrede auf Boͤſe.
2. Ein Geſuch; wo naͤmlich etwas zu erhalten,
oder zu beweiſen iſt. Dieſes wird Contentio
genennt.
A. Was etwas zukuͤnftiges betrift.
B. Was etwas vergangenes betrift.

Von dieſen zwey Gattungen der beſondern Faͤlle
1 und 2 entſtehen die drey Gattungen der auf be-
ſondere Faͤlle gehenden Reden, die Lobreden, die
Staatsreden, die gerichtliche Reden.
Genus demon-
ſtrativum, gen. deliberativum, gen. Iudiciale.

Man ſieht hieraus, wie ſehr diejenigen ſich irren,
die alle moͤgliche Reden blos in dieſe drey lezten
Gattungen einſchraͤuken, da es nur die Gattungen
einzeler Faͤlle ſind. (†)

Wir muͤſſen auch noch etwas uͤber die aͤußerliche
Form der Rede ſagen. Die Alten ſezten, daß jede
Rede gewiſſe Haupttheile haben muͤſſe, die Quinti-
lian alſo angiebt. 1. Den Eingang; Exordium.
2. Die Erzaͤhlung der Sache, woruͤber die Frag
entſtanden; Narratio. 3. Die Beſtimmung der ab-
zuhandelnden Frage; Propoſitio. 4. Die Abhand-
lung ſelbſt, oder den Beweis; Probatio. 5. Den
Beſchluß, Concluſio, oder Peroratio. Er erinnert
dabey, daß einige nach der Erzaͤhlung eine zwek-
maͤßige Ausſchweifung fodern, die bey ihm Egreſſio

heißt;
(*) S.
Cicer. To-
pica.
(†) [Spaltenumbruch]
Tous les diſcours imaginables que l’orateur peut
faire ſe reduiſent à trois genres qui ſont: le demonſtra-
tif; le deliberatif;
et le Judiciaire. L’Abbé Colin Traitté
[Spaltenumbruch] de l’orateur Pref. p.
113. Man ſieht naͤmlich aus der Ta-
belle, daß dieſe drey Gattungen nur die Cauſas betreffen.
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[958[940]/0387] Red Red ter uns die Mittel zu entwikeln, wodurch Demoſthe- nes und Cicero ſo große Dinge bewuͤrkt haben. Ueberhaupt ſcheinet mir dieſe Erinnerung izt ſo viel wichtiger, da es am Tage liegt, daß unſre Kunſt- richter ſich der Dichtkunſt mit ſo warmen Jntreſſe, hingegen der Beredſamkeit ſo kaltſiunig annehmen, als wenn ſie keine eheliche Schweſter jener Kunſt waͤre. Von den drey Hauptgattungen der Rede war die erſte, naͤmlich die Lehrende das Hauptaugenmerk der alten Lehrer der Redner. Die andern Gattun- gen wurden nur in ſo fern in Betrachtung gezogen, als ſie in manchen Faͤllen Theile der lehrenden Rede ausmachen. Jch will zu einem Beyſpiehl, wie ſorgfaͤltig ſie in Unterſcheidung jeder Art des lehren- den Jnhalts geweſen, das was Cicero hievon ſagt, in einer Tabelle vorſtellen. (*) Die Rede hat zwey Hauptgattungen des Jnhalts. Der Gegenſtand uͤber welchen man zu reden hat, iſt I. Allgemein: naͤmlich weder durch Zeit, noch Perſonen noch beſondre Umſtaͤnde beſtimmt, und betrift eine abzuhandelnde allgemeine Materie. Dieſer Stoff wird von Cicero Propoſitum auch Confultatio genennt. Dieſe betrift: 1. Eine theoretiſche Frage, und zwar A. ob etwas ſey, oder nicht ſey, ob es moͤglich oder wuͤrklich ſey. a. ob es uͤberhaupt moͤglich ſey b. wie es moͤglich ſey oder gemacht werde, B. Was es ſey a. ob eine Sache von einer andern verſchie- den, oder mit ihr einerley ſey. b. Beſtimmung der Sache, oder Beſchrei- bung, Abbildung derſelben. C. Jn was fuͤr eine Claſſe der Dinge es gehoͤre a. Ob es anſtaͤndig oder unanſtaͤndig b. Ob es nuͤzlich c. Ob es billich. Von jedem kann noch unterſucht werden α. Ob es anſtaͤndiger, nuͤzlicher, billi- cher, als ein anderes Ding β. Ob es das alleranſtaͤndigſte, aller- nuͤzlichſte ꝛc. ſey. 2. Eine praktiſche Frage, welche abziehlen kann A. Etwas zu ſuchen oder zu vermeiden. α. Wozu Lehren und Anweiſungen, oder Warnungen gegeben werden. β. Wozu das Gemuͤth bewegt oder beru- higet wird. B. Zu zeigen, wie gewiſſe Vortheile zu erhal- ten ſind. II. Beſonders: naͤmlich auf gewiſſe Perſonen, Zeit und Umſtaͤnde eingeſchraͤnkt, oder ein zu be- handelnder beſonderer Fall. Dieſen Stoff nennt Cicero Cauſam. Dieſer kann ſeyn: 1. Eine Ausbildung; Exornatio. A. Lobrede auf verdiente Maͤnner. B. Strafrede auf Boͤſe. 2. Ein Geſuch; wo naͤmlich etwas zu erhalten, oder zu beweiſen iſt. Dieſes wird Contentio genennt. A. Was etwas zukuͤnftiges betrift. B. Was etwas vergangenes betrift. Von dieſen zwey Gattungen der beſondern Faͤlle 1 und 2 entſtehen die drey Gattungen der auf be- ſondere Faͤlle gehenden Reden, die Lobreden, die Staatsreden, die gerichtliche Reden. Genus demon- ſtrativum, gen. deliberativum, gen. Iudiciale. Man ſieht hieraus, wie ſehr diejenigen ſich irren, die alle moͤgliche Reden blos in dieſe drey lezten Gattungen einſchraͤuken, da es nur die Gattungen einzeler Faͤlle ſind. (†) Wir muͤſſen auch noch etwas uͤber die aͤußerliche Form der Rede ſagen. Die Alten ſezten, daß jede Rede gewiſſe Haupttheile haben muͤſſe, die Quinti- lian alſo angiebt. 1. Den Eingang; Exordium. 2. Die Erzaͤhlung der Sache, woruͤber die Frag entſtanden; Narratio. 3. Die Beſtimmung der ab- zuhandelnden Frage; Propoſitio. 4. Die Abhand- lung ſelbſt, oder den Beweis; Probatio. 5. Den Beſchluß, Concluſio, oder Peroratio. Er erinnert dabey, daß einige nach der Erzaͤhlung eine zwek- maͤßige Ausſchweifung fodern, die bey ihm Egreſſio heißt; (*) S. Cicer. To- pica. (†) Tous les diſcours imaginables que l’orateur peut faire ſe reduiſent à trois genres qui ſont: le demonſtra- tif; le deliberatif; et le Judiciaire. L’Abbé Colin Traitté de l’orateur Pref. p. 113. Man ſieht naͤmlich aus der Ta- belle, daß dieſe drey Gattungen nur die Cauſas betreffen.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 958[940]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/387>, abgerufen am 28.04.2024.